zum Hauptinhalt
Abstandsregeln kann man auch vertikal einhalten: Die Berliner Cappella beim ersten Testlauf in der Gartenstraße.

© Nico Burkhard

Neustart Amateurmusik: Die singende, klingende Fassade

Eine öffentliche Chorprobe aus 40 Hotelfenstern: Die Berliner Cappella lädt am Donnerstag zur ersten Folge ihres ungewöhnlichen Projekts nach Mitte.

Eine singende, klingende Fassade über neun Stockwerke als extended version der Corona-Balkonkonzerte – was für eine Idee. 40 Sängerinnen und Sänger werden an diesem Donnerstag aus den Fenstern von 40 Hotelzimmern eine öffentliche Chorprobe abhalten, ab 19 Uhr im Innenhof des Hotels Leonardo am Bertolt-Brecht-Platz in Mitte. „Abstand kann man auch halten, wenn man den Chor in der Höhe staffelt“, sagt Stimmbildner Burkhard von Puttkamer, der das Projekt der Berliner Cappella, einem der großen Laienchöre der Stadt, mitorganisiert hat. Er schwärmt von dem Setting: Das komplett geschlossene Areal biete für den Chorklang eine fantastische Akustik.   

Wobei die Außenraumakustik eine besondere Herausforderung darstellt, erklärt Putkamer, der auch solistisch auftreten wird. Die Mitglieder des Laienensembles hören die anderen Sänger zwar leiser als sonst, sie sollten aber gerade nicht lauter singen. Sie können vielmehr darauf vertrauen, dass ihre Stimmen tragen und zum vollen, obertönigen Sound zusammenfinden. Auch die Höhenangst will berücksichtigt sein. Schließlich muss jeder direkt an der Balustrade stehen, noch in der obersten Etage. Neben romantischen Werken von Johannes Brahms und Friedrich Silcher wird auch Orlando di Lassos doppelchöriges „Echo“-Lied gesungen; die kleinere Echo-Gruppe im 8. und 9. Stock setzt sich dann aus schwindelfreien Chormitgliedern zusammen.

Bis Ende August soll es noch mehr „Klingende Fassaden“-Termine geben. Die Serie wird mit Geldern aus dem „Neustart Amateurmusik“-Programm des Bundes realisiert, das besonders  impulsgebende, originelle Pilotprojekte unterstützt. Rund 8000 Euro gab’s für den Antrag der Berliner Cappella. Insgesamt eine Million Euro konnte der Bundesmusikverband Chor und Orchester als Dachverband der Laienensembles ausschütten, mit einer weiteren Million wurde  ab Herbst 2020 ein Kompetenznetzwerk samt Wissenplattform mit Infos und praktischen Hilfen für die Basis aufgebaut. 1200 Projekte bewarben sich dann während der vierwöchigen Antragsfrist für die Direktförderung im März. 

„Die Resonanz aus ganz Deutschland war beeindruckend“, sagt Projektleiterin Dörte Scheurich und bedauert es, dass mit den Geldern nur 109 Initiativen zum Zug kommen. Viele mit Herzblut und hohem ehrenamtlichem Engagement entwickelte Ideen gingen vorerst leer aus. Aber Scheurich ist zuversichtlich, dass es eine zweite Runde gibt. Sie geht fest davon aus, dass mit der Gesamtaufstockung der Bundeskulturhilfen auch die Amateurmusik erneut berücksichtigt wird.

[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Die Laienszene hat mit am meisten unter den Lockdowns gelitten. Bundesmusikverbands-Präsident Benjamin Strasser spricht von einem „schwarzen Jahr“ mit täglich 1400 Konzertausfällen. Ohne die komplette Freigabe von Innenräumen rechnen sich Auftritte für die selbstständig wirtschaftenden Ensembles nach wie vor kaum. Und wegen der Aerosol-Last stehen gerade Chöre unter Generalverdacht, Profis wie Laien. Das macht den Wiedereinstieg nicht leichter.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Um so schöner, dass sich unter den geförderten Berliner Pilotprojekten zwei weitere Chor-Initiativen finden: ein musikalischer Spaziergang durch „Berlin zu Zeiten der Pest“ des Consortium Vocale Berlin in Alt-Cölln (21. August) und der Gospeltag „Black and White“ in Steglitz (7. August). 

Die Berliner Cappella machte für die öffentliche Probe einen Testlauf in einer Wohnanlage

Auch die Berliner Cappella kann erst seit wenigen Wochen wieder proben, mehr als nur digital, auf dem Parkdeck der Allegro-Grundschule, ihrem angestammten Probendomizili in der Lützowstraße. Man arrangiert sich mit den Anwohnern, wirbt um Verständnis, nimmt Rücksicht. Schließlich klingen draußen singende Laien in manchen Ohren eher nach Lärmbelästigung.  

[Schon 250.000 Abos: Suchen Sie sich Ihren Tagesspiegel-Newsletter für Ihren Bezirk aus! Jetzt hier kostenlos: leute.tagesspiegel.de]

Für die Fassadenprobe an diesem Donnerstag haben sie letzte Woche in einer Wohnanlage in der Gartenstraße unweit des Nordbahnhofs geübt. Auch hier bot der Innenhof eine tolle Akustik zwischen Apartments und Townhouses. Burkhard von Putkamer, der selber dort wohnt, hatte es nicht schwer, die Nachbarschaft zu überreden, ihre Balkone zur Verfügung zu stellen. Denn die Anwohner mochten seine improvisierten kleineren Balkon- und Hofkonzerte im letzten Jahr, diesmal hörten 200 Leute zu.  

Raus aus dem Lockdown: Endlich wieder Öffentlichkeit, auch für die Laienchöre

Mehr soziale Nähe, mehr Miteinander, auch dafür sorgen die Hofgesänge. Putkamer freut sich über den zusätzlichen Bildungseffekt. „Viele waren geflasht davon, in den Probenprozess eingebunden zu werden und zu erleben, dass Singen nicht nur Spaß macht, sondern auch Arbeit bedeutet“, erzählt er vom Testlauf.  

Eine ähnliche Wirkung erhofft sich die Berliner Cappella vom Fassaden-Auftritt im Leonardo-Hotel. Architektur und Musik, spätestens seit der Renaissance spielen sie ineinander. Andere Chöre werden ermuntert, ebenfalls verrückte Ideen zu realisieren. Nicht zuletzt sorgt die Outdoor-Probe dafür, dass die so lange im Lockdown verschwundenen Sängerinnen und Sänger endlich wieder öffentlich sichtbar werden. Die nächste Folge der „Klingenden Fassaden“  ist für den 1. Juli geplant, im Hof des ehemaligen Rathauses Wilmersdorf am Fehrbelliner Platz.
Weitere Infos: https://berliner-cappella.de/

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false