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Eva Wisten

© privat

Nachruf auf Eva Wisten: Freiheit nach innen, Vorsicht nach außen

Ein Leben dazwischen, in Berlin während der Nazizeit, später dann in Prag.

Entweder mochten es die Nazis größenwahnsinnig oder gemütlich. Entweder errichteten sie pompöse Propagandabauten oder Häuser im sogenannten Heimatschutzstil. Dann suggerierten sie Urigkeit und kleinstädtische Sicherheit mit ihren Spitzdächern, den aufrechten Fensterformaten, den Pfeilern und Bögen aus Naturstein und verdarben damit das Wort Heimat auf lange Zeit.

Die „seelenlose“, „undeutsche“ Moderne hassten sie.

Das Haus, in dem Eva aufwuchs, war ein asymmetrisch proportionierter, weiß verputzter Kubus.

Evas Vater Fritz Wisten, Staatsschauspieler und Theaterregisseur, hatte im Frühjahr 1933 einen Brief des Württembergischen Landestheaters in Stuttgart erhalten. Die Verhältnisse am Theater würden neu geordnet, schrieb der Intendant, es bestehe nicht mehr die Absicht, den Vertrag zu verlängern. Kurz: Juden hätten hier nichts mehr verloren.

Und jetzt? Fritz Wisten konnte sich ein wenig auf den Schutz durch seine Ehe mit Trude, einer Nicht-Jüdin, verlassen. Er hörte vom Aufbau eines Jüdischen Kulturbundes in der Hauptstadt, in dem auch Theateraufführungen geplant waren. Also Berlin. Trude begann, ein Haus zu suchen, nur sie durfte ins Grundbuch eingetragen werden. Ein Makler erwähnte halbherzig ein Objekt im heutigen Waldsängerpfad in Nikolassee, damals noch Dianastraße und ab 1939 Betazeile, nach dem antisemitischen Publizisten Ottomar Beta. „Aber es wird ihnen nicht gefallen“, sagte der Makler, „es ist so entartet.“ Auf der Stelle entschied sich Trude für die Villa, entworfen 1929 von Peter Behrens für den Sozialpsychologen Kurt Lewin, der 1933 in die USA emigrierte.

Um die Ecke Reinhard Heydrich

Das Haus war für Eva und ihre Schwester und die Eltern eine Art Heimat, in der sie gleichwohl nicht sicher waren. Gegenüber wohnte Walter Gross, Gründer und Leiter des „Rassenpolitischen Amtes der NSDAP“, um die Ecke Reinhard Heydrich, der seine Schäferhunde spazieren führte. Der Druck nahm zu, Fritz Wisten wurde ins KZ Sachsenhausen gebracht, kam kahlgeschoren wieder frei, versuchte vergeblich, das Land zu verlassen, musste mit Trude Zwangsarbeit leisten, versteckte jüdische Bekannte. Und mittendrin Eva. Im Haus Heine und Schnitzler und die Übungen am Familienflügel, die ihr die jüdische Klavierlehrerin Grete Sultan aufgegeben hatte. Außerhalb des Hauses die Klassenkameradin, die sich von dem „Judenmädchen“ wegsetzte, bevor Eva der Schulbesuch verboten wurde. Die ständige Angst vor Denunziation. Zu leben, als sei man unsichtbar, in diesem herrlichen, hellen Kubus.

Es kam der 8. Mai 1945. Befreiung. Eva studierte Germanistik, Theater- und Kulturwissenschaften, heiratete den Dramaturgen und Regisseur Hagen Mueller-Stahl, ließ sich scheiden, arbeitete an der Akademie der Künste in Ost-Berlin und wohnte weiter in dem Haus, das plötzlich ein hoch gelobtes Baudenkmal war.

Eines Tages zog Eva doch aus, fort aus Berlin, aus Deutschland, irgendwann muss man sich wohl lösen. Zu Beginn ging es nur um ein Arbeitsprojekt, eine Brecht-Ausstellung in der Tschechoslowakei. Als sie die Kisten öffnete, stellte sie erschrocken fest, dass Vitrinengläser auf dem Transport zerbrochen waren. Sie schaute sich fragend um, ihr Blick fiel auf Otakar Schindler, den Chefbühnenbildner des Hauses. „Ich helfe ihnen“, sagte er. Und drei Tage später: „Ich heirate dich.“ Anfangs waren da noch Zweifel, eine Deutsche, nein, auf keinen Fall, er hatte mit seinem Zwillingsbruder in einer Partisanengruppe gegen die Nazis gekämpft, der Bruder war getötet worden. Aber Eva erzählte ihm ihre Geschichte, und der Zweifel verschwand.

Sie zog zu ihm nach Ostrava und dann nach Prag, aus West-Berlin in einen sozialistischen Staat, aus dem sie raus konnte, wann immer sie wollte, in dem sie aber gleichzeitig festsaß. „Reisen sie nicht doch in die verkehrte Richtung?“, fragte sie der tschechische Grenzbeamte. Sie bezeichnete sich politisch als links stehend, doch spätestens mit den sowjetischen Panzern 1968, dem zeitweiligen Berufsverbot ihres Mannes, haderte sie deutlich mit dem System. Wieder zwei Welten: Freiheit nach innen, Vorsicht nach außen.

Eva bekam zwei Kinder, sie übersetzte tschechische Theaterstücke ins Deutsche, sie werkelte in dem Bergbauernhaus in den Beskiden, das sie sich gekauft hatten. Aber sie ging keinem Beruf mehr nach. „Geh arbeiten“, sagte sie später zu ihrer Tochter, nachdem diese selbst Mutter geworden war. Vielleicht, dachte Eva, hätte sie das auch tun sollen, aus dem Schatten des Mannes treten. Trotzdem war sie eine unabhängige Person, nie kleinkariert, verkniffen. Sie diskutierte über Politik, Theater, sie liebte das gesprochene und das gesungene Wort. Nach dem Tod ihres Mannes zog sie zurück in den weißen Kubus, zu ihrer Schwester, die eine wohnte oben, die andere unten. Sie arbeitete ehrenamtlich in der Liebermann-Villa. Neue Freunde, vor allem junge Menschen, umgaben sie. Wenig an ihr erinnerte an eine Großmutter. Ihr Enkel Julian wollte unbedingt herausfinden, wie „Red Bull“ schmeckt, und sie sagte sofort: „Dann fahren wir zur Tankstelle.“ Ohne Strenge hin und wieder ging es aber auch nicht: „Das wolltest du doch schon letztes Jahr gemacht haben“, war einer ihrer Sätze, und der Angesprochene wusste, der Spaß ist jetzt vorbei.

Sie wurde schwächer, Parkinson, eine Augenkrankheit. „Ist alles an mir in Ordnung?“, fragte sie ihre Tochter. Aber ja, alles war in Ordnung. Sie war in ihrem Haus, ganz und gar sicher. Sie starb in ihrem Haus.

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