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Uwe Knickrehm

© privat

Nachruf auf Uwe Knickrehm: Ein Held braucht Krisen

Als Kommunist ist er gescheitert, als Kapitalist ebenso. Ein gescheitertes Leben? Keineswegs!

Von David Ensikat

Was er alles hätte werden können. Millionär! Bundeskanzler! Wenn er davon sprach, steckte sicher etwas Ironie darin. Aber ein bisschen ernst meinte er das auch, das Zeug dazu hätte er womöglich gehabt. Was das Wirtschaftliche anbelangt, kann man wenig sagen, vielleicht hatte er da einfach Pech. Vielfach bescheinigt wurde ihm sein politisches Geschick. Leider hat er aufs falsche Pferd gesetzt, und jetzt sitzt ein anderer Ex-Linker im Kanzleramt.

Aber von vorn. Kindheit und Jugend in Hamburg Wilhelmsburg, der Vater war Spediteur und pflanzte Uwe eine lebenslange Liebe zum Automobil ein. Die stand in merkwürdigem Gegensatz zum Rest seines Tuns. Wie auch die Begeisterung für Comics und Science Fiction eher als Gegenwelt zu begreifen sind denn als Ergänzung zu seinen, wie soll man sagen, beruflichen Anstrengungen.

Was er mal werden wollte, war unklar, also versuchte er es mit einem Pädagogikstudium. So beliebig die Fachrichtung, so wesentlich der Schritt an die Universität. Niemand kann mehr sagen, wie viele Semester Uwe Knickrehm an der Uni verbracht hat, zwei Dutzend werden es mindestens gewesen sein, der Abschluss war egal. Man kann das mit der Stringenz seiner Berufswahl erklären: Revolutionär.

Ein realistischer Revolutionär

Denn er war Realist. Er sah, wie schwer es fiel, die Revolution in die breite Gesellschaft zu tragen. An den Universitäten war man dem Umsturz gegenüber viel aufgeschlossener. Wer es in den 70ern zu etwas bringen wollte, in den linken Gremien, den Studentenvertretungen, der betätigte sich bei der mächtigsten Verbindung. Das war der Marxistische Studentenbund Spartakus, eine Unterorganisation der Deutschen Kommunistischen Partei, DKP. Hier hielt man sich nicht mit basisdemokratischem Schnickschnack auf, Spontanität überließ man den Spontis.

Uwe Knickrehm entdeckte sein Talent zur freien Rede, erwies sich als geschickter Stratege, er fühlte sich wohl in nächtelangen Sitzungen und konnte mit Jubel wie Schmähung souverän umgehen. Von der Uni Hamburg ging er nach Bonn, weil da der Bundesvorstand der Jungspartakisten saß, dann wieder nach Hamburg und schließlich, als Funktionär der DKP, nochmal nach Bonn. Er war, so sagen Freunde, kein Betonkopf, dafür liebte er die Auseinandersetzung viel zu sehr. Ein Theoretiker war er ebenso wenig, die Marx-Engels-Werke sollten die anderen lesen. Er liebte es konkret und stritt für höhere Bafög-Sätze und, nicht ganz ohne Eigeninteresse, gegen Regelstudienzeiten.

Daneben blieb kaum Zeit fürs Studium, geschweige denn fürs Geldverdienen. Wovon also lebte er? Die kommunistische Partei, letztlich also die klamme DDR, zahlte ihm ein schmales Funktionärsgehalt. Er brauchte auch nicht viel. Trank nicht, zog nur fürs Foto mal an einem Zigarillo, wohnte in WGs, und machte einen Sport daraus, das Dienstauto von Bonn nach Hamburg zu steuern, ohne auf die Bremse zu treten. Das sparte Zeit und Sprit.

Die Karriere als studentischer Berufsrevolutionär könnte man als Aufschub des Erwachsenwerdens deuten. Umso nachhaltiger die Desillusionierung in den späten Achtzigern. Uwe Knickrehm sollte seinen Funktionärsweg in der DKP fortsetzen, stieß auf immer mehr Fragen, die immer schwerer zu beantworten waren - warum etwa waren westdeutsche Kernkraftwerke gefährlich, die in der DDR aber nicht? -, er wollte mit der „Friedensliste“ mehr Menschen erreichen, was nicht klappte, er versuchte, der DKP Gorbatschows Demokratisierung überzuhelfen, scheiterte und trat aus.

Viele seiner ehemaligen Genossen versuchten sich in gemäßigten Parteien. Er war da konsequenter. Wenn du das System nicht ändern kannst, mach es dir zu eigen. Er machte einen Computerladen auf, er expandierte, er wollte Geld verdienen. Doch leider gehört zum Kapitalismus nicht nur die Überlegenheit über den Kommunismus, sondern auch die gnadenlose Auslese selbst der tüchtigsten seiner Jünger, sofern sich ihr Geschäftsmodell als untüchtig erweist.

Noch ein Seitenwechsel

Ende der 80er die ideelle Pleite, Ende der 90er die materielle. Die Ehe war auch gescheitert. Manch anderer würde grundsätzlich reagieren und die Sinnfrage stellen. Uwe Knickrehm aber wusste aus den Comics, die er sammelte, dass der Superheld sich als solcher erst erweist, wenn er durch tiefe Krisen geht. Seine Superkräfte? Pragmatismus, Selbstvertrauen. Befragt, wie er es so lange allein mit sich aushalte, antwortete er: Ich bin ein liebenswerter Mensch, andere verbringen gerne Zeit mit mir und ich halt auch.

Die Tochter zog er in seltener Eintracht gemeinsam mit der Exfrau auf. Als diese nach Berlin zog, zog er mit. Was nicht nur der Tochter zugutekam, sondern auch ihm einen Neuanfang ermöglichte. Er wurde Mitarbeiter von grünen Bundestagsabgeordneten, ließ sich schlecht behandeln, lernte den Berliner Politbetrieb kennen und ebenso die Verästelungen der Energiewende. So wechselte er abermals die Seiten und wurde Lobbyist bei einem Energieunternehmen, zuständig für die Grünen und erneuerbare Energien. So eloquent er vor ein paar Jahrzehnten über das Hochschulrahmengesetz debattiert hatte, so stritt er jetzt für Benchmarking-Strategien im CO2-Zertifikatehandel.

Schließlich gründete er noch einen Interessenverband für Windradbetreiber auf See, arbeitete als Geschäftsführer - und konnte sich endlich einen Alpha Romeo leisten, fossil betrieben aber wunderschön!

In seinen letzten Berufsjahren hat er einigermaßen verdient, so dass er sein bescheidenes Leben als Rentner gut fortsetzen konnte. Die kleine Wohnung in der Nähe des Nollendorfplatzes, die bunten Comicfiguren zwischen Büchern und Jazz-Schallplatten, der Kiosk um die Ecke, wo er seinen Kaffee trank und die Zeitungen durchlas.

Es kam die Krankheit, und selbst der konnte er etwas abgewinnen. Der Krebs mutierte in eine ausgesprochen seltene Spezies, und Uwe Knickrehm konnte sagen: So einen hat nicht jeder.

Bundeskanzler ist er nicht geworden, Millionär auch nicht. Jahrelang ist er in eine verquere Richtung gerannt. So wie Freunde, seine Ex-Frau und seine Tochter von ihm reden, muss es ein ziemlich gutes Leben gewesen sein.

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