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Werbeplakat für Eisenhüttenstadt am Bahnhof Berlin Alexanderplatz.

© Stadtverwaltung/ Frank Eckert

Nicht nur das Umland wird attraktiver: Profitiert auch die Brandenburger Peripherie vom Hauptstadt-Boom?

Das Museum „Utopie und Alltag“ in Eisenhüttenstadt beschäftigt sich mit dem Einfluss Berlins auf das Umland. Am Sonntag gibt es eine Podiumsdiskussion.

Von Sandra Dassler

Brandenburgs Provinz und Berlin – die Gegensätze scheinen so groß, dass sie manche zum Verzweifeln bringen. Andere schreiben Spottlieder. Das mit Abstand bekannteste ist die legendäre „Brandenburg-Hymne“ von Rainald Grebe. Er besingt die Tristesse, vor allem für junge Leute, im Gegensatz zum gelobten „Halleluja! Berlin! Alle wollen da hin“.
Doch ist das – 30 Jahre nach dem Mauerfall – tatsächlich immer noch so? „Nein und Ja“, sagt Florentine Nadolni. „Einerseits wollen und können angesichts der wuchernden Grundstücks- und Mietpreise längst nicht mehr alle nach Berlin. Andererseits stehen dem nach wie vor boomenden Berliner Ballungsraum noch immer schrumpfende Städte in den Randlagen Brandenburgs gegenüber – leider oft auch mit den damit verbundenen sozialen und kulturellen Defiziten.“
Florentine Nadolni ist die Leiterin des Museums „Utopie und Alltag“ in Eisenhüttenstadt, das seit einigen Wochen die Sonderausstellung „Ohne Ende Anfang. Zur Transformation der sozialistischen Stadt“ zeigt. In diesem Rahmen hat sie am Sonntag zu einem Podiumsgespräch eingeladen, das sich vor allem mit der Frage beschäftigen soll, ob neben den Berlin-nahen Orten auch jene an der Peripherie des Landes künftig von der wachsenden Hauptstadt profitieren können.
In der Verwaltung von Eisenhüttenstadt ist man da recht optimistisch. „Unsere Stadt wird zunehmend wahrgenommen“, sagt Christina Chvosta: „Das betrifft zum einen die steigenden Zahlen von Touristen, aber auch das gestiegene Interesse von jungen, kreativen Menschen oder auch kinderreichen Familien, die einfach dem verstärkten Kostendruck in Berlin und im Speckgürtel entfliehen wollen.“
Für diese Zielgruppe, an die sich auch die neue Imagekampagne „Hütte hat was!“ richtet, habe die Stadt einiges zu bieten, sagt Christina Chvosta, die sich um die potenziellen Neubürger oder Rückkehrer kümmert: „Hier gibt es genügend preiswerten Wohnraum, egal ob Mietwohnungen oder Häuser.“
Hinzu kommen ausreichend Gärten, Garagen und Kita-Plätze. Auf die von vielen gestellte Frage „Was kann man nach der Arbeit in Eisenhüttenstadt machen?“ verweist Chvosta auf die zahlreichen kulturellen Angebote und die Sportvereine – von den Tänzern bis zu den Seglern, aber auch auf das Schlaubetal oder das nahe gelegene Kloster Neuzelle.

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Zurzeit berät und betreut sie sechs Zuzugswillige. Die erhalten, falls sie sich für Eisenhüttenstadt entscheiden, zwar keinen finanziellen Obolus wie in anderen Städten, aber eine Begrüßungsmappe vom Einwohnermeldeamt. Mehr als 80 Begrüßungsmappen wurden in diesem Jahr schon vergeben, darunter zwei an Familien aus Berlin. Sie enthalten auch ein Ticket für eine kostenfreie Stadtführung. Schließlich sollen die Zuzügler wissen, dass ihre neue Heimat vor mehr als 70 Jahren als Wohnstadt für die Arbeiter des ebenfalls neuen Eisenhüttenkombinats Ost auf den märkischen Sand gesetzt wurde.

Die Bevölkerung in Eisenhüttenstadt hat sich seit der Wende halbiert

1988 lebten etwa 53 000 Menschen in Eisenhüttenstadt, das bis 1961 Stalinstadt hieß. Heute sind es 24 000. Im Stahlwerk blieben von rund 12 000 Arbeitsplätzen nur etwa 2500 erhalten. „Wir haben inzwischen wieder Zuzug, da aber die meisten Einwohner älter sind, gleicht das die Sterberate nicht aus“, sagt Christina Chvosta. Tatsächlich schrumpfen in Brandenburg immer noch sehr viele Städte, sagt Museumsleiterin Florentine Nadolni, aber keine so sehr wie Eisenhüttenstadt: „Das muss ja aber nicht so bleiben.“

