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 Dem Salomonischen Tempel nachgebaut und heute von einer Mauer zur Grundstückstrennung durchzogen: Das Molkenhaus Bärwinkel

© Silvia Passow

Mystisches Molkenhaus: Ein Salomonischer Tempel in Brandenburg 

Als Domizil eines neuen Templer-Ordens erdacht, schuf der junge Karl Friedrich Schinkel nahe Neuhardenberg einen Tempel im neoromanischen Stil. Doch statt geheimer Rituale gab es Butter.

Von Silvia Passow

Der Tempel, in dem einst Käse reifte, steht etwas versteckt. Ein schmaler Feldweg, eine Wiese, auf der Bäume Schatten spenden. Erst wer ein Stück auf die Wiese geht, kann die Fassade von dort aus entdecken. Und dazu noch etwas, eine Mauer, die direkt an der Gebäudewand endet. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Grundstücksgrenze just durch das Gebäude verlegt. Im vorderen Teil müht sich ein Förderverein um den Erhalt des als einmalig geltenden Bauwerkes. Auf der anderen Seite wird gewohnt, in einem Haus, dessen Vorbild der legendäre Tempel Salomons war.

Eine beeindruckende Begegnung

In den 1970er Jahren studiert Frank Augustin an der technischen Universität in Berlin Architektur. Sein Dozent, Goerd Peschken, nimmt ihn und einige weitere Studenten mit auf eine Fahrt in die damalige DDR. Es geht Richtung Neuhardenberg. Eine liebliche Landschaft, hügelig, mit sattgrünen Wiesen. Es heißt, Neuhardenberg liege in der Mitte Europas. Hier, am Rande des Oderbruchs, schuf der preußische Star-Architekt Karl Friedrich Schinkel mit der Dorfkirche sein Erstlingswerk. Später ließ er das einst barocke Schloss klassizistisch umgestalten. Doch allein deswegen fuhr die kleine Gruppe nicht von Berlin in die Nähe des Oderbruchs. Ziel war das Molkenhaus Bärwinkel, nur wenige Kilometer vor den Toren Neuhardenbergs. Das für den landwirtschaftlichen Betrieb gebaute Haus war dem Salomonischen Tempel nachempfunden worden.

In zwei VW-Bussen reisten sie über holprige Straßen und dann das: Viel war nicht übrig von der einstigen Pracht. Augustin erinnert sich: „Kein Dach, die Kamine eingestürzt, eingebrochene Türöffnungen, der Giebel war teilweise runtergefallen.“ Und doch war da dieser Zauber, etwas, was ihn nicht mehr losließ. „Ich hatte mich sofort verguckt“, sagt er. Und er vergaß dieses Kleinod nicht. Kaum sind die Grenzen offen, die Mauer zwischen den beiden deutschen Staaten gefallen, macht er sich auf den Weg nach Neuhardenberg, auf nach Bärwinkel.

Es steht noch, doch der Zustand ist jämmerlich. Augustin, nun Architekt der Denkmalpflege, hat sein Lebenswerk gefunden. Er müht sich fortan um das Gebäude, verhindert einen weiteren Verfall, organisiert finanzielle Mittel, gründet schließlich den Förderverein Bärwinkel e.V., Ziel ist die Rekonstruktion von Schinkels Salomonischen Tempel. Dazu werden die nachträglichen Aufbauten zurückgebaut. Der Verein hat einen Nutzungsüberlassungsvertrag für einen Teil des ehemaligen Tempels, im anderen wohnen die Nachbarn.

Aus der Ausstellung der junge Schinkel im Molkenhaus auf Bärwinkel

© Silvia Passow/Tagesspiegel

Milch statt Messwein

Augustin trägt die Geschichte um den Ort zusammen. Das Molkenhaus ist nicht nur architektonisch besonders, es ist auch Teil der Landwirtschaftsgeschichte. Um 1800 wird Bärwinkel als Vorwerk des Gutes Quilitz angelegt. Quilitz, das heutige Neuhardenberg, gehört zu jener Zeit zum Besitz von Friedrich Wilhelm Bernhard von Prittwitz. Dessen Vater, Joachim Bernhard von Prittwitz, trägt den Beinamen der Königsritter. Weil er König Friedrich II vor russischer Gefangenschaft bewahrt, schenkt ihm der König Quilitz.

Es ist die Zeit landwirtschaftlicher Neuerungen. Der sogenannte Flurzwang entfällt. Bis dahin war die Dreifelderwirtschaft für die Bauern verpflichtend. Auf zwei Feldern wurde Getreide angebaut, das dritte Feld sollte sich erholen, blieb brach. Darauf weideten die Kühe. Nachdem der Flurzwang aufgehoben war, konnten die Kühe im Stall gehalten werden. Die Milchproduktion wurde erhöht, die industrielle Tierhaltung nahm ihren Anfang.

