zum Hauptinhalt
Links Autos, rechts Radfahrer - für Rettungswagen kann es auf einstmals zweispurigen Straßen wie der Kantstraße durch Pop-up-Radwege eng werden.

© imago/Petra Schneider

Nach Urteil gegen Pop-up-Radwege: Was Einsatzkräfte im Straßenverkehr wirklich behindert

Temporäre Radwege können ein Problem für Polizei, Feuerwehr und Krankentransporte darstellen. Doch etwas anderes macht den Rettern mehr zu schaffen.

Von

An den Pop-up-Radwegen scheiden sich die Geister. Progressive Maßnahme auf dem Weg zur Verkehrswende oder Behinderung im Straßenverkehr? Laut Verwaltungsgericht sind acht Berliner Pop-up-Radwege rechtswidrig.

Doch wie sehen die, die es besonders eilig haben, die neuen Radwege? Was erleben Rettungssanitäterinnen, Feuerwehrleute und Polizeibeamte als Hindernisse?

Sophie Varverakis, 26 Jahre alt und Rettungssanitäterin, und ihre Kollegin Alexandra Rudroff, 25 Jahre alt und Notfallsanitäterin, kennen die Unwägbarkeiten auf Berlins Straßen gut. Seit 2017 sind die beiden unterwegs, um Menschen in Not zu helfen. „Eigentlich sind die Einsätze nicht der Stressfaktor, denn da tun wir, was wir können: Wir kommen, fragen unser Schema F ab, untersuchen die Patienten, nehmen sie mit oder eben nicht, fahren zum Krankenhaus", sagt Rudroff. "Aber der Weg bis dahin und zurück, das ist stressig.“

Die Pop-up-Radwege - mittlerweile gibt es sie auf rund 25 Kilometern in Berlin - bewerten die Kolleginnen positiv. „Nur die Poller sind Diskussionsthema“, sagt Varverakis, die bei Einsätzen hinter dem Steuer sitzt. Für Rettungskräfte sei es problematisch, dass manche der neuen Wege mit Pollern begrenzt wären, andere wiederum aber nicht. Zwar könnten manche der Poller von Rettungsfahrzeugen überfahren werden, doch welche das seien, sage ihnen niemand.

[Wie eng es werden kann, wenn wegen eines Pop-up-Radwegs nur eine Fahrspur zur Verfügung steht, zeigt dieses Video.]

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Trotzdem sei es längst überfällig gewesen, dass die Wege für den Radverkehr ausgebaut werden. „Durch die Pop-up-Radwege könnte es weniger schwere Unfälle mit Radfahrern geben“, sagt ihre Kollegin Rudroff. Außerdem sei es für sie als Einsatzkräfte sehr hilfreich, dass durch die farbige Markierung eindeutig wäre, wo die Radfahrer auf der Straße hingehören, ergänzt Varverakis.

"Drehleitern brauchen Platz"

Koordiniert werden die Einsätze des DRK-Rettungsdienstes von der Berliner Feuerwehr. Ihr Sprecher Thomas Kirstein erklärt am Telefon, dass die Feuerwehr rein rechtlich nicht mit einbezogen werden muss, wenn Pop-up-Radwege gebaut werden. „Glücklicherweise sprechen die Senatsverwaltung und die Bezirksämter aber mit uns“, sagt er. Die provisorisch markierten Wege könnten aber auch zu Problemen für die Feuerwehrkräfte führen. Zum einen für die Benutzung einer Drehleiter, die in Brandfällen einen zweiten gesetzlich vorgeschriebenen Rettungsweg schaffen kann: „Diese Drehleitern brauchen Platz“, sagt Kirnstein.

Durch manche Radwege sei dieser nicht gegeben, außerdem vergrößere sich die Entfernung des Leiterfahrzeugs zum Gebäude. Zum anderen werde es an den Stellen knifflig, an denen die anderen Fahrzeuge nicht mehr auf die zweite Fahrbahn ausweichen könnten. Dadurch würden sich die Eintreffzeiten verzögern.

