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Ulf Mann

© privat

Nachruf auf Ulf Mann: Herr Uli lässt sich ausbeuten

„Ich war 20 Jahre lang Millionär. Das hält man als normaler Mensch nicht aus.“

Der Engel von Kreuzberg kam in Latzhosen daher, über 40 Jahre alt, die Hosen, immer wieder eigenhändig gestopft. Ulfs Sandalen waren kaum jünger, aber sie trugen ihn immer noch, so wie er sein erstes Hemd. Über das er ein sauberes T-Shirt zog, aber nur, wenn er in die Oper ging. Weil er so wenig brauchte, hatte Ulf auch immer etwas zu verteilen. Zudem fand er stets Nützliches, und wenn es nur ein linker Handschuh war, irgendwo wartete der rechte.

„Ich war 20 Jahre lang Millionär“, bekannte Ulf öffentlich in der „taz“. „Das hält man als normaler Mensch nicht aus.“ Denn Geld macht nicht immer glücklich, aber immer andere neidisch. Vor allem, wenn man so viel hat, dass alle denken, abzugeben sei selbstverständlich. Wir sind eine Gruppe von stillenden Müttern, hieß es, kannst du uns bitte eine Villa in Hermsdorf kaufen? Hat er gemacht. „Es gab wenig Leute, bei denen ich das Gefühl hatte, die sind mit mir zusammen nicht wegen des Geldes.“

Das war er so leid irgendwann, von allen Seiten um Geld angebettelt zu werden. Und er grämte sich, weil er dieses Vermögen nicht selbst verdient hatte, sondern nur geerbt. Sein Vater war Apotheker im Wedding gewesen, der es dank seines Erfindungsreichtums zu einem Pharmaunternehmen mitsamt Villa in Westend gebracht hatte. Für die Kinder blieb da wenig Zeit. Ulf fühlte sich verloren, streunte umher in den Trümmerlandschaften der Aufbaujahre, Robinson auf der Suche nach seiner Insel. Er wurde weggeschickt aufs Internat, studierte Pharmazie, fuhr schicke Autos, richtete sich ein auf ein Leben im Luxus. Und wusste nicht weiter. In seinem Buch „Tunnelfluchten. Grenzgänger, Wühlmäuse, Verräter“ hat er aufgeschrieben, wie schwer das ist, seinen Platz zu finden.

Villa mit Sperrmüll

Er gründete eine Wohngemeinschaft in seiner Villa am Nikolassee, zwölf Erwachsene und sechs Kinder. Ein Zimmer war für Flüchtlinge reserviert. Ein Viertel des Einkommens musste jeder spenden. Er selbst hatte das Haus schön mit Sperrmüll eingerichtet und murrte ein wenig, als die anderen ihr eigenes Mobiliar anschleppten. Regelmäßige Pflichtveranstaltung war die Tagung des Koordinationskomitees im Tagungszimmer, wo seelische, politische und andere Haushaltsangelegenheiten so ausführlich erörtert wurden, dass für Putzen und Kochen nicht mehr viel Zeit blieb. Also musste die Haushälterin aus der Villa der Eltern aushelfen. Obwohl weit über 70, erschien sie täglich, machte den Abwasch, und die Wäsche, brachte sie gebügelt in die Zimmer, murrend, dass „Herr Uli“ sich von allen ausbeuten ließ.

Ulf liebte damals Liesl, und die öffnete ihm die Augen, politisch gesehen, und so wusste er fortan ziemlich genau, was zu tun war. Keine Flugreise mehr, kein unnötiger Luxus, ausgenommen guter Tee und gute Bücher, die er dann gern im Dutzend verschenkte. Mit Mitte dreißig ließ er sich sterilisieren, da machte er kein Geheimnis draus, auch nicht aus seiner Wut auf die Ausbeuter in aller Welt. Er gründete die „APOtheke am Viktoriapark“, die mit dem Anarcho-A, das einzige Apothekenkollektiv Berlins, und verließ es nach einigen Jahren wieder, als ihn die vielen esoterischen Egos mit ihrem narzisstischen Beratungsbedarf zu nerven begannen.

