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Der evangelische Luisen-Friedhof III im Berliner Ortsteil Westend.

© Doris Spiekermann-Klaas

Nachruf auf Klaus Bosse (Geb. 1943): Dieses kleine Glück, wenn Orange und Gelb zusammen kamen

Besinnungslos vor Begehren haben sie sich nicht in diese Beziehung geworfen, was sie wach hielt, für eine tiefe, lange Liebe.

„Sahara.“

„Sahara?“

Einige Wochen darauf: „Und, was ist mit der Sahara?“

„Ich dachte, das sei nicht ernst gemeint.“

„Doch, doch.“

So ist das, dachte sie, aha, blätterte Reisekataloge durch, studierte Routen, stellte eine Sahararundfahrt zusammen.

So war es ab dann immer: Klaus nannte das Ziel, Sabina kümmerte sich drum. „Vietnam.“ – „Ja, Vietnam.“ Oder: „Ich möchte dir den Amazonas zeigen.“ Ein Kuss. Klaus hatte den Amazonas schon gesehen, mit seinen Freunden, eine fabelhafte Reise, aber jetzt war Sabina da, jetzt würde sein Blick ein anderer sein, mit ihr.

Als er „Sahara“ gesagt hatte, waren sie gerade erst zusammengekommen, 1999, per Annonce. Das Eröffnungstelefonat: „Oh, ich sehe, unsere Nummern beginnen mit denselben Ziffern. Wo wohnen Sie denn?“

„In der Pariser Straße.“

„Ich auch.“

„Heute gibt es ein Konzert im Quasimodo. Da könnten wir hingehen.“

Das „Quasimodo“ war voll, also die Fasanenstraße runter, ins Literaturhaus. „Im Café im Wintergarten“, erzählt Sabina, „hatten wir unser erstes Gesprächsessen, wie wir es nannten. Und in den Wintergarten sind wir immer wieder zurückgekehrt, auch, um dort unsere Hochzeit zu feiern.“

Religion? Um Gottes Willen

Besinnungslos vor Begehren haben sie sich nicht in diese Beziehung geworfen, was sie letztlich jedoch wach hielt, für eine tiefe, bewusste, lange Liebe. Wenn Sabina von der Arbeit heim kam, sagte Klaus immer: „Schön, dass du wieder da bist.“

Im vergangenen Jahr hatte man ihm das Knie operiert, er lag im Krankenhaus. An einem Abend ging Sabina mit einer Freundin in ein Konzert. Vergaß jedoch nach dem Konzert, ihr Handy wieder einzuschalten. Als sie sich dann daran erinnerte, nachts gegen halb eins, entdeckte sie eine Flut von Nachrichten: „Ist alles in Ordnung? Ich werde verrückt vor Sorge.“ Und irgendwann hatte Klaus auch noch die Polizei angerufen.

Obwohl er eher der rationale Typ war. „Ich bin Naturwissenschaftler.“ Klar, unmissverständlich. Religion? Um Gottes Willen. Davon hatte er in seiner Grevener Kindheit genug gehabt. Sonntags war er immer froh, wenn er nach der Messe zum Fußball konnte. Mit 15 sagte er zu seinen Eltern: „Jetzt geh’ ich nicht mehr in die Kirche“, woraufhin seine Eltern aufatmeten: „Dann müssen wir auch nicht mehr.“ Sabina sah die Sache weniger strikt und machte sich manchen Sonntag auf den Weg in die Gemeinde. Wofür er sie sanft foppte: „Na, gehst du dich erbauen? Wenn du wiederkommst, ist das Essen fertig.“

„Dann koch doch selbst“

Das Essen. Zu Beginn kümmerte sie sich darum, was er alle Augenblicke kommentierte: „Fleisch, schön, aber bitte ohne Knochen. Fisch auf keinen Fall. Und Tomaten gehen nur, wenn ich sie nicht mehr als Tomaten erkennen kann.“ Irgendwann band sie die Schürze ab: „Dann koch doch selbst.“ Und er kochte selbst. Grandiose Gerichte. Für Sabina und sich, für Freunde. Mit einem Schwung allerdings, dass der Rotkohlsaft an den Schubläden herunterfloss, das Fett beim Bratkartoffelschwenken umherspritzte.

Er war Chemiker beim Bundesumweltamt und befasste sich dort ausgiebig mit Reinigungsfragen, Entsorgung des Wassers von Autowaschanlagen, Dünnsäureverklappung. Derlei Sorgfalt spielte in der eigenen Küche eine deutlich untergeordnete Rolle. Es gab Wichtigeres. Seine Miles-Davis- und Satie- und Ray-Charles-Platten zum Beispiel. Die Konzerte im Pierre Boulez Saal. Sie hatten da ein System: Sabina nahm das Programmheft als Erste zur Hand und markierte mit orangefarbenen Zetteln die Aufführungen, an denen sie interessiert war; er kennzeichnete danach seine Wünsche in Gelb. Und dann dieses kleine Glück, wenn Orange und Gelb zusammen kamen.

Plötzlich begann er, Ängste zu formulieren

Denn immerzu zusammen ist niemand, bei aller Liebe. Über seine politischen Ansichten zum Beispiel wunderte sich Sabina irgendwann. Ein so in sich ruhender Mensch begann plötzlich, Ängste zu formulieren, die nichts mit seinem realen Leben zu tun hatten. Der Mann, der eine schöne Wohnung besaß, in einem sicheren Arbeitsverhältnis gestanden hatte, durch die halbe Welt gereist war, fürchtete sich nun vor Menschen, die in Not aus dieser Welt in sein Land kamen? Gleichzeitig war er Menschen in Not zugetan. Kindern, denen das Lesen und Schreiben schwerfiel. Jeden Mittwoch stand er drei Stunden lang vor ihnen in der „Hasenschule“, las ihnen vor, ließ sie vorlesen, schrieb mit ihnen Diktate, damit sie so schnell wie möglich am Regelunterricht teilnehmen konnten. Fragte an jedem unterrichtsfreien Tag bekümmert: „Sind schon wieder Ferien?“ Dann schlug Sabina vor, mit den Rädern loszufahren oder spazieren zu gehen.

Wie an diesem Herbsttag im vergangenen Jahr. Klaus’ Gesundheit war wackelig. „Lass uns über den Friedhof am Fürstenbrunner Weg laufen“, sagte Sabina und er nickte. Sie liefen die Wege entlang, bis Klaus stehen blieb und auf eine Stelle zeigte, die ihn an eine Heidelandschaft erinnerte, wo er mit Sabina glücklich gewesen war: „Hier.“ Dann zeigte er auf eine Bank neben der Stelle: „Und dort kannst du dich hinsetzen.“

Jeden Sonntag kommt Sabina jetzt und setzt sich auf diese Bank.

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