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Kai Wegner (CDU) und Raed Saleh (SPD).

© dpa/Christophe Gateau

Nach der umstrittenen Wahl von Wegner: Die Berliner SPD-Führung schliddert von Krise zu Krise

Die Rufe nach einer Neuaufstellung mehren sich nach dem Desaster um die Wahl von Kai Wegner. Ein mächtiger Kreischef fordert einen Plan für 2026 – und andere erwarten Rücktritte. 

Raed Saleh lächelt viel in der Öffentlichkeit. Tut der 45-Jährige das mal nicht, spricht das für den Ernst der Lage. Als der SPD-Fraktionschef am Donnerstagnachmittag am Casino in der ersten Etage des Berliner Abgeordnetenhauses vorbeiläuft, wirkt sein Gesicht bis aufs Äußerste angespannt. Kai Wegner ist zu diesem Zeitpunkt schon zwei Mal im Parlament als Regierender Bürgermeister durchgefallen. Der dritte Wahlgang wird alles entscheiden.

Stundenlang haben Saleh und Wegner seit dem Mittag mit der Suche nach Abweichlern in ihren Fraktionen verbracht. Wer stellt hier heimlich die gesamte Koalition infrage? Wer greift ihr Werk an? Für die Berliner SPD steht an diesem Nachmittag fast alles auf dem Spiel. Wäre auch der dritte Wahlgang gescheitert, hätte die CDU das Bündnis wohl beendet. So zumindest wird es aus der CDU gestreut. Die SPD und ihre Führung um Franziska Giffey und Saleh wären als verlässliche Bündnispartner erledigt gewesen.

Am Tag danach ist die Linie aber klar: Die Wahl ist geschafft, jetzt wird regiert – die Argumentation der AfD wird als Lüge dargestellt. Parteichef Saleh gibt die Parole aus: Nur die CDU- und SPD-Stimmen hätten zur Wahl geführt. Belegen lässt sich das genauso wenig wie das Gegenteil. Doch der Berliner Landesverband ist jetzt noch nervöser als ohnehin schon. Die Gegenstimmen aus der SPD werden auch als Denkzettel für Saleh gewertet. Der Fraktionschef scheint nicht mehr unangreifbar.

Noch am Donnerstag verfasste der ehemalige Bildungsstaatssekretär Mark Rackles einen Brief an die beiden Landesvorsitzenden Giffey und Saleh. Das Papier liegt dem Tagesspiegel vor. Darin fordert der ehemalige Kopf der SPD-Linken eine Neuaufstellung der Partei und einen Rücktritt der Senatsmitglieder aus dem geschäftsführenden Landesvorstand. Rackles schreibt von „einer extremen Überlast an Mandats- und Amtsträgern“, da nahezu alle Mitglieder kaum Kapazitäten für ihre Rolle hätten.

„Manchmal muss man einen Schritt zurücktreten“

So bleibe keine Zeit für „stadtpolitische Debatten jenseits der reinen Verwaltungslogik“, wie Rackles schreibt. Er halte es auch aus grundsätzlichen Erwägungen geboten, Partei- und Regierungsarbeit überwiegend zu trennen – so wie etwa bei Grünen und Linken üblich. Die Bundes-SPD hat ein ähnliches Modell. Deshalb, so Rackles, sollten die Senatsmitglieder nun Platz für neues Personal machen. Er bittet die Landesvorsitzenden: „Manchmal muss man einen Schritt zurücktreten, um zwei Schritte voranzukommen.“

Am 26. Mai trifft sich die Partei zum Landesparteitag, auch, um die Wahl auszuwerten. „Dort wird es knallen“, sagen erfahrene Sozialdemokraten. Viele gehen davon aus, dass ohnehin eine knappe Mehrheit der Delegierten gegen die Große Koalition ist. Bislang, heißt es hinter vorgehaltener Hand, sei keine Strategie der Parteiführung erkennbar.

Geräuschloses Regieren reiche nicht aus

Der stellvertretende Landesvorsitzende und Chef des mächtigen Kreisverbandes von Charlottenburg-Wilmersdorf, Kian Niroomand, sagte dem Tagesspiegel: „Wir brauchen jetzt möglichst bis Jahresende einen Fahrplan und eine Gesamtstrategie, wie wir 2026 wieder erfolgreicher sein können als 18,4 Prozent.“ Niroomand ist wichtig: „Wir müssen jetzt konstruktiv über Inhalte und Strukturen sprechen und nach vorne schauen.“

Nur geräuschlos an der Seite der CDU zu regieren, werde dafür nicht ausreichen, sagte Niroomand. „Der Partei kommt jetzt die zentrale Aufgabe zu, die Regierungsarbeit konstruktiv, aber auch kritisch zu begleiten.“ Dazu müsse der Landesverband wieder stärker zum „Ideengeber für politische Impulse“ werden. „Wir treten bei den Wahlen nicht als Senat oder Fraktion an, sondern als Partei. Dafür muss klar sein, wofür die SPD steht.“ Das habe sich bei der Wahl gezeigt: Die gute Regierungsarbeit des Senats in der Energiekrise habe sich für die SPD nicht ausgezahlt.

In der SPD ist am Freitag nach Wegners Wahl erstmals seit Langem zu hören, dass sich Widerstand gegen die Landesvorsitzenden organisieren könnte. Besonders die linksgeprägten Kreisverbände Steglitz-Zehlendorf, Mitte und Neukölln werden genannt. Einen Einblick in die Seele der Partei gab ein Tweet des ehemaligen Parteivorstands Julian Zado: „So eine Wahl darf man nicht annehmen, in so einen Senat nicht eintreten“, schrieb Zado. Wie er denken wohl nicht wenige. Es waren ja ohnehin nur 54,3 Prozent der Mitglieder für dieses Bündnis.

Eine Abwahl am 25. Mai haben, trotz aller Kritik, aber wohl weder Raed Saleh noch Franziska Giffey zu erwarten. Parteiwahlen sind erst für das kommende Jahr geplant. Es bräuchte eine Zweidrittelmehrheit bei den Delegierten, um aus dem Parteitag im Mai noch einen Wahlparteitag zu machen. Auch die neue Arbeitssenatorin und potenzielle Giffey-Konkurrentin Cansel Kiziltepe sagte am Freitag im Gespräch mit dem Tagesspiegel: „Der Parteivorsitz ist aktuell kein Thema für mich.“

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