[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Leszek Nadolski, Vorsitzender der Berliner Taxi-Innung, sieht die Pop-up-Radwege kritisch. „Für viele ältere Menschen, die nicht mehr so mobil sind, ist das ein riesiges Problem“, sagt er. „Ich kann beispielsweise in der Kantstraße keine gehbehinderten Kunden mehr abholen, weil ich nicht mehr vor dem Haus parken darf und sie einfach nicht so weit laufen können.“

Eine Ausnahme habe er kürzlich gemacht, erzählt Nadolski. Eine ältere Frau musste zu einem dringenden Arzt-Termin und sei ganz verzweifelt gewesen. „Ich habe sie dann irgendwie gestützt und fast zu meinem Taxi getragen, das etwa 50 Meter entfernt stand. Sie war völlig fertig und auf mich wartete schon ein Vertreter des Ordnungsamtes mit einem Strafzettel über 25 Euro.“

Aber nicht nur die Alten und Schwachen seien die Leidtragenden, sagt Nadolski. Auch wenn jemand auf der Kantstraße einen Schlaganfall oder Herzinfarkt erleide, habe er schlechte Karten. „Neulich stand ein Rettungsfahrzeug hinter mir und kam einfach nicht durch. Wo sollten ich und die anderen Fahrer auch hin? Rechts die parkenden Autos, dahinter die Pop-up-Radspur und links der Mittelstreifen.“ Die Chance auf schnelle medizinische Hilfe sei in solchen Fällen „außerordentlich gering“, glaubt Nadolski.

Wenn der Krankentransporter auf der Fahrbahn parkt

Auch für Krankentransporte kann das ein Problem sein. „Wir können unsere Patienten ja gerade bei schlechtem Wetter nicht über längere Strecken transportieren“, sagt ein Mitarbeiter der Spree-Ambulance. „Seitdem es die neuen Pop-up-Radwege gibt, müssen wir manchmal, wie etwa in der Müllerstraße, mitten auf der Fahrbahn parken. Das ist natürlich auch nicht ungefährlich.“

Das Platzproblem kennen auch die Notfallsanitäterin Rudroff und die Rettungsassistentin Varverakis. Die größeren Schwierigkeiten im Berliner Verkehrsdschungel rühren aus ihrer Sicht aber nicht von den neugestalteten Radwegen, sondern von etwas anderem: „Falschparker machen uns das Leben besonders schwer“, sagt Rudfroff.

Und das Ausweichen klappe auch nicht, wie es soll. Viele würden die Regeln schlicht nicht kennen und zum Beispiel nicht wissen, dass sie auch mal vorsichtig über eine rote Ampel an die Seite fahren dürfen, um den Einsatzkräften auszuweichen.

Immer wieder werden die Retter beleidigt

Erschwerend hinzu kämen ungehaltene Verkehrsteilnehmer. „An etwa jedem zweiten Einsatztag bekommen wir Beleidigungen zu hören“, erzählt Varverakis. Dabei kann es in ihren Einsätzen um Leben und Tod gehen. Wie schnell die Rettungskräfte unterwegs sein müssen, legt die sogenannte „Hilfsfrist“ fest. Zehn Minuten nur soll es in Berlin dauern, bis sie nach einer Alarmierung am Rettungsort ankommen.

Doch 2019 erreichten Rettungskräfte laut dem Jahresbericht der Berliner Feuerwehr nur in 56,9 Prozent der Fälle den Einsatzort innerhalb der vorgeschriebenen Frist – dabei liegt das Soll für den Berliner Innenstadtbereich bei 90 Prozent.

Bei der Bildung von Rettungsgassen zeigen sich Fortschritte

Neben Falschparkern gibt es ein weiteres Problem für die Rettungsfahrzeuge, erzählt Notfallsanitäterin Rudroff: Viele Menschen wüssten offenbar nicht, wie eine Rettungsgasse gebildet werde. Zumindest ein bisschen aber hätte sich die Situation in den vergangenen Jahren verbessert, verantwortlich dafür seien vermutlich Aufklärungskampagnen und die Diskussionen über Gaffer.

[Mehr aus der Hauptstadt. Mehr aus der Region. Mehr zu Politik und Gesellschaft. Und mehr Nützliches für Sie. Das gibt's nun mit Tagesspiegel Plus: Jetzt 30 Tage kostenlos testen.]