Hundert Tipps der natürlichen Fleckenbeseitigung

Er blieb Apotheker in Teilzeit bis zur Rente, brachte ein Gesundheitsbuch heraus, in dem er auf über 1000 Seiten seine Tipps zur Krankheitsbehandlung und -vorbeugung präsentierte. Er empfahl „Gärtnern ohne Gift“ begeisterte sich für „Hundert Tipps der natürlichen Fleckenbeseitigung“ und war lebenslang am Experimentieren, wie Haare am wenigsten fetten, ohne dass man sie wäscht. Das mochte nicht jede Frau mitmachen, und so hatte er in der Liebe nicht immer Glück. Zudem konnte er recht zänkisch sein. Auch vor Gericht. Er war angeklagt, an ehemalige Heroinabhängige Methadon ohne Rezept abgegeben zu haben. Tatsächlich verurteilt wurde er wegen Beleidigung der Staatsanwältin. „Ignorante Sesselpuperin“. Er zahlte die Strafe nicht, sondern ging lieber ins Gefängnis. „Keine Termine, keine Verabredungen, keine Verpflichtungen, gutes Essen. Ich konnte jeden Tag duschen, ohne die Dusche sauber zu machen.“

Die Firma des Vaters wurde 1986 verkauft. Der Erlös für Ulf laut Auskunft seiner Stiftung: „30 Millionen DM inklusive zwei Immobilien (eine Villa in Zehlendorf und ein Mietshaus in Kreuzberg).“ Mit diesem Geld und der Hilfe von Freunden gründete er „Umverteilen! Stiftung für eine solidarische Welt“. Er zog aus der Villa in eine Zweiraumwohnung des Mietshauses, das fortan der Stiftung gehörte. Im Parterre richtete sich später der „M99“ ein, der „Gemischtwarenladen mit Revolutionsbedarf“.

Revolutionsbedarf konstatierte auch Ulf, und so war fortan Umtriebigkeit sein Programm.  Im Chor, in diversen Stadtteilinitiativen, in Essensgruppen, das alles koordinierte er mit Zetteln, die er aus seiner Brusttasche zog, nebst den passenden Pamphleten. Er hatte kein Telefon, keine Datenkarten, trug stolz nur den Button: „Trotz alledem“, der auf die Verse Freiligraths verwies: „Wagt’s, arm zu sein trotz alledem!“

Aber was heißt arm? Sein Fahrrad fuhr, sein Zimmer war voller Bücher, und wo er auch hinkam, wurde er gebraucht. Bis die Kraft nicht mehr reichte. Da legte er sich hin und schlief ein. Neben seiner Matratze lag ein Zettel: „Ich gebe den Löffel ab.“

Sein Abgang war gut organisiert. Er wollte an seinem Grab eine Bank, damit die Leute an ihn denken können und an all das, was noch zu tun ist. Als der Sarg aus der Kapelle zur Grabstelle geführt wurde, erklang Georg Ringsgwandls kategorischer Imperativ: „Nix mitnehma!“ Auf dem Demonstrationszug von der Grabstelle zur Kneipe „EX“ im Mehringhof, der, ganz in seinem Sinne, sehr verkehrsberuhigend wirkte, wurde sein Lieblingsspruch auf einem Transparent gehisst: „Es war nicht alles schlecht im Kapitalismus“. Beim Leichenschmaus für über 200 Trauernde war mittels Beamer Ulf wieder in Aktion zu sehen: Müll sortieren, Kneipe wischen, lächelnd Abschied nehmen. Weil: Sein Umgang mit dem Erbe hatte sich viel besser verzinst als alles Geiern der Spekulanten. Denn denen, dessen war er sich immer sicher, weint keiner eine Träne nach.

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