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Eben noch beim G-8-Gipfel in Nordirland, am Abend in Berlin: US-Präsident Barack Obama

© dpa

Obamas Besuch in Berlin: "Willkommen in der coolsten Stadt Europas, lieber Herr Präsident..."

Barack Obama kommt heute Abend nach Berlin. Ein anderer Amerikaner ist schon da – seit 15 Jahren: Der Autor Eric T. Hansen begrüßt seinen Präsidenten und erklärt ihm, wie Berlin so tickt.

"Lieber Herr Präsident,

da bist du ja wieder!

Ich hab's gewusst, dass wir dich bald wiedersehen. Lass mich raten: Immer wenn du gelangweilt in Washington herumgesessen hast, wanderten deine Gedanken zurück zu dem fernen Klang lachender Menschen im sommerlichen Tiergarten, den Lichtern des Potsdamer Platzes, den tanzenden Sonnenstrahlen auf der Spree und nicht zuletzt den Menschenmassen vor der Siegessäule, die deinen Namen rufen. Hab ich Recht? Kann jedem passieren: Man wird süchtig nach Berlin.

Ich weiß, warum du es hier so magst. Du und ich, wir sind beide in Hawaii aufgewachsen, und wir wissen etwas, das nicht mal die Berliner selbst ahnen: Das Herz der Stadt ist hawaiianisch.

Berlin ist nicht wie andere Hauptstädte, New York, London oder Paris. Es war immer schon die Stadt des kleinen Mannes. Wenn ich Hawaii beschreiben soll, nenne ich es oft eine Kleinstadt, von Wasser umgeben – nun, Berlin ist auch eine Kleinstadt, von Brandenburg umgeben. Wir Berliner sind in etwa so hauptstädtisch wie ein x-beliebiger Aussteiger am Strand von Kailua beim Bewundern des Sonnenuntergangs.

In Hawaii landen die New Ager, die Surfer und Hippies und Penner mit Anspruch, auf der Flucht vor ihren Jobs auf dem Kontinent. Berlin zieht die gleichen Leute an, sie laufen nur mit mehr Klamotten herum hier. Keiner kommt in diese Stadt, um mal richtig Geld zu machen. Sie kommen, um abzuhängen.

Es wird dich freuen zu hören, dass sich Berlin seit deinem letzten Besuch nicht sehr verändert hat. Etwas hat sich schon getan. Erinnerst du dich noch an die ganzen rümpeligen türkischen Lebensmittelläden hier? Die wurden alle renoviert und sind jetzt größer, heller, moderner. Und Döner ist nicht mehr das einzige türkische Fastfood. Überall in der Stadt kannst du jetzt leckeren Kumpir und Çig Köfte kriegen, und wenn ich mich nicht irre, sind auch die ganzen Waffelbuden, die plötzlich an jeder Ecke auftauchen, fest in türkischer Businessman-Hand. Während das „weiße“ Berlin immer noch fleißig die uralte Frage der Integrationsverweigerung diskutiert, haben die Türken, nicht faul, unterdessen schnell mal eine eigene, dynamische Mittelklasse hochgezogen.

Irgendwer hat dir damals bestimmt erzählt, dass unser neuer Flughafen fertig sein würde, wenn du das nächste Mal kommst. Höchstwahrscheinlich ein Nicht-Berliner. Könntest du dir vorstellen, dass Hawaii einen Flughafen in gerade mal vier Jahren fertig kriegt? Ha! Hawaii wäre nicht Hawaii und Berlin nicht Berlin, wenn das möglich wäre.

Auf den Inseln nennen wir das „Hawaii-Zeit“: Zu einer Party kommt man mindestens eine Stunde später, und ein Gebäude wird grundsätzlich nie dann fertig, wenn man es braucht. Das Problem mit Berlin ist: Es gibt leider kein Wort für „Berlin-Zeit“.

Wenn ich darüber nachdenke, ist das das Problem mit Berlin schlechthin: Wir Hawaiianer haben zahllose Begriffe, um der Welt klarzumachen, wer wir sind und dass wir stolz drauf sind: „Hawaii time“, „hang loose“, „shaka“ und mehr. Berliner haben nichts dergleichen. Sie schauen auf ihren Flughafen, auf ihre S-Bahn und ihre Arbeitslosen, und um diese Zustände zu beschreiben, können sie nur die Worte benutzen, die der Rest Deutschlands auch wählen würde: Es sei eine „Schande“, es sei „peinlich“. Lieber sollten wir unsere Stadt hinnehmen, wie die Hawaiianer das tun: „Lucky you live Berlin“ („He – sei froh, du lebst in Berlin“). Möglicherweise ändert sich das aber gerade.

