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Doch noch jemanden gesehen im Haus. Für unsere Autorin passiert das aber zu selten.

© dpa

Leserdebatte: Nachbarn, wo seid ihr?

Der berühmte Koffer in Berlin reicht vielen Auswärtigen nicht mehr – heute muss es schon eine ganze Wohnung sein. Dass die meist leer steht, scheint sie nicht zu kümmern. Was meinen Sie: Hat der Mensch ein Recht auf Nachbarn? Diskutieren Sie mit!

Neulich rief mich eine Bekannte aus Hamburg an. Sie sei gerade in Berlin, ob wir uns sehen wollten, sie sei bei mir um die Ecke. Wo denn, bei wem, fragte ich. Sie habe da ja noch so eine Wohnung, sagte sie. Sie hat dann natürlich gleich versucht abzuwiegeln. Eigentlich, sagte sie, sei die Bezeichnung Wohnung irreführend. Eher schon handle es sich um einen Verschlag, dazu noch im Hinterhof und unendlich dunkel.

Aber je kleiner sie ihren Zweitwohnsitz redete, desto deutlicher spürte man ihr schlechtes Gewissen. Das hat sie zu Recht, wie ich finde: Ich selbst komme nicht nur zwischendurch in Berlin-Mitte vorbeigezwitschert, sondern lebe hier ganz und gar. Nur wird es um mich immer einsamer. Einige gehen, behalten aber eine Wohnung, andere kommen gar nicht erst richtig an. In dem Haus, in dem ich lebe, gibt es vier Ferienwohnungen, nebenan ist ein ganzer Strang Apartments von italienischen Familien gekauft worden. Vor Ort sind sie nur ein paar Tage im Jahr, ansonsten stehen die Wohnungen leer.

Um es klar zu sagen: Dies ist kein Touristenbashing. Berlin zu lieben erscheint mir nur vernünftig. Jeder Spanier und Schwede, der hier durch die Straßen geht, wird von mir mit einiger Befriedigung betrachtet. Die Klagen anderer Berliner über den Lärm und Schmutz, den Easyjetter um ihre Touristenapartments herum verbreiten, lese ich beinahe mit Neid. Wie glücklich wäre ich, mal ein Haar auf der Treppe zu finden, das nicht von mir stammt. Wie schön wäre es, Geräusche von wie auch immer geartetem Leben aus anderen Wohnungen zu vernehmen. Alles, was ich nachts höre, sind Wasserhahn (tropft) und Mann (schnarcht).

Autorin Verena Friederike Hasel ärgert sich über Halb-Berliner.

© Doris Spiekermann-Klaas

Wären die Menschen heute nur mehr wie Marlene Dietrich! Vom Äußeren sowieso und von der Einstellung auch. Aber der „Koffer in Berlin“, den die Dietrich besang, reicht den Leuten nicht mehr. Heute muss es gleich eine ganze Wohnung sein, selbst wenn die dann hauptsächlich leer steht. Dabei ist das ein Unrecht: Menschen, die wie ich aus Überzeugung in der Großstadt leben, haben ein Recht auf Nachbarn. Ich brauche solche Kontakte – kurz eine Treppe höher klingeln, wenn man zu viel gekocht hat. Das Babyfon annehmen, wenn der andere ausgehen will. Und selbst nicht Fußball gucken müssen, den Spielstand aber am Jubel der Nachbarn ablesen können.

Freundlicherweise hat wenigstens das Paar über uns vor kurzem ein Baby bekommen. Seitdem gehe ich, wenn mir nach Gesellschaft zumute ist, in das Zimmer, das unter ihrem Schlafzimmer liegt, und höre dem Kind beim Weinen zu. Ihnen begegne ich sogar ab und zu im einsamen Treppenhaus, wir bestaunen uns dann wie Robinson Crusoe und Freitag. Ansonsten rechne ich mir gute Chancen aus, zumindest mal einen Einbrecher zu treffen. In der kurzen Zeit, die ich hier wohne, gab es einen Wohnungs- und einen Kellereinbruch, und uns wurden zwei Räder vom Hof gestohlen.

Ich kann es den Dieben nicht verdenken. An ihrer Stelle würde ich mich auch am liebsten an einem Ort betätigen, wo ich von Hausbewohnern möglichst verschont bleibe. Vielleicht werde ich sie, wenn sie das nächste Mal vorbeikommen, zu uns hereinbitten. Von dem Essen, zu dem wir die Nachbarn kürzlich eingeladen hatten, sind bestimmt noch Reste übrig. Viele sind nämlich nicht gekommen.

Umso glücklicher war ich, als neulich unter uns die Jalousien geöffnet waren. Sogar ein Fenster stand auf. Rambazamba. Endlich Leben in der Bude! Doch leider bekam ich die Bewohner – ein Paar aus dem Rheinland – nicht zu sehen. Stattdessen erhielt ich eine E-Mail mit der poetischen Betreffzeile „Trittschall“. Darin teilten sie mir mit, sie würden sehr unter meinen Schritten leiden. Ob ich vielleicht zuerst mit der Ferse aufträte? So klinge es nämlich, sie meinten das gar nicht böse, es sei nur so: In den wenigen Tagen, die sie in Berlin seien, hätten sie gern ihre Ruhe.

Vielleicht bitte ich sie im Gegenzug, dass sie die restlichen 350 Tage im Jahr ein Radio laufen lassen und das Licht in ihrer Ferienwohnung mit einer Zeitschaltuhr an- und ausstellen. Das gibt mir dann wenigstens die Illusion von Nachbarschaft.

Leiden Sie auch unter Einsamkeit in ihrem Haus, weil niemand mehr wirklich dort wohnt? Oder haben Sie genug Krach um die Ohren? Diskutieren Sie mit, liebe Leserinnen und Leser!

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