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Monika Drews

© privat

Nachruf auf Monika Drews: Nicht die große Bühne

Sie arbeitet bei der Interflug, dann im Außenhandel, und ab 1989 holt sie alles nach, was sie sich in der DDR nicht getraut hat

Monika mag die Männer. Mit ihnen flirten und schäkern, sie anhimmeln, sich anhimmeln lassen, da blüht sie auf. Im Jugendclub ist sie die erste, die sich auf die Tanzfläche wagt. Licht aus, Rock’n’Roll an, und Monika legt los.

Ihre erste Heirat ist eher ein Freundschaftsdienst. Der Cousin einer Freundin braucht eine Zuzugsgenehmigung. Vielleicht ist da auch ein kleines bisschen Liebe, aber nur kurz. Mit 19 ist das Leben noch lang und der Herzschmerz bei der Scheidung klein.

Monikas allererste Erinnerung ist die an eine kleine blaue Kiste. Darin liegt ihre Schwester, tot. Daneben steht die Mutter, die furchtbar weint. Das Bild brennt sich ein, Ende 1944 oder Anfang 1945 muss es sein. Die Mutter ist mit ihren zwei kleinen Kindern aus Berlin in den Osten geschickt worden, um vor den Bomben sicher zu sein. Doch von der anderen Seite kommt die Rote Armee. Also fliehen die drei wieder zurück und schließen sich einem Treck an. Entlang des Weges fängt sich Monikas Schwester, Säugling noch, einen Magen-Darm-Infekt ein und stirbt. Die Kiste vergraben sie am Wegesrand, und weiter geht die Flucht. Vielleicht steht ihr Haus ja noch? Vielleicht ist die Wohnung noch heil? Mutter und Tochter biegen auf die Warschauer Straße in Berlin-Friedrichshain ein. Tatsächlich: Alles noch ganz. Die Mutter muss nur die Schlüssel in die Wohnungstür stecken und aufschließen. Kälte, Hunger und Angst halten sie gemeinsam durch. Die Zeit verbindet die beiden, ein Leben lang.

Götterspeise aus dem Westen

Im Herbst 1945 kommt der Vater aus der Gefangenschaft, die Oma zieht zu ihnen, Schwester Marianne kommt zur Welt. Oma und die Kinder teilen sich ein Zimmer, die Eltern das andere. Hat ein Kind Geburtstag, näht die Oma Kostüme aus Krepp. Sie poliert ein Holzbrett mit Bohnerwachs spiegelglatt, auf dem dürfen die Kinder so viel rutschen, wie sie wollen. Dazu gibt es Götterspeise aus dem Westen.

Ihr Vater ist ein Organisierer. Vor dem Krieg hat er auch mal krumme Dinge organisiert und musste dafür ins Gefängnis. Sein großer Traum: ein eigener Laden, jetzt kann er ihn sich erfüllen, Spirituosen, Wein und Bier. Die beiden Schwestern helfen, holen Waren aus dem Lager, räumen ein, stehen hinter der Ladentheke und verkaufen. Es macht Spaß, sie werden gebraucht, das Taschengeld ist üppig.

14 ist Monika, als ihr Vater stirbt. Ein paar Monate zuvor hat er sie noch zum Einkaufen mitgenommen, ein Geschenk zur Konfirmation der Tochter eines Freundes. Sie sollte es aussuchen. Monika entschied sich für ein Opernglas. Doch die Tochter des Freundes gibt es gar nicht. Es war für sie. Als sie es bekommt, ist er schon tot. Ein Lehrer holt Monika aus ihrer Trauer. Ohne sie direkt anzureden, spricht er zu der versammelten Klasse, dass es traurig sei, wenn die Eltern sterben. Doch das sei der Weg der Dinge, ganz natürlich. Viel schlimmer sei es, wenn die Kinder vor den Eltern sterben würden. Die Worte trösten sie, irgendwie.

Das ist Demokratie!

