zum Hauptinhalt
Handarbeit in der Ziegel-Manufaktur Glindow. 19 Personen hatten vor Corona hier eine Arbeitsstelle, zehn davon mussten bereits gehen.

© Andreas Klaer

Nach 563 Jahren Ziegelbrennerei vor den Toren Berlins: Am Glindower See muss der letzte Ringofen erkalten

1458 brannten Mönche den ersten Ton in Glindow bei Werder an der Havel. Später wurden hier die Ziegel für Tausende Berliner Bauten gefertigt. Nun ist Schluss

Auf die Frage, was für eine Art Wunder geschehen müsse, damit dieses jahrhundertealte Stück Industriegeschichte eine Verlängerung erfährt und nicht einfach so endet in der kommenden Woche, muss Harald Dieckmann länger nachdenken. Es herrscht Stille in der Leitung. So lange, dass man glaubt, sie sei abgerissen. „Nein, ich bin noch da“, sagt der langjährige Geschäftsführer der Neuen Ziegel-Manufaktur Glindow am Dienstag am Telefon.

Harald Dieckmann, Geschäftsführer der Ziegelei musste bereits zehn der einst 19 Mitarbeiter freistellen.
Harald Dieckmann, Geschäftsführer der Ziegelei musste bereits zehn der einst 19 Mitarbeiter freistellen.

© Ottmar Winter/PNN

Eine zündende Idee hat er aber nicht: Der Diplomingenieur ist Kaufmann genug, um zu wissen, dass sein Unternehmen keine Existenzberechtigung und Überlebenschance mehr hat – zumindest nach den üblichen Gesetzen der Marktwirtschaft. „Wir sind schlicht zu teuer“, weiß Dieckmann. Kunden müssen für Ziegel aus seinem historischen Ringofen etwa doppelt so viel Geld zahlen wie für konventionelle Steine aus Ton und Lehm. Günstiger werden konnte er nicht, 19 Mitarbeitenden wollten Lohn sehen.

Ziegel aus der Manufaktur in Glindow sind etwa doppelt so teuer wie konventionell hergestellte Steine.
Ziegel aus der Manufaktur in Glindow sind etwa doppelt so teuer wie konventionell hergestellte Steine.

© PNN / Ottmar Winter

„Die Entwicklung in den letzten fünf Monaten und dabei nicht zuletzt die Auswirkungen der Coronakrise haben unser Unternehmen in eine derart schlechte wirtschaftliche Lage gebracht, dass ein Weiterführen leider nicht mehr zu verantworten ist“, schrieb Dieckmann Ende April an Geschäftspartner und Freunde der Ziegelei. Umsätze hätten sich halbiert, ein Großauftrag sei geplatzt.

Die "Neue Ziegel-Manufaktur Glindow" in Werder (Havel) westlich von Berlin.
Die "Neue Ziegel-Manufaktur Glindow" in Werder (Havel) westlich von Berlin.

© Andreas Klaer

[Und was passiert konkret in Ihrem Berliner Kiez? Die 12 Tagesspiegel-Newsletter für die 12 Berliner Bezirke gibt es kostenlos hier - leute.tagesspiegel.de]

Zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter musste er freistellen, die neun Verbleibenden fertigen letzte Formsteine mit den vorhandenen Rohstoffen. Auch der Verkauf geht noch weiter. Eine Insolvenz soll nicht beantragt werden, die Eigentümer wollen den Betrieb geordnet abwickeln und schießen derzeit jeden Monat 20.000 bis 30.000 Euro in den Betrieb mit dem 1866 errichteten Ringofen und seinen 14 Kammern.

Das "Fjordenhus", das der in Berlin lebenden Künstler Ólafur Eliason im dänischen Vejle bis 2018 errichtet hat, ist aus Steinen aus Glindow erbaut.
Das "Fjordenhus", das der in Berlin lebenden Künstler Ólafur Eliason im dänischen Vejle bis 2018 errichtet hat, ist aus Steinen aus Glindow erbaut.

© Ziegel-Manufaktur Glindow

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Es ist der letzte von einstmals gut 50 Öfen dieser Art rund um den Glindower See bei der Stadt Werder (Havel), westlich von Berlin. Der Baumeister und Erfinder Friedrich Eduard Hoffmann hatte sich das Prinzip 1858 patentieren lassen. „Der Ringofen ist großtechnisches Beispiel für systematische Energieeinsparung“, erklärt Ziegelei-Chef Diekmann. In modernen Fabriken fahren Ziegel auf einem Band automatisch durch einen Ofen. Das spart mutmaßlich kaum Brennstoff – aber jede menge Personalkosten.

Eine der 14 Kammern in dem Ringofen von Glindow: Hier soll das Feuer in der Woche vor Pfingsten 2021 ausbrennen.
Eine der 14 Kammern in dem Ringofen von Glindow: Hier soll das Feuer in der Woche vor Pfingsten 2021 ausbrennen.

© PNN / Ottmar Winter

Vor Corona waren einzelne Kunden bereit und fähig, viel Geld für Ziegel aus Glindow zu bezahlen – darunter ein ehemaliger Bahn-Chef oder Kunden aus Skandinavien. Der Künstler Olafur Eliasson erbaute 2018 das futuristische Fjordenhus in der dänischen Hafenstadt Vejle aus Glindower Steinen. Kunden zahlen, weil hier jeder Ziegel handgeschnitten ist, ein Unikat irgendwie, vielleicht auch, um die faszinierende Tradition aufrechtzuerhalten: Zisterziensermönche brannten nachweislich bereits im Jahr 1458, also vor 563 Jahren, die ersten Ziegel in Glindow. Viel später, nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 und dem Aufstieg Berlins zur Industriestadt, transportierten die Glindower ihre Ziegel in gigantischen Größenordnungen in Kähnen auf der Havel und den Kanälen nach Berlin und Potsdam.

Im Museum, untergebracht in einem Türmchen neben der Ziegelei von Harald Dieckmann, heißt es, über die Jahre seien geschätzt 22 Billionen (!) Ziegel von Glindow nach Berlin geliefert worden. Das wären genug Steine, um einen mehr als vier Meter breiten Weg von der Erde zur 150 Millionen Kilometer entfernten Sonne zu pflastern.

Astronomisch große Zahlen, kaum zu glauben. Aber sollten sich auf die Schnelle noch eine Stiftung oder Bauleute finden, die wenigstens ein paar Milliönchen Ziegel bestellen, bliebe der Ofen vielleicht an. Es würde als „das Wunder von Glindow“ in die Industriegeschichte eingehen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false