Seit Sommer 2018 hängen 16 große Banner an den Brücken über der Berliner Stadtautobahn, die auf die korrekte Bildung von Rettungsgassen hinweisen – sie sind im Rahmen der Kampagne „Runter vom Gas“ des Bundesverkehrsministeriums in Zusammenarbeit mit der Berliner Polizei und der Senatsverkehrsverwaltung aufgehängt worden.

Außerdem kooperiert die Verkehrsinformationszentrale Berlin mit der Hörfunkwelle „88,8“ des RBB, deren Moderatoren auf die Bildung einer Rettungsgasse hinweisen, wenn sie Einsätze durchgeben. Akut helfe für die schnelle Bildung von Rettungsgassen die Unterstützung der Polizei, erzählt Varverakis.

Wie Platz machen, wenn es nur eine Fahrspur gibt?

Doch hier könnte es durch die temporären Radwege zu neuen Problemen kommen: Die Antwort eines CDU-Abgeordneten zur Frage, wie denn etwa auf der nunmehr in jeder Richtung einspurigen Kantstraße eine Rettungsgasse gebildet werden soll, beantwortete die Verkehrsverwaltung mit Verweis auf die Straßenverkehrsordnung, nach der Rettungsgassen nur auf Autobahnen gebildet werden müssten.

[In unseren Leute-Newslettern aus den zwölf Berliner Bezirken befassen wir uns regelmäßig unter anderem mit Verkehrsthemen. Die Newsletter können Sie hier kostenlos bestellen: leute.tagesspiegel.de]

In der Praxis machen Autofahrer natürlich auch auf kleineren Berliner Straßen Platz, wenn sich ein Einsatzwagen mit Blaulicht und Martinshorn nähert. Auch Polizeimeister Florian Horn sagt am Telefon, dass er wahrgenommen habe, wie sich die Bildung von Rettungsgassen in den vergangenen Jahren verbessert habe. „Ich hoffe, dass das so bleibt“, sagt der 37-Jährige, der seit 2014 bei der Berliner Polizei arbeitet.

Als Stammkraftfahrer fährt er nicht nur die kleineren Einsatzwagen, sondern auch die großen Gruppenwagen der Berliner Polizei. Auch ihm fiele immer wieder auf, wie viele Menschen die gültigen Regeln zum Ausweichen nicht kennen würden. Daher müsse weiterhin Aufklärung betrieben werden.

Wenn die Baken der Pop-up-Wege den Einsatz behindern

Die neugeschaffenen Pop-up-Radwege findet er als leidenschaftlicher Radfahrer gut. Er sagt aber auch: „Teilweise sind sie für uns Einsatzkräfte schwierig.“ Als Beispiel nennt er den neuen Radweg auf der Skalitzer Straße in Kreuzberg. Dort sei der Radweg mit Baustellenbarken abgetrennt worden – wenn ein Polizeiwagen schnell vorbei müsse gäbe es keine Ausweichmöglichkeit für die anderen Verkehrsteilnehmer – so sei man bei Einsätzen unter Umständen langsamer.

Insgesamt ist Horn aber recht zufrieden, wenn es um das Ausweichen der anderen Verkehrsteilnehmer geht. Der Polizei zufolge brauchten Beamte im vergangenen Jahr durchschnittlich acht Minuten, um nach Alarmierung am Einsatzort anzukommen. Das betraf allerdings nur Einsätze, in denen die Beamten Sonder- und Wegerechte in Anspruch nehmen konnten, das heißt etwa über eine rote Ampel fahren dürfen. Die Erlaubnis dazu wird erteilt,wenn etwa Menschenleben in Gefahr ist. In etwa 20 Prozent der Einsätze 2019 wurde die Erlaubnis zur Nutzung der Sonderrechte erteilt.

Bei allen anderen Einsätzen brauchte die Polizei durchschnittlich rund 27 Minuten zur Einsatzstelle. Anders als bei der Feuerwehr und der Notfallrettung gibt es bei der Polizei keine Hilfsfrist, die eine bestimmte Minutenanzahl festschreibt. Die Rettungskräfte Rudroff und Varverakis haben einen Tipp für die anderen Verkehrsteilnehmer: Wenn sie das Martinshorn hörten, sei es wichtig, nicht in Panik zu verfallen, sondern möglichst ruhig zur Seite zu fahren. Wenn das etwas länger dauere, dafür aber den Weg korrekt freimache, sei das in Ordnung.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false