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Reinhard Werner

© privat

Nachruf auf Reinhard Werner: Bis ans Ende der Welt

Selbst an Bord eines Forschungsschiffs sind viele Genies und Diven, da braucht es einen, der auch mal ganz praktisch denkt.

Wenn du wissen willst, wer deine wirklichen Freunde sind, dann frag sie, ob sie dir beim Umzug helfen. Reini war bei Umzügen immer zur Stelle, da musste man nicht lange bitten. Was seine Hilfe umso wertvoller machte: Er fuhr im 7,5-Tonner vor, den er sich beim „Renaissance Theater“ hin und wieder übers Wochenende borgte. Dort hatte er als studentische Hilfskraft begonnen, war aber schnell eine Art technischer Direktor, denn wo sich Genies und Diven versammeln, sind die Malocher umso wichtiger. Auf seine Bühnenplanung konnte man sich zu 100 Prozent verlassen, auch wenn er nur 98 garantierte. Für sein Architekturstudium blieb nicht mehr viel Zeit, also wählte er einen Studienplatz in unmittelbarer Nähe zum Theater. Geologie, das passte ohnehin, denn mit seinen Eltern war er auf Island gewesen, der Wunderwelt für Steinestauner, und nicht nur da, aber da am liebsten.

Reinhards Eltern waren Biologen. So fand sich Reini schon früh im Kampf mit der Python seines Vaters, als diese sich am Treppengeländer des Tropeninstituts festgewunden hatte, weil sie den Umzug in ein anderes Geschoss verweigerte.

In seinem privaten Terrarium, das raumgreifend in der Küche stand, hielt er während des Studiums zwei Perleidechsen. Aber seine Liebe galt allen, auch den hässlicheren Amphibien. Jede Kröte in Europa kannte er mit Namen, was Spaziergänge mit ihm lehrreich machte. Und anstrengend, denn außerdem zog es ihn zu den Vulkanen, über die wollte er forschen, denn er mochte alles, was rauchte. Über den isländischen Herdubreidar schrieb er seine Doktorarbeit. Für die Vermessung der Welt braucht es Geduld und ein robustes Gefährt, für Island war das ein weißer Mitsubishi Geländewagen, dem Reinhard bis zuletzt die Treue hielt, und der Wagen ihm, was auch an dem Pflegeaufwand lag, den er all seinen Autos zukommen ließ.

An Bord der „Meteor“

Vulkane gibt es über dem Wasser und unter dem Wasser, für die Erkundung der letzteren brauchte Reini ein Schiff, also ging er an Bord des deutschen Forschungsschiffs „Sonne“. An 40 Expeditionen nahm er teil, davon 25 mal als Fahrtleiter oder stellvertretender Fahrtleiter. Er war an Bord der „Meteor“ und etlichen amerikanischen und russischen Forschungsschiffen, was kulinarisch zuweilen eine größere Herausforderung war als nautisch.

Aber er kam mit der Mannschaft wie mit den Forschern immer gut zurecht, nicht zuletzt, weil er stets zur rechten Zeit eine Zigarettenpause einzulegen wusste. Auch an Bord eines Forschungsschiffs sind viele Genies und Diven, da braucht es einen Schaffer, einen der auch mal ganz praktisch denkt und Lösungen findet, wo andere nur Probleme sehen.

Es ist nicht einfach, Meeresvulkane zu erkunden, aber Reinhard tüftelte und machte sich unsterblich mit einem simplen, aber sehr nützlichen Gerät zur „Hartgesteins-Beprobung“ des Meeresgrundes, der sogenannten „Dredge“. Ein Metallrahmen mit Kettensack, den man mit der Winde des Schiffes die steilen Hänge von Unterwasservulkanen hochzieht. Bei Wellen und mehreren tausend Metern Wassertiefe kein einfaches Unterfangen, da braucht es Geduld und Fingerspitzengefühl. Dennoch ist das „Dredgen“ die effektivste Methode, um einen ersten Überblick über ein größeres Meeresvulkangebiet zu bekommen. Und so eilte Reini sein guter Ruf weit voraus: „Ach so, Dredgen-Werner, na den kennen wir natürlich“.

Wer, wenn nicht er, brachte einen zum Träumen?

Als Reinhard vor ein paar Jahren an Bord der „Sonne“ seinen 57. Geburtstag feierte, bekam er eine Dredge in Miniatur, die sie in Handarbeit in der Schiffswerkstatt eigens für ihn angefertigt hatten. Nun verziert sie seine Urne, was so schnell eigentlich nicht hätte passieren sollen.

Aber, Reini rauchte halt für sein Leben gern. „Prince of Denmark“, kein leichtes Kraut, aber zu Steppenwolfs „Born to be wild“ hätte eine Slim-Ultralight auch nicht gepasst. Und so weint ihm auch seine Kioskfrau in der Kieler Prüne, bei der er jahrelang seine Prinzstangen zu kaufen pflegte, nicht nur eine Träne hinterher.

Denn wer, wenn nicht er, brachte einen zum Träumen? Weil ihn sein Beruf immer dahin führte, wo andere sich allenfalls hinsehnen können. Alaska, Dutch Harbor, ein Bier im „Norwegian Rat Saloon“, eine der Kneipen am Ende der Welt, die er alle gern noch einmal abgefahren wäre. Das war der Schwur damals, im „Lands End“, in Kreuzberg, direkt an der Berliner Mauer, dass die Welt in der Ferne noch viel schöner ist als die daheim. Ob du nun vor der Halbinsel Osa in Costa Rica kreuzt oder im isländischen Hochland auf der Sprengisandur-Route wanderst, ob Wind und Wellen dich nach Kamtschatka treiben, zu den Oster-, oder Weihnachtsinseln, nach Galapagos oder hin zum nördlichen Polarkreis.

Reinhard ist in Kiel gestorben, ein Jahr nach der Diagnose „Lungenkarzinom“, beerdigt ist er in Berlin auf dem Waldfriedhof Dahlem am Hüttenweg. Fern vom Meer, aber er hat sie dennoch alle noch mal äquatorial getauft, seine Freunde, die von überall herkamen, weil Reinhard war ja auch überall gewesen auf der Welt. Als die Trauernden zum Grab gingen, riss der Himmel auf, und es goss in Strömen, nicht lange, als sie die Urne herabließen, fiel kaum noch ein Tropfen.

Tränen sind auch nur Salzwasser, irgendwann ist Schluss mit Heulen und Zeit, in der Kneipe das Glas zu heben auf einen, der sich ganz schön unentbehrlich gemacht hat.

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