zum Hauptinhalt

Nachruf Detlef Sill (Geb. 1952): Auf Augenhöhe mit dem Glück

Mit sich selbst im Reinen sein, kann nur, wer mit anderen im Reinen ist.

Er hatte Kohlrouladen mitgebracht, zur Feier des Tages. „Alles in Ordnung beim Arzt!“ Mit 50 hatte er einen Herzinfarkt gehabt, seitdem ging er regelmäßig zur Kontrolle. „Die können wir nachher essen.“ Brigitte wollte noch zur Aqua-Fitness. Er ging Tischtennis spielen. Es wurde später. Sie stellte die Kartoffeln ins Bett, um sie warmzuhalten. Irgendwann klingelte es. Jetzt hat er auch noch seine Schlüssel vergessen, dachte sie. Aber es war ihr Bruder. „Detlef ist zusammengebrochen beim Tischtennis.“ Er lag schon auf der Intensivstation, im künstlichen Koma. Fünf Uhr morgens teilten die Ärzte mit: „Wir leiten jetzt den Sterbeprozess ein.“ Sein Herz wollte nicht mehr.

Komisch irgendwie. Für andere hatte er immer ein Herz gehabt. Jetzt, da er endlich Zeit für sich hatte, war es vorbei mit der Kraft.

Schwer zu beschreiben, was einen Menschen unvergesslich macht. Weil es die einfachen Dinge sind, die im Gedächtnis bleiben. Dass er die Puhdys liebte so wie Brigitte: „Alt wie ein Baum möchte ich werden!“ Dass er gern auf dem Balkon saß und zusah, wie die Vögel von nah und fern sich auf dem großen Gasometer sammelten, bevor sie in die Nacht flogen. Dass er immer noch Träume hatte, eine große Europareise mit ihr unternehmen wollte. Er suchte die Spielcasinos und Galopprennbahnen raus, sie war für das Kulturprogramm zuständig. Dass er gern kochte, bevorzugt Bouletten. Spargel ganz und gar nicht. Aber Brigitte mochte Spargel sehr. Also überraschte er sie und ihre Freundin eines Tages mit einem italienischen Spargelsalat.

Zu viel Geplapper musste nicht sein

Dass er ein Händchen fürs Schöne hatte und den Balkon gern mit ganz vielen kleinen Figürchen und Lämpchen zierte, die im Winter weihnachtlich leuchteten. Dass er treu sein konnte, seiner Brigitte sowieso, und dem Fußball, nicht einem einzigen Verein, aber dem Fußball überhaupt. Die „Fußballwoche“, Fachblatt für die Region Berlin-Brandenburg, ließ er sich bis nach Bali nachschicken. Er war ja selbst Stürmer gewesen, Kampfname „Pummel“, weil er seinerzeit so dünn gewesen war, aber wendig am Ball und torgefährlich. Dass er klipp und klar sagte, was er wollte. Wenn sie einen Kinofilm vorschlug, galt seine erste Frage nicht dem Inhalt, sondern der Dauer. Filme über 90 Minuten hatten keine Chance bei ihm. Zu viel Geplapper musste nicht sein. Auch nicht im Job. Mehr als 40 Jahre hat er mit schwer erziehbaren und kriminellen Jugendlichen gearbeitet. Er hat seine Arbeit geliebt, aber er war auch froh, dass er in Rente gehen konnte: „Ich krieg’ mein Geld, muss gar nix dafür tun. Nur weiterleben.“

Die Jugendlichen haben ihn geliebt und respektiert. Weil er Klartext sprach. Seine Mutter hatte als Putzfrau gearbeitet und sein Vater in der Fabrik. Das Elternhaus am Stadtrand war klein, also zog er schnell aus. Er wusste früh, was er wollte. Anderen helfen, auf seine Art.

Er gab jedem eine Chance

Vielen Kindern geht es nicht gut daheim. Weil die Eltern überfordert sind. Weil die Kinder allein gelassen werden. Weil die Armut ihnen den Stolz nimmt. Weil sie sich nicht angenommen fühlen, von niemandem. In vielen Kinderheimen und Erziehungsanstalten, im Westen wie im Osten, hat man die Kinder verraten, weil keiner ihnen Mut machte. Aus Opfern werden Täter werden Opfer. Den Kreislauf wollte Detlef aushebeln. Er gab jedem eine Chance. Ein Macho muss auch mal abspülen lernen und sein Zimmer aufräumen und begreifen, dass sein Gegenüber auch Gefühle hat und verletzlich ist und nicht gedemütigt werden will. Gewalt kann man verlernen. Er ging mit den Jugendlichen auf Reise an die Ostsee, er ließ sie Huskies streicheln und spazierte mit ihnen über den Leipziger Weihnachtsmarkt. Er zeigte ihnen, was es heißt, auf Augenhöhe mit dem Glück zu sein.

Es braucht nicht viele Regeln im Leben, es braucht nur viele Vorbilder. Denn mit sich selbst im Reinen sein, kann nur, wer mit anderen im Reinen ist. Das hat Detlef vorgelebt. Natürlich hatte er auch seine Fehler. Die Frisur gehörte eindeutig dazu. Der Mittelscheitel war unkorrigierbar, die Strähnchen Geschmackssache, den Bart und den Schnauzer hat ihm Brigitte allerdings abrasiert. Ansonsten waren sie glücklich und wären es auch geblieben. Wenn da nicht was dazwischen gekommen wäre.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false