Sie sind eine politische Familie, wenn auch nicht in dem Sinn, der in der DDR vorgegeben ist. Läuft im Radio eine Bundestagsdebatte, holt die Mutter die Kinder dazu. „Das ist Demokratie!“, sagt sie. Sonntags, wenn der RIAS um kurz vor 12 Uhr das Schlagen der Freiheitsglocke vom Rathaus Schöneberg überträgt und dazu der Freiheitsschwur aufgesagt wird, „Ich glaube an die Unantastbarkeit und die Würde jedes einzelnen Menschen“, lauschen sie andächtig.

Abitur auf dem Händel-Gymnasium, eine Ausbildung bei Interflug, der DDR-Fluglinie, aber nicht als Stewardess, sondern beim Bodenpersonal. Nach dem Wirtschaftsstudium landet sie im Außenhandel. Verträge über große Maschinen für die Industrie; kommt es zum Vertragsabschluss, sind es immer die Kollegen, die ins kapitalistische Ausland fliegen. Monika bleibt am Schreibtisch, denn Monika ist nicht in der Partei. Immerhin darf sie in die UdSSR und auf die Leipziger Messe, das ist doch auch schon was.

Ihr Gesicht verklärt sich etwas, wenn sie von ihrem Chef erzählt, so ein toller, liebevoller Mann, leider verheiratet, Kinder hat er auch. Es bleibt bei der Affäre. Lange geht das so. Statt um eigene kümmert sich Monika um die Kinder ihrer Schwester, spielt mit ihnen, hört ihnen zu, lädt sie aufs Riesenrad in den Plänterwald ein. Dann gerät sie an einen Mann, der ein Stießel ist. Unter der Woche ist er auf Montage, am Wochenende soll Monika nur für ihn da sein. Unhöflich, verletzend geht er mit ihr um, und sie lässt es geschehen, jahrelang.

1989 ist die große Wende fürs Land und auch für Monika. Sie trennt sich von dem Kerl, sie geht auf die Demonstrationen, im Januar 1990 tritt sie in die SPD ein. Endlich kann sie sich einmischen. All das, was sie sich in der DDR nicht getraut hat, holt sie jetzt nach. Für die Wahl zum Abgeordnetenhaus im Herbst 1990 lässt sie sich aufstellen, und sie wird gewählt. Sie beteiligt sich am Untersuchungsausschuss zur Freiwilligen Polizeireserve. Stellt eine kleine Anfrage an den Senat zur „menschenwürdigen Begleitung von Sterbenden“. Für eine Rede vorm Parlament übt sie, sie ist ganz aufgeregt. Das Gehalt als Abgeordnete rettet sie durch die Wendejahre, aber die große Bühne ist nichts für sie. In der Bezirksverordnetenversammlung von Treptow-Köpenick kümmert sie sich schließlich um die Finanzen, das Soziale und den Petitionsausschuss. Sie wird gebraucht, das ist ihr wichtig.

Paul ist ihr erster Hund, ein furchtbar verzogener Dackel. Der zweite ist Matti aus dem Tierheim, schon ein bisschen lieber. Betty ist Nummer drei. „Betty hat Rückenschmerzen“, sagt Monika, wo es doch sie ist, die die Schmerzen hat. Dreimal hat sie Krebs, aber: „Gestorben wird nicht in unserer Familie, wir müssen überleben!“

Es kommt eine Demenz dazu. Ihre Schwester und die Nichten bringen sie in einer Palliativpflege unter. Es ist ein Sterben auf Raten. Doch immer, wenn ein Pfleger ihr Zimmer betritt, strahlt sie, drückt den Rücken gerade, streicht ihr Haar zurecht und schäkert. Eines Tages sitzen ihre Nichten links und rechts und singen ihr „What a Wonderful World“ vor, jede in ein Ohr. Monika liebt das Lied. Dann sagen sie ihr, wie lieb sie sie haben. Und schließlich: „Moni, schöner wird’s nicht mehr, du darfst jetzt gehen.“ Eine Stunde später geht sie.

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