zum Hauptinhalt
Uwe Lehmann

© privat

Nachruf auf Uwe Lehmann: Großartig! Unausstehlich!

Er schwor sie oft, die große Liebe, er machte Pläne. Doch dann kam wieder was dazwischen, und er musste weiter, immer weiter.

Von David Ensikat

Es gibt die Glücklichen, die sind sich selbst genug. Sehr weit werden die es nicht bringen, wozu auch, sie sind ja schon bei sich. Etwas häufiger sind jene anzutreffen, die vor sich selbst davonlaufen, je weiter, desto besser. Ihre Sehnsucht: Aufmerksamkeit und Liebe, doch davon gibt es nie genug. Man schaut auf sie, man liebt sie, großartige Menschen, unterhaltsam, ermutigend, beharrlich. Das alles umso mehr, je weniger sie sich selbst genügen.

Uwe also, ein Menschenfänger, der alles dafür gab, gesehen und geliebt zu werden, und der ebenso viel tat, um seinen Verdacht zu bestätigen, dass einer wie er den Zuspruch nicht verdient.

Ilko erzählt von ihm. Er möchte, dass sein Name in diesem Nachruf vorkommt: Ein Beleg dafür, dass Uwe unrecht hatte. Dass es die Liebe zu ihm gab.

In der Schule haben sie sich kennen gelernt, damals in Friedrichshagen, im Südosten von Berlin. Ilko war stolz, Uwes Freund zu sein, das wollte damals jeder. Uwe war sportlich, Uwe ließ sich von niemandem was sagen, Uwe erzählte die besten Geschichten. Er war der Typ, der die hübschesten und klügsten Mädchen abbekam, dabei war er selbst gar nicht der Hübscheste und Klügste. Er wusste nur, wie man das anstellt mit den Mädchen. Anquatschen, keine Angst vor nichts, lustig sein, Geschichten erzählen. Und Komplimente machen. Das konnte keiner so wie Uwe. Auch Ilko machte er Komplimente, immerzu: Du bist der Schlaueste! Beweis: Du bist mein Freund!

Uwe und Ilko, 15 Jahre jung

© privat

Den Rest besorgte die Schule. Die fanden beide bescheuert. Dieses Gerede von Staat und Sozialismus, was hatten sie damit zu tun? Uwe kam aus einem Handwerkerhaushalt, da zählten diese Dinge sowieso nichts. Wenn sie geschwänzt hatten, besorgten sie sich das Klassenbuch und entfernten ein paar U. Aus UE für „unentschuldigt“ wurde E, „entschuldigt“.

Uwes erste feste Freundin hieß Cosima, und die war neben schön und klug auch noch katholisch. Sie nahm Uwe mit zur Jungen Gemeinde, wo er Achtung und Wärme fand, wie er sie von zuhause nicht kannte. Außerdem konnte man sich nirgends weiter von Staat und Sozialismus fortbewegen.

Man trug man die Haare lang, Jeans waren Pflicht - und sie machten Musik. Kann sein, dass er schon vorher eine Gitarre in der Hand gehabt hatte, jetzt aber lernte er, dass man damit nicht nur Töne erzeugt, sondern auch Aufsehen und Beifall, und immer mehr davon, je besser man das Ding bedient. Wenn jemand ihn für faul hielt, weil die Schule ihn nicht interessierte, lernte er jetzt, wie sehr Uwe sich anstrengen konnte. Er spielte bei den „Jazz Brothers“, einer Band von lauter Friedrichshagenern, die den Dixieland so hart und schnell spielten, als sei das ihr Punk. Und die trotzdem Erfolg damit hatten.

Nie mehr verlassen werden!

Als Cosima sich für einen anderen entschied, war das ein harter Schlag. Uwe war doch der, den alle wollten. Seine Konsequenz: Wenn die Beziehung zu einer Frau ins Straucheln geriet, wollte er der sein, der ging. Nie mehr verlassen werden! Oft ist ihm das gelungen, und wenn nicht, erzählte er es trotzdem so.

Ilko hat etliche von den Geschichten mitbekommen. Die Frauen wendeten sich an ihn: Was ist nur mit Uwe los? Du kennst den doch. Ja, genau, und deshalb wusste er, dass er nicht helfen konnte. Uwe musste weiter, nach der großen Liebe suchen. Er schwor sie oft, ganz groß, er machte Pläne, und er meinte es bestimmt auch so, in dem Moment. Doch dann kam wieder was dazwischen. Und klar, dass er dann der war, der sich verraten fühlte. So hochfliegend Uwe Liebe und Treue geschworen hatte, so heftig wandte er sich ab.

Als sie die Mauer aufmachten, war er gerade bei der Armee, bei den Bausoldaten. Da war er unter guten Leuten, allesamt hatten sie sich geweigert zu schießen und mussten deshalb arbeiten. Uwe erzählte später, dass er für ein paar Wochen im Armeeknast gelandet sei. Ilko wusste, dass das Quatsch war, aber so wie Uwe sie erzählte, war die Geschichte trotzdem gut.

Er lebte von der Musik, und das lief im großen Deutschland ziemlich anders als damals im Osten. Man musste beweglicher sein, sich anbieten, dort mitspielen, wo es was zu verdienen gibt. Uwe war Profi, hervorragend am Instrument, flexibel bei den Stilrichtungen. Und er konnte ja mit den Leuten. Er verdiente gut und beteiligte sich gern an den Ritualen der Musiker, die nach dem Auftritt nicht sofort ins Bett gehen. Er hatte schon früher etwas mehr getrunken, mit den Jahren wurde es sehr viel mehr. Andere Drogen kamen dazu.

Man muss doch was darstellen!

Sie kosteten viel Geld, genauso wie die teuren Gitarren und die Klamotten. Oh, die waren wichtig. Man muss doch was darstellen!

Dass Uwe nicht fürs Familienleben gemacht war, liegt nah. Danach gesehnt hat er sich bestimmt, versucht hat er es zweimal. Für seine zwei Kinder war er viel zu selten da. Musste halt immer weiter, immer woanders Zuspruch, Liebe suchen. Ob er sie je fand? Ilko kennt genügend Liebende und Zusprechende, er selbst ist einer, und er staunt, wie viel Sympathie selbst bei solchen blieb, von denen Uwe sich empört abgewendet hatte.

Seit zehn Jahren ging es steil bergab mit ihm. Ein Unfall, Hand kaputt, Schluss mit dem Beruf. Dann ein halbes Jahr Knast, wegen einer idiotischen Geldsache. Entzugsklinik, etliche Klinikaufenthalte und immer weiter mit dem Suff.

Uwe wurde Einzelfallbetreuer, auf ihn trifft der Spruch vom hilflosen Helfer ganz gut zu. Heulend erzählte er Ilko von den beschissenen Verhältnissen, aus denen er Kinder rausholen sollte. Ilko sagte: Der Job ist nichts für dich. Bring deinen eigenen Scheiß erstmal in Ordnung.

Aber er wusste ja, dass man Uwe nehmen musste, wie er eben war. Von der Sauferei würde er den Freund nicht lösen, das konnte der nur ganz allein. Wenn sie über den Tod sprachen, das taten sie seit ihrer Jugend, dann erschien es ihm, Ilko, trotzdem absurd, wenn Uwe ihn darum bat, dereinst an seinem Grab die Rede zu halten. Am 24. Februar hat er es getan.

Er hat erzählt, wie großartig Uwe war und wie unausstehlich. Und dann: „Nun ist Deine Reise endgültig zu Ende. Und wir bleiben auf unserer Liebe sitzen.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false