Auch deshalb hat sie zur sonntäglichen Podiumsdiskussion zwei Wissenschaftler der Fachhochschule Potsdam eingeladen, deren Zukunftsentwurf für den Berlin-Brandenburger Verflechtungsraum den 1. Preis im Internationalen Städtebaulichen Ideenwettbewerb Berlin-Brandenburg 2070 errang. Die Architekten Bernd Albers und Silvia Malcovati haben neben dem Teilraum „Tempelhof-Südkreuz“ und „Bernau“ auch „Schwedt an der Oder“ untersucht und entsprechende Vorschläge und Visionen aus städtebaulicher und architektonischer Sicht entwickelt. „Da Schwedt wegen des Petrolchemischen Kombinats (PCK) ähnlich schnell wuchs wie Eisenhüttenstadt, kann man einiges vergleichen“, sagt Silvia Malcovati. So habe man etwa zunächst vor allem die Wohngebäude errichtet und erst später oder überhaupt nicht die geplanten öffentlichen Einrichtungen: „Da fehlt eine richtige Mitte beziehungsweise da befinden sich Lücken und Restflächen, die man so bebauen müsste, dass sie zur Wiederbelebung der Stadtkerne führen.“ Schließlich gilt auch das Image einer Stadt als sogenannter weicher Standortfaktor. Eisenhüttenstadt kann da immerhin mit dem städtebaulich interessierten Tom Hanks punkten, der die Stadt schon zwei Mal besuchte und vor Millionen US-amerikanischen Fernsehzuschauern von ihr schwärmte. Schwedt galt hingegen schon Rainald Grebe neben dem Cottbuser Entertainer Achim Menzel als Inbegriff brandenburgischer Provinzialität. „Im Adlon ist heut Nacht Hillary Clinton! In Schwedt kann Achim Menzel das Autohaus nicht finden!“

Infrastruktur ist entscheidend

Vielleicht nicht schlimm – denn Autohäuser werden künftig ohnehin eine weniger wichtige Rolle spielen, sind sich die Potsdamer Architekten einig. „Die zukünftige Mobilität wird durch Schienenverkehr geschaffen“, sagt Bernd Albers. Der Ausbau des Straßen- und Autobahnnetzes stelle – wie auch im gemeinsamen Landesentwicklungsplan von Berlin und Brandenburg berücksichtigt – vor dem Hintergrund der Klima- und Energiewende keine befriedigende Lösung dar. Vorangetrieben durch die digitale Wende, werde sich das Stadtwachstum an den Bahnlinien orientieren. Pech für Schwedt, dass es nicht an die Bahnlinie Berlin-Stettin angeschlossen wird. Glück für Eisenhüttenstadt, dass dort der Regionalexpress 1 Magdeburg- Berlin-Frankfurt (Oder)-Cottbus fährt. „Mit dem braucht man eineinhalb Stunden bis Berlin – eine Fahrzeit, die in anderen Großstädten wie etwa Paris für Berufspendler völlig normal ist“, sagt Florentine Nadolni. „Und weil immer mehr öfter im Home Office arbeiten, wird es auch immer attraktiver, in einer ruhigen grünen Klein- oder Mittelstadt statt in einer lauten, stressigen Großstadt zu wohnen.“ Tatsächlich hat der Minister für Infrastruktur und Landesplanung, Guido Beermann (CDU), vor wenigen Tagen die neue Strategie zu Stadtentwicklung und Wohnen vorgestellt. Sie geht davon aus, dass die „räumliche Polarisierung zwischen dem dynamischen, zunehmend verdichteten Berlin-nahen Raum und dem weiteren Metropolenraum für Brandenburg weiterhin strukturbildend“ ist. Das stärke zwar Berlin-nahe Städte, birgt aber aber auch Belastungen und Konflikte durch angespannte Wohnungs- und Immobilienmärkte, hohen Infrastrukturbedarf etwa im Sozial- und Bildungsbereich sowie im Personen- und Güterverkehr. Auch deshalb könnten die an den auf Berlin zulaufenden Achsen des Schienenregionalverkehrs gelegenen Städte „in der zweiten Reihe“ Entlastungsfunktionen unternehmen und von der Ansiedlung von Bevölkerung und Arbeitsplätzen besonders profitieren. Zwar werde sich in den sonstigen Städten im weiteren Metropolenraum der Bevölkerungsrückgang fortsetzen, aber auch für sie seien positive Effekte durch andere Faktoren wie etwa die Digitalisierung nicht ausgeschlossen. Florentine Nadolni findet das ermutigend. Sie geht fest davon aus, dass sich das Umland der Hauptstadt immer weiter ausdehnt. Und dass so zunehmend auch Städte interessant werden, die wie Eisenhüttenstadt früher einfach nur jottwehdeh waren, wie der Berliner sagt: Janz weit draußen.

Die Podiumsdiskussion „Leben am Rande der Metropole“ findet am Sonntag um 14 Uhr im ehemaligen Möbelkaufhaus in der Lindenallee 24 in Eisenhüttenstadt statt. Die Ausstellung „Ohne Ende Anfang. Zur Transformation der sozialistischen Stadt“ ist noch bis 29. Mai 2022 im Museum Utopie und Alltag in Eisenhüttenstadt zu sehen. Weitere Informationen unter www.utopieundalltag.de

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