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Wer gerne fliegt, freut sich auf die Hoffmannkurve am BER. Andere Passagiere werden sich wundern und beunruhigt sein.

© imago images/Rüdiger Wölk

Update

Routen am neuen Flughafen: Neue Südbahn eröffnet – Jetzt startet die „Kotzkurve“ am BER

Idee eines Privatpiloten: Bei Ostwind gibt es nach dem Abheben eine „Stuntkurve“. Sie ist laut Behörden sicher, birgt aber Risiken. BER-Südbahn ist eröffnet

In Berlin wird jetzt am neuen Hauptstadtflughafen so geflogen, als grenze der BER im Osten an ein gigantisches Bergmassiv, dem die Flugzeuge ausweichen müssen: Am 4. November wurde die neue Südbahn eröffnet - das erste Flugzeug, was dort landete, war um 9.50 Uhr der Flug QTR 081 aus Doha. 

Ab sofort können Piloten bei Windstille oder Ostwindlage die Hoffmannkurve fliegen - das bedeutet, dass sie wenige Sekunden nach dem Abheben und noch über der Südbahn eine drastische Rechtskurve einleiten. Für Donnerstag ist Nebel vorhergesagt - Windstille.

In Pilotenkreisen wird das Manöver mitunter auch als Stuntkurve, von Passagieren mit Flugangst als „Kotzkurve" bezeichnet. Zumindest werden sich viele Passagiere erschrecken und Herzklopfen oder schweißnasse Hände bekommen, wenn ein Start völlig anders verläuft als gewohnt und womöglich nichts angesagt wird.

Um Lärm über den im Osten an den Flughafen grenzenden Gemeinden zu vermeiden, müssen die Piloten gleich nach dem Abheben und schon ab 180 Meter Höhe - das ist halbe Fernsehturmhöhe - eine 145-Grad-Kurve einleiten.

Dicht über dem Boden erst rechts, dann wieder links in die Kurve

Die Flugzeuge werden dann, knapp nach dem Abheben und noch von Hand gesteuert, im gerade begonnenen Steigflug mit etwa 25 Grad Schräglage, recht dicht über der Erde und knapp vor der Autobahn, in die Kurve gehen. Bei Weiterflug nach Osten wird dann bei der "doppelten Hoffmannkurve" gleich wieder in eine erneute Kurve, diesmal nach nach links, gegangen. Mit Ziel im Westen bleibt die Maschine dauerhaft in Schräg- und Steiglage.

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Das Flugverfahren wiederum freut die Einwohner der östlich des BER gelegenen Gemeinden wie Zeuthen und Wildau, weil die Maschinen sie nicht überfliegen, sondern vorher beidrehen, sie also von Fluglärm verschont werden sollen.

Allerdings gibt es auch Flugexperten, die vermuten, dass die Turbinen dann im Verlauf der Kurve doch durch den Rückstoß und wegen der Streuung laut zu hören sein werden. Es wird sich bald zeigen: Nach der Windvorhersage für Schönefeld wird frühestens Freitagabend oder Sonnabendfrüh eine Ostwindwetterlage erwartet. Nach Westen, beim in der Region vornehmlich herrschenden Westwind, starten die Flugzeuge, wie im Flachland gewohnt, weiter erstmal minutenlang geradeaus, bis auf größerer Höhe ein erster Kurvenflug eingeleitet wird.

So wird die Hoffmankurve am neuen BER geflogen.
So wird die Hoffmankurve am neuen BER geflogen.

© Tagesspiegel/Rita Böttcher/ Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung

Die Idee zu dem auf Deutschlands Großflughäfen recht einzigartigen Flugmanöver hatte der Privatpilot und Ruheständler Marcel Hoffmann aus Eichwalde, heute 70 Jahre alt: „Wenn die Maschine abgehoben hat, kann man die Sekunden zählen: 21, 22, 23 – und dann legt sich das Flugzeug teils noch über der Startbahn sanft rein in die Kurve", hatte er noch 2013 dem Tagesspiegel am BER erklärt.

Sieben Jahre später wurden nur minimale Details an der „Hoffmannkurve" geändert, also die Routen länger gezogen, nicht aber die Kurve abgemildert. Die Pilotengewerkschaft Cockpit hatte bei der Flugroutenfestlegung Bedenken angemeldet, weil eine Kurve so rasch nach dem Start "die Sicherheit ohne Not reduziert".

Bundesaufsichtsamt bezeichnet Kurve als anspruchsvoll

In der „kritischen Startphase“ wollten sich Flugkapitäne lieber allein auf den Steigflug konzentrieren. Zusätzlich eine - auch laut Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung (BAF) - anspruchsvolle Kurve per Hand zu fliegen, erhöhe die Komplexität im Cockpit, was in einem Notfall - Triebwerksprobleme, Vogelschlag, technische Fehler - zum Problem werden könnte. Kurven seien generell fehleranfälliger und das Sicherheitspolster werde dünner, wird auch heute wieder in Pilotenkreisen diskutiert.

Ein Flugzeug startet vom BER und liegt in der Hoffmannkurve. Aufgenommen wurde das Foto von einem Planespotter.
Ein Flugzeug startet vom BER und liegt in der Hoffmannkurve. Aufgenommen wurde das Foto von einem Planespotter.

© privat

Das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung wollte die Flugroute nochmal gesondert prüfen. Die sogenannte Hoffmannkurve war anfangs lediglich per Flugsimulation theoretisch getestet und zur Lärmbelastung geprüft worden - Politiker und Experten mahnten, die Sicherheit genau zu prüfen. Laut Piloten werde der Regelfall geprüft, nicht besondere Ausnahmesituationen. Laut Bundesamt für Flugsicherung kann dann jeder Flugkapitän das Flugverfahren in einem potenziellen Notfall sofort ändern.

Laut BAF-Auskunft ist die Flugroute indes absolut sicher und entspricht allen aktuellen Luftfahrtvorschriften. Zudem werde sie nach der BER-Öffnung nun lange in der Praxis geprüft. Klagen gegen die Route hatte das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg abschlägig beschieden.

Piloten dürfen alternativen Geradeausflug wählen

Laut BAF schlagen die Planungsabteilungen der Fluggesellschaften den Piloten die Flugrouten vor, dabei werde auf Zeit, Wirtschaftlichkeit und auch auf den Klimawandel geachtet. Daher sei wahrscheinlich, dass die Fluggesellschaften die Hoffmannkurven für kürzere Flugzeiten empfehlen. Wenn das Flugzeug größer sei als eine Mittelstreckenmaschine oder ein Pilot etwa wegen weniger Auftriebs bei wärmerem Wetter lieber anders starten wolle, können Flugkapitäne zudem beim Tower die Erlaubnis für einen Geradeausstart erbitten, bei dem das Abdrehen dann weit später und in großer Höhe geschieht. Flugkapitäne seien verantwortliche Menschen mit hohem Selbstbewusstsein, und Sicherheit stehe immer an erster Stelle, so die BAF-Experten.

Nach Tagesspiegel-Informationen müssen laut BAF-Flugrouten-Experte Wolfgang Ruths Piloten bei der Ausführung der Hoffmannkurve auch noch den „Steiggradienten“ miteinbeziehen: Trotz der Kurve mit geringerer Steigung müssen sie im Kreuzungsbereich südlich von Schönefeld dann höher als anfliegende Maschinen in der Luft sein. Beim BER starten und landen Flugzeuge auf beiden Bahnen sowohl von und nach Norden sowie von und nach Süden, auch dies sei in Deutschland auf Verkehrsflughäfen eher selten.

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