zum Hauptinhalt
Horst Richter

© privat

Nachruf auf Horst Richter: Segeln ist Arbeit

Der Horizont wurde weiter und weiter, aber es ging auch immer wieder pünktlich in den Hafen zurück. Auf dem Wasser ist Berlin sowieso schöner als an Land

Wenn der Wind dir die Haare kämmt, und die Wellen so langsam das Mittagessen hochschaukeln, fühlen sich manche erst richtig wohl. Horst war so einer, Seemann aus Leidenschaft, was ihm gar nicht in die Wiege gelegt worden war. Der Vater spielte Geige, nicht fürs sitzende, sondern fürs tanzende Publikum, und nach dem Krieg war die Sehnsucht groß, unterhalten zu werden. Die Mutter kümmerte sich um den Haushalt, Horst kümmerte sich um sich selbst. In den Ferien sagte er morgens „Tschüß“ und kam abends wieder. Wer ihn suchte, fand ihn auf dem Wasser. Als er 13 war, stets am Kahnverleih, Tiergartenschleuse, da lieh er sich mit seinem Kumpel ein Boot, ruderte um die Ecke und lud auch noch die anderen Freunde an Bord.

Mit 16 musste er in die Tanzschule, was ein Glück war, denn er tanzte mit der schönen Renate, deren Eltern ein Paddelboot besaßen. Also war sie die Richtige für ihn, und er der Richtige für sie, und so blieben sie über 60 Jahre zusammen. Vom Paddelboot stiegen sie um auf die kleine Jolle von Renates Bruder, da ging es dann hinaus auf die Havel und den Tegeler See. Der Horizont wurde weiter und weiter, aber es ging auch immer wieder pünktlich in den Hafen zurück.

Mit dem Rettungsschiff auf die Ostsee

Sein Onkel hatte ein Geschäft für Röntgenzubehör, da stieg er ein als Lehrling und ging als Chef und Rentner. Kinder wollten die beiden keine, so blieb genug Zeit zum Segeln und für die Umbauarbeiten am nächstgrößeren Boot, einem ehemaligen Rettungsschiff; mit dem konnten sie dann schon auf die Ostsee raus. Dann schließlich die große Liebe der beiden, ein klassisches hölzernes Gaffelschiff von der Art, wie sie früher vor der norwegischen Küste als Lotsenschiffe eingesetzt wurden: Die „Alvekongen“, immens seetüchtig, damit segelten sie bis zu den Shetland-Inseln und den Hebriden, runter in die Bretagne und hoch nach Lettland und Estland, immer mit Freunden an Bord. Der Komfort war übersichtlich, ein Raum im Vorschiff, hinten Hundekojen, Klo und Kombüse an Bord und reichlich Bier. Die Instandhaltungsarbeiten am Schiff haben die beiden selbst gemacht, eine Menge Arbeit bei so einem Holzboot, da gibt es den Winter durch immer was zu schleifen und zu lackieren. Bis es im Frühling wieder auf große Fahrt ging.

Klar, da herrschte nicht immer eitel Sonnenschein, gerade in nördlichen Breiten. Bei rauer See wurden auch die Sitten rauer. Der Weg zur Toilette war manchmal gar nicht mehr zu schaffen, und auch der Spuck-Eimer wurde gelegentlich verfehlt. Und so ein schwedischer Fährhafen morgens um vier Uhr früh bei Nieselregen, da gibt es Schöneres.

Horst liebte es. Als Berlin noch ummauert war, ging es jedes Wochenende an die Ostsee, nach Laboe. Fünf Stunden hoch mit dem Auto, Sonntag spätabends zurück. Rüber in die Schlei gesegelt oder nach Süddänemark, in den Hafen rein, angelegt, eine Runde spazieren durch den Ort, wenn da ein Ort war, die anderen Schiffe inspiziert, war es ein schwimmender Joghurtbecher oder ein Traditionsschiff.

Horst machte an Land wie auf See immer eine gute Figur, ob im Takelhemd oder, wie bei Segelfesten üblich, im Gehrock und mit Melone. Singen konnte er nicht, allenfalls summen: „Oh, when the saints go marchin’ in …“ Denn Alleinsegeln war nicht seins, am liebsten war er gemeinsam mit anderen Seglern.

Jedes Jahr am Himmelfahrtswochenende ging es nach Flensburg zur Rumregatta, da waren dann die „Gaffler“ unter sich, und Außenstehende verstanden kein Wort. Denn wenn die „Freunde des Gaffelriggs“ sich treffen und über traditionell geriggte Segelschiffe aller Größen klönen, hören alle Wasserscheuen weg. Aber wenn im französischen Brest sich 2000 alte Segler zur Parade treffen, staunt ein jeder. Die Fahrt da runter war nicht ganz gefahrlos, aber immer, wenn Arges im Verzug war, wurde Horst nur umso ruhiger.

Bei Windstärke zehn durch den Skagerrak wieder in die Ostsee segeln, ist kein Spaß. Und sich im Baltikum ohne Seezeichen zu orientieren, weil die von den Russen alle abmontiert worden waren, ist auch nicht so prickelnd. Segeln ist Arbeit. So ein Segel ist zwar einem Vogelflügel nachempfunden, aber doch um einiges schwerer zu bewegen. Und es braucht Zeit. Einmal um die ganze Welt, so wie mancher Freund, das hätte er zwar ganz gern gemacht, aber mehr als viereinhalb Wochen Urlaub am Stück ging nicht wegen der Firma.

Außerdem gab es ein Abkommen mit Renate: jedes zweite Jahr eine große Reise ohne Segelantrieb. Denn so gern sie an Bord ging, auf jeder Fahrt wurde sie seekrank, immer, ein bisschen Welle reichte, dann ist sie ab in die Koje, manchmal tagelang, bis sie dann im Hafen fröhlich wieder auftauchte.

Gute Zeiten, bis Horst der Schlaganfall traf. Nach 35 Jahren mussten sie die „Alvekongen“ verkaufen. Er hat sich gut wieder berappelt, war aber kreuzunglücklich ohne Boot, also haben die beiden die „Ysabel“ erworben, ein Plattbodenschiff. Gut steuerbar, nachdem sie den Mast eingelagert hatten und den kleinen Botter als Motorboot betrieben. Auf dem Wasser ist Berlin sowieso schöner als an Land. Also schipperten sie die Havel hoch und runter.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false