Cool war Berlin schon immer, nur gewusst haben das noch nicht alle. Jetzt schon. Seit du deine Rede an der Siegessäule gehalten hast, ist einiges passiert: Berlin ist inzwischen offiziell coolste Stadt Europas. Und alle wollen ein Stück davon abhaben: das Mädchen mit künstlerischen Ambitionen aus irgendeinem Kaff in Kroatien, der Spanier auf der Suche nach einem Job, der Collegestudent aus Cincinatti, der unbedingt noch ein bisschen internationale Erfahrung sammeln muss. Sie alle sind hier gelandet auf der Suche nach einem Traum. Das hat Amerika groß gemacht: Dort darfst du ungestraft träumen. Genau das gleiche passiert jetzt wieder in Berlin.

Überraschenderweise zieht die Stadt mittlerweile sogar Industrie an. Kein Big Business, aber kleine, hungrige Start-ups mit großen Ideen. Deutschland ist nicht gerade berühmt dafür, besonders innovativ zu sein, aber falls es je so was geben sollte wie einen europäischen Steve Jobs oder Bill Gates, dann wird er hier beginnen, und zwar innerhalb der nächsten zehn Jahre.

Spaziere mal eine Straße entlang, irgendeine, und du wirst die Veränderung spüren. Selbstbewusstsein. Schau dir nur die Werbung an. Das Plakat mit der Kellnerin zum Beispiel, die in dem T-Shirt mit dem Aufdruck „Trinkgeld, sonst Schnauze“ – das ist das Selbstporträt einer Stadt, die weiß, dass sie cool ist. Der Bier- Werbesong „Berlin, du bist so wunderbar“ ist kein Popsong, es ist eine Hymne.

Seit der Weimarer Republik, als Autoren wie Christopher Isherwood („Cabaret“) und Filmemacher wie Billy Wilder in die Stadt schwärmten, um ihr Loblied zu singen, hatte Berlin vergessen, sich selbst zu feiern, wie es sich gehört. Vielleicht, eines nicht allzu fernen Tages, wird jemand wieder mal einen richtig guten Berlin- Film drehen, der um die Welt geht, oder den großen Berlin-Roman des 21. Jahrhunderts schreiben. Zum ersten Mal, seit ich hier lebe – und das ist immerhin seit 15 Jahren –, habe ich das Gefühl, dass diese Stadt nicht nur Spaß macht, sondern dass sich tatsächlich wieder etwas bewegt.

Genau darüber wollte ich mit dir reden. Was sind eigentlich so deine Pläne für die Zeit nach dem Job? Die Rente kommt schneller als man denkt, weißt du.

Warum ziehst du nicht her? Die Berliner würden dich mit offenen Armen willkommen heißen. Vielleicht schreibst du ja dann den großen Berlin-Roman? Du müsstest nicht mal eine neue Sprache lernen. Berlin ist so international geworden, dass inzwischen jeder hier Englisch versteht. Ein bisschen Deutsch solltest du natürlich beherrschen. An den meisten anderen Orten der Erde sollte man zumindest zwei Wörter kennen: „bitte“ und „danke". Hier empfehle ich drei: „bitte“, „danke“ und „Scheiße“. Mehr Worte braucht der Berliner nicht.

Meine Wohnung hat ein Gästezimmer. Ich könnte einen Futon reinlegen. Die berüchtigte Jansen Bar ist gleich die Straße runter – sie machen einen fiesen „White Russian“ dort. Einen Schlüssel habe ich noch übrig und viel Miete würde ich auch nicht nehmen. Denk drüber nach! Meine Nummer hast du ja."

Der Autor, Eric T. Hansen, ist ein amerikanischer Schriftsteller, der seit 15 Jahren in Berlin lebt. Er hat bislang sechs Bücher veröffentlicht, in denen er sich mit seiner Wahlheimat Deutschland befasst, aber zugleich den Deutschen Amerika erklärt. Sein neuestes Buch heißt „Die ängstliche Supermacht – Warum Deutschland endlich erwachsen werden muss“. Der für den Tagesspiegel verfasste Text zur Begrüßung von US-Präsident Barack Obama in Berlin wurde von Astrid Ule ins Deutsche übersetzt. In englischer Originalsprache finden Sie den Text hier.

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