Milch trinken war hipp. Wer was auf sich hielt, trank Milch, es galt damit, den Weg zurück zur Natur einzuschlagen. So manches Schloss verfügte über Milchgeschirr in eigenen Schränken. Auf Bärwinkel stehen bald 110 Kühe im Stall, schreibt Goerd Peschken, in einem Kunstführer über das Lieblingsstück seines einstigen Schülers Augustin. Die frische Milch lässt sich jedoch nicht zum Markt fahren und verkaufen. Sie würde sauer auf dem Weg dorthin, also wird sie verarbeitet. Dazu braucht es, neben Scheune und Stall, das Molkenhaus, wahrscheinlich 1802 erbaut. Und weil Milch in Mode war, war das Molkenhaus auch Ziel von Ausflügen, sollte also optisch was hermachen.

Ein Templer-Tempel im Oderbruch

Peschken schreibt, der Besitzer Prittwitz habe sich damals mit der Absicht getragen, einen neuen Templer-Orden zu gründen. Geheimgesellschaften wie die Freimauer oder Illuminaten waren zu jener Zeit im Trend. Die als Templer bekannten Ordensritter hießen eigentlich „Arme Ritterschaft Christi und des salomonischen Tempels zu Jerusalem“. Der 1118 gegründete Orden soll von nur ein Jahr später von König Balduin II. die Gebäude auf dem Jerusalemer Tempelberg als Ordenssitz erhalten haben. Prittwitz beauftragt den Architekten David Gilly mit der Planung. David Gilly und sein Sohn, der Künstler, Friedrich Gilly, waren zu damaliger Zeit das führende Architektenhaus in Preußen. Als Friedrich Gilly 1800 starb, übernahm dessen Schüler, der nicht einmal 20-jährige Karl Friedrich Schinkel, die Projekte des Lehrers. Nach Peschken soll Schinkel später bekundet haben, das Molkenhaus Bärwinkel sei sein erheblichstes Werk, bevor er nach Italien reiste. Aus kunstgeschichtlicher Sicht ist das Molkenhaus Bärwinkel der erste neoromanische Bau auf dem europäischen Festland, sagt Augustin.

Die Ergebnisse der Recherchen rund um das Molkenhaus Bärwinkel und den jungen Schinkel können im Inneren des Molkenhauses besichtig werden. Hier eröffnete der Förderverein 2006 die Ausstellung „Der junge Schinkel 1800 bis 1803“. Dazu gibt es viel Wissenswertes um die Landwirtschaft in Brandenburg und im Oderbruch. Immer Sonntag, von 11 bis 15 Uhr von April bis Oktober.

Im Stall steht ein Klavier

Doch das ist nicht alles. Im ehemaligen Stall wird fleißig gebaut. Im Obergeschoss sollen Zimmer für Übernachtungsgäste entstehen. Im Erdgeschoss sollen eine Küche und Toiletten eingebaut werden. An einem Samstag im Spätsommer zeigen Augustin und seine Gattin Corinna Simon, was sie noch vorhaben auf Bärwinkel.

Im ehemaligen Stall steht ein schwarz glänzendes Klavier. Rund 60 geladene Gäste sind zur musikalischen Einweihung des ehemaligen Stalls gekommen. Als die Konzertpianistin Simon dem Klavier die ersten Klänge zu Scarlattis Sonate C-Dur L 104 entlockt, tanzt die Luft. Eine Leichtigkeit erfüllt den ehemaligen Stall, einen Ort der schweren Arbeit. Hier duftete es einst nach Mist und Tier, nun schweben klar und unverbraucht die Melodien durch den Raum. Vielleicht musste ganz unbedingt eine Musikerin an diesen Ort, dem man diese Akustik nicht zutrauen würde.

Simon plant in dem ehemaligen Stall Workshops für Pianisten aus aller Welt. Diese Weiterbildung am Klavier soll ihren Höhepunkt in öffentlichen Klavier- und Kammermusik-Abenden finden. Die Kulturwerkstatt Bärwinkel, so heißt das Projekt, soll 2024/25 an den Start gehen.

Als die Vorstellung vorbei ist, steht Volker Prittwitz vor dem ehemaligen Stall und staunt, was daraus geworden. Er ist Nachfahre des ehemaligen Besitzers. Er kommt gern nach Bärwinkel und schaut, wie sich der Tempel entwickelt. Im Stall war auch er noch nie, sagt er und fügt hinzu: „Ist schön zu sehen, wie sich alles wieder mit Leben füllt.“

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