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Rolf Büttemeyer

© privat

Nachruf auf Rolf Büttemeyer: Gelegentlich kratzbürstig

Therapeutische Hilfe empfahl er Patienten, für ihn selbst war das nichts

Von Jörg Machel

Ein Mädchen hätte es sein sollen, ein Junge ist es geworden. Die Mutter empfand das als Schicksalsschlag, den sie eine Weile noch zu korrigieren suchte. Sie hat Rolf länger in Kleider gesteckt als der es ertragen mochte. Von anderen Kindern begafft und gehänselt zu werden, das schmerzt, und er erinnerte sich daran sein Leben lang. Vertrauen wurde im Keim erstickt, weil er nicht war, was er sein sollte, und so blieb Rolf im Umgang mit anderen Menschen immer ein wenig misstrauisch und gelegentlich kratzbürstig.

Wer ihn deshalb für ein Raubein hielt, irrt. Er war empfindsam, aber anmerken sollte man es ihm nicht. Gebildet war er, er liebte den verbalen Schlagabtausch. Doch leicht verkam der zum unerfreulichen Kräftemessen. Wer setzt sich durch, wer behält recht? Sein Charme reichte oft nur so weit, bis er Zuneigung spürte. Dann musste man seine ehrliche Sympathie dadurch beweisen, dass man sich auch durch harte Töne nicht abschrecken ließ. So machte er es auch jenen schwer, die ihn als ihren Freund ansahen.

Verunglimpfung der Fahne

Sein Verhältnis zu den Eltern war nicht gut. Während der Vater im Krieg war, baute die Mutter eine kleine Textilfabrik auf, als der Vater aus der Gefangenschaft zurückkam, war er versehrt und seines Stolzes beraubt. Die Ehe hielt zwar, Orientierung jedoch boten die beiden nicht. Rolf ging seinen eigenen Weg, machte Abitur, wurde Arzt. Genauer hinschauen, wie die Verletzungen der Elterngeneration auch ihn prägten, das wollte er nicht. Therapeutische Hilfe empfahl er Patienten, für ihn war das nichts. Rolf kompensierte mit Leistung und einem hohen Maß an persönlicher und gesellschaftlicher Verantwortung. Was damit nicht auszugleichen war, das wurde mit einem kräftigen Schluck zur Nacht weggespült.

Schon während des Studiums in Aachen engagierte er sich politisch, wurde Vorsitzender der Studentenvertretung – und kam vor Gericht. Sein Vergehen: Verunglimpfung der deutschen Fahne. Mit anderen Studenten hatte er sie wie einen Fußabtreter vor dem Unigebäude ausgelegt. Das Verfahren wurde zwar niedergeschlagen, aber es existierte eine Akte, die ihm es ihm schwer machte, eine erste Anstellung zu finden.

Als jungen Mann zog es Rolf nach Nicaragua. Ihm genügte es nicht, immer nur zu reden, er wollte raus aus den Diskussionszirkeln, dorthin wo die Revolution tatsächlich stattfand. Der Arzt war willkommen in dem krisengeschüttelten Land. Er impfte Kinder, versorgte arme Bauern, half ein Krankenhaus aufzubauen. Und weil sich so viele Leute mit Durchfallerkrankungen in Behandlung begaben, setzte er sich für den Latrinenbau ein, um die Ursache der Erkrankungen zu bekämpfen.

Einmal geriet er in eine Militäraktion und fand in einer Kirche Zuflucht. Dort stieß er auf verwundete Guerilleros mit zum Teil schwersten Verletzungen. Unmöglich, allen zu helfen; es blieb ihm nichts anderes übrig, als auszuwählen, wer von ihnen die größten Überlebenschancen hatte. Jene konnte er behandeln; die anderen musste er sterben lassen. Davon erzählte er gelegentlich, als während der Coronapandemie die Intensivstationen überfüllt waren und über die so genannte „Triage“ diskutiert wurde.

Sein medizinisches Spezialgebiet wurde die Behandlung von Brandopfern. Mit diesem Wissen wurde er nach Berlin geholt, um nach dem Terroranschlag auf die Diskotek „La Belle“ eine Spezialabteilung für Brandopferversorgung im Urbankrankenhaus aufbauen zu helfen.

Als ausgewiesener Fachmann wurde Rolf im ersten Irakkrieg mit einer Sondermaschine der Bundeswehr ins Kriegsgebiet geschickt. Er sollte Patienten versorgen, die Opfer von Saddam Husseins Truppen geworden waren. Doch er fand nur Tote vor. Es blieb ihm nur, zu begutachten und die Vereinten Nationen zu unterrichten. Eine traumatische Erfahrung, die an ihm haften blieb.

Für Männerfantasien war er nicht zu haben

Auf dem Gebiet der Transplantationsmedizin hat sich viel getan in den letzten Jahrzehnten, davon konnte er leidenschaftlich erzählen. Habilitiert hat sich Rolf über die Versorgung von Elektroverbrennungen, zu denen auch Verletzungen durch Blitzschläge zählen. Wer ihm eine Weile zugehört hatte, dem jagte jeder Donnerschlag einen sehr viel heftigeren Schrecken ein als zuvor.

Ein durch Feuer versehrtes Gesicht wieder ansehnlich zu modellieren, das war eine Kunst, die er beherrschte. Unfallopfern ließ er die bestmögliche Versorgung zukommen, Menschen, die sich in ihrem Körper nicht heimisch fühlten, stand er zur Seite, nicht nur mit dem Skalpell, auch mit seiner Anteilnahme. Da war er zartfühlend, ohne jeden Anflug von Überheblichkeit.

Er konnte allerdings auch anders. Ein Pärchen saß ihm gegenüber. Sie etwas verschüchtert, er sehr engagiert. Präzise entwickelte er Ideen, wie die Frau seinen Männerfantasien angepasst werden könne. Rolf wurde ziemlich laut und machte ihm klar, dass er für diese Variante plastischer Chirurgie nicht zu haben sei.

Dass sein ärztliches Ethos überaus umfassend war, zeigte sich auch, als er im Notdienst zu einem Wildunfall gerufen wurde. Er stellte fest, dass der Mopedfahrer unverletzt geblieben war, und sorgte nun gegen einigen Widerstand dafür, dass das verletzte Reh in einer Tierklinik versorgt wurde.

Mit seinem Lebensende tat Rolf sich schwer. Keinesfalls wollte er ins Krankenhaus. Er kannte den Betrieb nur zu gut. Dass die Last für seine Frau groß wurde, das mag er gespürt haben, doch er ging darüber hinweg. Rolf feilschte um seine Position auf der Couch in der Küche. Die hatte er zu seinem Sterbelager erkoren. Rücksicht auf die Gesundheit musste er nicht mehr nehmen, er betäubte sich so gut es ging. Tatsächlich starb er dann in den Armen seiner Barbara.

Dass sich der eintreffende Notarzt pflichtschuldig noch über den bereits toten Körper hermachte, in der irrigen Ansicht ihn doch noch zum Leben zu erwecken, das war befremdlich anzuschauen. Tröstlich nur, dass Rolf das alles nichts mehr anging.

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