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Anlass zu Freudensprüngen: Skater, Kletterer, Kinogänger, Künstler und Kunsthandwerker bleiben auf dem RAW-Areal.

© David Heerde

Bürgerinitiative: Neuer Wirbel um Mediaspree

Zwei Jahre nach dem Bürgerentscheid ist die Initiative gespalten. Der radikale Flügel droht mit "Aktionen". Die Nutzer des RAW-Areals bekommen langfristige Mietverträge.

Einen der „größten stadtentwicklungspolitischen Erfolge“ nennt der Bezirksbürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg, Franz Schulz (Grüne), die Erhaltung des denkmalgeschützten Reichsbahn-Ausbesserungswerkes (RAW). Denn die Nutzer des Areals, eine quirlige Mischung aus Sportlern, Kleinkünstlern, Kunsthandwerkern und Clubbern, melden: „Wir haben einen Mietvertrag über zehn Jahre mit den Grundeigentümern abgeschlossen“, sagt Tobias Freitag. Erhalten bleiben Skaterhalle, Kletterkegel, Musikclub Cassiopeia und Freilichtkino. Auch der Verein „RAW-Tempel“ hat einen „Vorvertrag“ über eine langfristige Nutzung abgeschlossen. Der Investor, so scheint es, hat den in der linken Szene befürchteten „kompletten Abriss“ vorerst aufgegeben.

Danach sah es hier, so wie bei vielen anderen Projekten des nahe gelegenen Entwicklungsgebietes Mediaspree, lange Zeit nicht aus. Mitte der neunziger Jahre hatte die Firma R.E.D. einen umstrittenen städtebaulichen Entwurf vorgelegt: Zwei Hochhäuser, ein großflächiges Einkaufszentrum und viele, eng zusammen- gestellte Neubauten sollten die Altbauten ersetzen. Für Carsten Joost, Aktivist von „Mediaspree versenken!“, sind deshalb „die Mietverträge fast ein Wunder bei dem selbstherrlichen Vorgehen des Grundstückseigentümers“´.

Joost gehört gewissermaßen der „Realo“-Fraktion der Bürgerinitiative zur Mediaspree an. Diese hatte im Sommer vor zwei Jahren mit rund 30 000 Stimmen überraschend die Pläne zur Entwicklung der begehrten Uferlagen gestoppt. Unterstützt wurde sie bald auch vom Bezirk. Bürgermeister Schulz musste als Grüner keine politischen Rücksichten auf die Stadtentwicklungsziele des rot-roten Senats nehmen. So kam es zu einem langen und zähen Ringen für mehr Fußgängerwege an breiteren Ufern und weniger dichter Neubebauung. Die Hälfte der Pläne wurde korrigiert.

Bezirk und Initiative fremdelten aber trotzdem zunehmend miteinander. Und auch „die Bürgerbewegung“ spaltete sich auf: in die gemäßigte, verhandlungsbereite Gruppierung „Initiative Mediaspree versenken!“, in die „Spree-Piraten“ und den „Arbeitskreis MediaSpree entern!“. Dieser ist bestenfalls per E-Mail erreichbar und schreckt vor Aktionen am Rande des Legalen nicht zurück. Nun, zwei Jahre nach dem Bürgerentscheid gegen die Mediaspree-Pläne, ruft der radikale Flügel „Arbeitskreis MediaSpree entern!“ zu neuen Aktionen auf: Am 5. Juni will man die „nur auf hohe Profite ausgerichteten Nutzungen kreativ und effektiv stören“. Begründung: Das Ergebnis des Bürgerentscheids gegen die ursprünglichen Baupläne sei „weg-bürokratisiert“ worden.

Der Aufruf erschien im Heft „Interim – Polit-Info aus Berlin“. In dem Autonomen-Szenemagazin erschien Ende vergangenen Jahres die detaillierte Beschreibung einer Brandbombe, wie sie kurz zuvor in einen Kreuzberger Luxusbau in der Glogauer Straße geworfen worden war. Die Staatsanwaltschaft ermittelt.

In der aktuellen Interim-Ausgabe wird der Personalausweis des Chefs der Eigentümer-Firma des RAW-Geländes abgedruckt. Auch das amtliche Kennzeichen seines Autos wird genannt. Der Firma, die mit den Nutzern des Areals Mietverträge unterzeichnet hat, wird unterstellt, den „komplett-Abriss“ zu planen, der aber wegen des Denkmalschutzes nicht umsetzbar ist. Der Staatsanwaltschaft ist der Fall nicht bekannt. Die Heftmacher seien aber kaum ermittelbar, heißt es.

In der Szene zuckt man die Schultern und nennt das Heft „Abladeplatz für alle möglichen Fantasien“. Udo Glas, Vereinsvorstand des „RAW-Tempel“, der 60 Nutzer des Beamtenwohnhauses und des Verwaltungsgebäudes auf dem umkämpften Areal vertritt, berichtet, dass auch der Tempel einen Vorvertrag für die Nutzung der beiden Gebäude über zehn Jahre unterschrieben habe. „Es war ein harter Kampf, aber man kann sich nicht beklagen“, bilanziert er. Ganz durch ist man auch noch nicht: Das dritte Gebäude, das „Ambulatorium“, will der Verein ebenfalls langfristig mieten.

Das erfreut die Realos aus der Bürgerinitiative, auch wenn Joost und andere das Ergebnis der Umplanungen an der Mediaspree zwei Jahre nach dem Bürgerentscheid enttäuschend nennen: „Für knapp die Hälfte der Grundstücke gab es nur kleine Veränderungen.“ Eine Richtungsumkehr, wie es die Bürger gefordert hätten, sei das aber nicht, sagt er. Deshalb sei die Unzufriedenheit in der Szene groß. Die Realos mobilisieren ebenfalls: für den 10. Juli zu einem „Sternmarsch auf das Rote Rathaus“. Ihre wichtigsten Forderungen: Den Verkauf des Grundstückes, auf dem der Club „Maria am Ostbahnhof“ liegt, verhindern. Außerdem verlangen sie den Stopp von Grundstücksverkäufen am Osthafen, solange die Bebauungspläne nicht öffentlich ausgelegt sind, wie es das Gesetz vorschreibt.

Realpolitische Ziele reklamiert auch Bezirksbürgermeister Schulz für sich: Der Senat habe wiederholt gedroht, im Falle zu radikaler Eingriffe zulasten der Investoren das Planungsverfahren für die Mediaspree an sich zu ziehen. Inzwischen hat aber auch der Druck von Investoren wegen der Wirtschaftskrise nachgelassen: Der Baukonzern Hochtief bemüht sich seit Jahren erfolglos um einen Nutzer für ein bereits gekauftes Grundstück. Allenfalls Hotelbetreiber bekommen wegen des Berliner Tourismus-Booms Kredite für Bauprojekte. Nahe der Schillingbrücke und östlich der Oberbaumbrücke entstehen zwei neue Häuser. Auch „Labels“ würde gerne ein drittes Modezentrum bauen. Die Verhandlungen laufen noch.

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