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Berlin: Noch ein Hauptstadtterminal in der Warteschleife

Deutschlands größter Busbahnhof ist ein Sanierungsfall: Impressionen vom ZOB Berlin.

Die S-Bahn spuckt ihn an der Haltestelle Messe Nord aus. Der junge Mann mit den Rasta-Locken schaut etwas hilflos um sich. Wo geht es zum Zentralen Omnibus Bahnhof? Dafür, dass der ZOB ein Verkehrsknotenpunkt für internationale Gäste ist, liegt er ganz schön versteckt. Offensichtlich hat er den Weg dann doch noch gefunden. Mit nichts anderem bepackt als einem kleinen Rucksack, auf dem „Travel Adventure“ steht, taucht er in der Wartehalle auf. Chache kommt aus Spanien, war in Berlin zu Besuch, jetzt fährt er mit dem Bus nach Polen, einen Freund treffen. Danach nach Kopenhagen. Von dort geht der Flieger nach Madrid. Dann wieder Bus fahren, nach Cordoba. Und von dort in sein Dorf. In zwei Tagen will er das alles schaffen. Denn dann hat er sich zum Olivenpflücken auf einer andalusischen Plantage gemeldet.

Der 31-jährige Chache ist einer, den der Geschäftsführer der Betreibergesellschaft IOB, Andreas Horn, einen „jungen Europareisenden“ nennt. Von denen gibt es viele am ZOB, denn sie kennen das Fernbussystem schon aus anderen Ländern, steigen wie selbstverständlich ein und sind sich vielleicht nicht einmal bewusst, dass Deutschland seit der Marktliberalisierung sein Streckennetz gerade erst ausbaut. Die Entwicklung am ZOB ist enorm: „Früher lag die Zahl der An- und Abfahrten im Durchschnitt bei 60 000 pro Jahr“, sagt Andreas Horn. „In diesem Jahr erwarten wir weit über 90 000.“ Die Kapazitätsgrenze liegt bei rund 100 000 An- und Abfahrten.

Neben den Europareisenden nutzen vor allem Preisbewusste die neuen Angebote der Busunternehmen. Und ältere Menschen, denen Busreisen als Urlaubsform längst vertraut sind und die nun auch den Linienverkehr gut finden.

„Früher habe ich immer gedacht, wozu braucht Berlin einen Busbahnhof“, erinnert sich Volker Forkel von der Autowaschanlage gleich nebenan. So ruhig sei es früher gewesen. „Jetzt ist es ganz schön extrem.“ Er sieht die Busse ein- und ausfahren. Und hat selbst mit Parkplatzproblemen für seine Kunden zu kämpfen, weil der Hol- und Bringverkehr zugenommen hat. Vor allem zu Stoßzeiten. Die sind zwischen sechs und neun Uhr morgens sowieso zwischen 17 und 20 Uhr. „Diese stark frequentierten Phasen nennen wir Premiumzeiten“, sagt Horn, „da wollen dann eben alle fahren. Leider verteilt sich die Nachfrage nicht gleichmäßig auf den Tag.“ 27 Haltestellen können gleichzeitig auf dem ZOB genutzt werden, es ist der größte Busbahnhof Deutschlands. Etwa 50 Menschen arbeiten hier, darunter Personal der Betreiberfirma, der Busunternehmen, die eigene Ticketschalter unterhalten, Abfertigungsassistenten.

Gerade eben will ein Bus nach Dresden in Bucht 6 halten. Hinter ihm steht ein Ostsee-Express, vor ihm einer der gelben ADAC-Post-Doppeldecker. Der Fahrer zieht eine Grimasse und rangiert mit Blick in den Rückspiegel. Erst als die anderen beiden abfahren, kann er gerade einparken. Dann stürmen schon die Fahrgäste auf ihn zu. „Zum Glück soll sich hier was tun“, sagt Nachbar Forkel von Cosy Wash. „Der ZOB ist nach seiner Gründung im Mai 1966 nicht nur in die Jahre, sondern auch tendenziell an seine Grenzen gekommen“, bestätigt Andreas Horn. Die Station wäre 2008 fast schon abgerissen und neu bebaut worden. Bis zu dreistöckige Gebäuden sollten am Platzrand für Gastronomie, Läden und Büros entstehen. Das Land wollte aber die nötigen fünfzig Millionen Euro dann doch nicht investieren.Um die noch zu erwartende steigende Nachfrage bedienen zu können, sollen nun 14 zusätzliche Haltestellen auf dem Areal geschaffen werden. Außerdem wurde eine Grundinstandsetzung beschlossen – 3,9 Millionen Euro stehen für beide Vorhaben im Doppelhaushalt des Berliner Senats für 2014 und 2015 bereit, müssen aber noch endgültig bewilligt werden. Eine Sanierung des Terminals ist dringend nötig, er ist seit seiner Eröffnung 1968 nicht erneuert worden. Auf den orangefarbenen Plastikschalen warten Fahrgäste, starren in die Luft, ein älteres Ehepaar teilt sich eine Bockwurst vom Kiosk, eine Frau mit Häkelmütze blättert in einer Illustrierten. Auch einige Obdachlose sitzen am Rand. Es ist warm hier. Aber trostlos. Und jeder Mensch hat seine eigene Geschichte im Gepäck. So wie Cattis. In aller Seelenruhe hat die 29-jährige Schwedin ihr Nagellackfläschchen ausgepackt und fängt an, die Nägel mit Rot zu bepinseln. Aus Zagreb ist sie mit dem Bus hier angekommen. Sie war schon einmal in der Stadt, sagt sie, aber wo zum Teufel sei sie hier gelandet? Spanier Chache hat dagegen kein Problem mit der dezentralen Lage des ZOB, am westlichen Rand der Stadt. „Ihr habt hier ein tolles Verkehrsnetz“, lobt er. Aber er komme ja auch vom Land. Lange ist über eine Standortverlegung des ZOB diskutiert worden, mittlerweile ist sie vom Tisch. Cattis sagt, sie fliegt grundsätzlich nicht, aus ökologischen Gründen. Sie ist Aktivistin. Für was? „Ach, für alles Mögliche. Umwelt. Frauen. Frieden.“ Nebenan haben sich zwei japanische Touristinnen auf den Postkartenständer gestürzt und begutachten die bunten Bildchen vom Brandenburger Tor. Nicht nur die Marktliberalisierung, auch der anhaltende Boom Berlins bei Touristen lässt den Busbahnhof wachsen.

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