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Adolf Bohlig

© privat

Nachruf auf Adolf Bohlig: Ebenfalls gereimt

Selbst Beschwerden goss er in Gedichtform. Nachruf auf einen, dem die Gemeinschaft über alles ging

Der Vorname stammte vom Großvater, der ihn an den Vater weitergab, der ihn an seinen Sohn weitergab. Trotzdem war er einfach nur Buddy. Das passte. Wo Buddy hinkam, war er der Mittelpunkt. Geburtstage zum Beispiel, da stand er auf, entfaltete mehrere Bögen Papier und trug eins von seinen berüchtigten Gedichten vor. Persönlich in der Ansprache, lange in den Ausführungen, man merkte, dass es ihm ein wirkliches Anliegen war. Wenn Buddy es besonders gut meinte, begleitete er den Text mit einer Gitarrenmelodie. Näherte sich die Weihnachtszeit, hängte er einen gedichteten Gruß für die Nachbarn in den Hausflur. Schlossen diese die Fahrstuhltür nicht ordentlich, hängte er seine Beschwerde auch in den Flur, ebenfalls gereimt.

Zwei Schwestern, Buddy war das dritte Kind. Der Vater war Fabrikant, baute Jagdgewehre, kurz vor Kriegsende wurde er doch noch eingezogen, geriet in Gefangenschaft und starb dort. Dass der Vater fehlte, machte Buddy nicht viel aus, alle Kinder in der Straße waren vaterlos.

117 Mark zum Leben, 90 davon für die Miete

Seine Mutter hieß Magdalena, bildhübsch sei sie gewesen und so lieb, wie Buddy erzählte. Kleine Theaterstücke schrieb sie, die sie auf Familienfeiern vorspielte. Sie sorgte dafür, dass ihre Kinder aufs Gymnasium gingen, Latein, Altgriechisch, die ganze Palette. Zum Leben hatten sie 117 Mark, 90 Mark gingen für die Miete drauf. Entsprechend knapp war das Essen. Die Care Pakete vom Onkel aus Amerika linderten die größte Not. Dennoch lud Magdalena jeden Mittwoch die Kinder der Straße ein, schmierte ihnen Schmalzbrote und las ihnen zwei Stunden vor. Eintritt war ein Kerzenstummel, so erstrahlte das Wohnzimmer. Buddy strahlte auch, so stolz war er.

Wenn er Geld brauchte, ging er in den Kleistpark, zockte ein paar Runden Skat mit den Alten und gewann ein paar Groschen. Er wusste immer ganz genau, welche Karten abgeworfen waren und welche noch auf der Hand. Die Groschen konnte er in noch mehr Groschen, Ost, umtauschen und damit drüben ins Kino gehen, Eis und Bonbons inklusive.

Richtig stolz war Buddy, als er in die evangelische Jungengruppe „Peter und Paul“ aufgenommen wurde. Alle bildeten einen Kreis um ihn, schlugen ihm auf die Schulter und hießen ihn willkommen. Endlich war er kein Kind mehr, es war „wie ein Sprung vom Roller auf das Fahrrad“. Vom Leiter war Buddy beeindruckt: Er behandelte sie wie Erwachsene, und was er alles organisierte, Ausflüge, Ferienfahrten, gesellige Abende, Fußballtournierw. Die Gemeinde Alt-Schöneberg war Kirche und Sportverein zugleich, Buddy spielte Handball, Fußball und Hockey, wurde selbst Jugendleiter und trainierte die Jüngeren.

Lehrer wollte er werden, studierte Deutsch an der Pädagogischen Hochschule, jobbte in einem Kinderheim der Wadzeck-Stiftung. Hier wurde er gebraucht, bei diesen Jugendlichen, um die sich sonst keiner kümmern wollte, die ständig in Schwierigkeiten waren, die Gewalt und Missbrauch erfahren hatten. Hier blieb er. Fand er keinen Zugang zu einem der Jungs, setzte er sich mit ihm hin und spielte Karten, stundenlang, bis sich da was öffnete, ein Lachen, ein Vertrauen. Jeder bekam einen Kosenamen von ihm. Zu Geburtstagen schrieb er Karten. Wer konfirmiert wurde, bekam ein persönliches Gedicht. Und Buddy tat alles dafür, dass die Kinder ihre Eltern sahen, ihre Wurzeln kannten.

Mamsel und Papsel

Spielte Peter Maffay in Berlin, besorgte Buddy Freikarten. Da standen die Kinderheim-Jungs dann in der Menge, hielten ein großes Plakat hoch, „Danke Peter!“, und Peter grüßte sie vorn der Bühne aus zurück. Wie stolz sie da waren!

Jahrelang ging das so. Konzerte, Hertha-Spiele, Ferienfahrten, Buddy organisierte. An der Ostsee packte Buddy die Videokamera aus und hatte schon ein Drehbuch vorbereitet, ein Krimi, ein Märchen, eine Räubergeschichte, und alle mussten mitspielen. Einige der Jugendlichen hatten darauf keine Lust, aber wenn zu Weihnachten der Film fertig geschnitten war, konnten sie es kaum erwarten sich auf der Leinwand zu sehen. Aus den meisten von ihnen wurde etwas, Ingenieur, Detektiv, Buchhalter. Manch einer starb aber auch, Drogen, Alkohol, und natürlich ging Buddy zur Beerdigung, immer zusammen mit seiner Kollegin Tina. „Mamsel und Papsel“ waren die beiden.

Eine frühe Ehe, im Jugendlager kennen gelernt, die Tochter Alexandra – doch es ging auseinander. Dann lernte er Angelika kennen. Warmherzig fand sie ihn und witzig. Stattlich war er mit seinen 1,82 Meter, und dann dieser sportliche Körper. Sie verliebte sich, er überhäufte sie mit Kosenamen, Hase war einer davon. Sie zogen zusammen, sie heirateten, Philipp und Christoph wurden geboren. Buddy kochte immer, am liebsten Kartoffeln, immerzu Kartoffeln.

Seine Jungs nahm er mit ins Fußballstadion. Und er organisierte die wöchentlichen Fußball-Tippspiele samt Auswertung und Siegerehrung. Je mehr mitmachten umso besser, Freunde, Familie, die Heimkinder. Dann war da noch die monatliche Bowlinggruppe. Penibel notierte er jeden Punkt, brachte zum nächsten mal die Auswertung mit, pflegte die Tabelle und organisierte jedes Jahr die Gruppenreise.

Doch Buddy war auch ein Dickkopf. Einmal reiste er alleine aus einem gemeinsamen Urlaub ab, weil es im Zimmer keinen Fernseher gab. Er musste doch die Tour de France sehen! Und er konnte reden und reden, so dass man sich in Sicherheit bringen musste, um nicht totgequatscht zu werden. Und hin und wieder ging er in die Luft, wenn etwas nicht so lief, wie er sich das vorgestellt hatte.

Und warum hat er sich nach seinem Herzinfarkt nicht viel mehr um seine Gesundheit gekümmert? Der Angelurlaub in Schweden mit seinem inzwischen großen Sohn war der letzte. Ein Sturz, er musste ins Krankenhaus, und als er endlich nach Hause konnte, fehlten ihm die Kräfte. Zur Beerdigung kamen sie alle, die Familie, die Bowling-Freunde, die Kirchensportler, die Kinder und Jugendlichen aus dem Heim.

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