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04.03.2024, Berlin: Ingrid «Milli» Segieth und Ferdinand Foerster kommen zur Trauerfeier für den Musikproduzenten Frank Farian. Farian ist am 23. Januar 2024 in Miami (USA) gestorben. Foto: Monika Skolimowska/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

© dpa/Monika Skolimowska

„Where do you go?“: Weggefährten nehmen in Berlin Abschied von Frank Farian

Er war der wohl größte Musikproduzent, den Deutschland hatte. In Kreuzberg haben nun viele Abschied von Frank Farian genommen, darunter auch Mitglieder von Boney M. und Milli Vanilli.

Von Aline von Drateln

Frank Farian ist einer dieser zeitlosen Persönlichkeiten, deren Schaffen irgendwie immer zu früh und zu spät gleichzeitig erscheint.

Als ich anlässlich des Kinofilms „Girl you know it’s true“ meinen Kindern vor wenigen Wochen von dem Skandal der deutschen Musikgeschichte Anfang der 90er-Jahre erzählte, war die Reaktion der Teenager nur: „Und was war daran schlimm?“

Frank Farian im Jahr 2009
Frank Farian im Jahr 2009

© dpa/Karlheinz Schindler

Es sind die großen Fragen, um die es auch auf der Trauerfeier an diesem Montagvormittag in Kreuzberg geht. Etwa 200 Freunde, Familienmitglieder und Wegbegleiter sind ins Magazin in der Heeresbäckerei gekommen, um sich vom größten Musikproduzenten, den Deutschland hatte, zu verabschieden. Am 23. Januar war er in seinem Haus in Miami im Alter von 82 Jahren gestorben.

Brad Howell von Milli Vanilli ist auf Krücken hier. Thomas Anders ist aus Koblenz angereist. Liz Mitchell und Marcia Barrett von Boney M. sind da. Und natürlich Ingrid Segieth alias Milli, langjährige Geliebte und „Franks Fels in der Brandung“, wie sie hier genannt wird. Musikproduzent Thomas Stein sitzt neben Kultursenator Joe Chialo. Außerdem viele andere Produzenten aus dem Musikbusiness, die aussehen, wie Männer sich eben so stylten, als Teenies noch aus Wut ihre LPs zerbrechen konnten, nachdem herauskam, dass Milli Vanilli gar nicht selbst singt und die Discos noch „Rendezvous“ hießen: Lange Haare und braun gebrannt. Natascha Ochsenknecht ist auch hier.

Die Stehtische in dem großen Raum sind mit kleinen Discokugeln geschmückt. An den Backsteinwänden überlebensgroße Schwarz-Weiß-Porträts des Verstorbenen. Die Bühne, auf der zu Beginn ein Gospelchor „Amazing Grace“ singt, wird eingerahmt von zwei riesigen Sträußen aus roten Anthurien und Chrysanthemen.

Der ehemalige ZDF-Moderator Fritz Egner führt durch die Zeremonie

Durch die Zeremonie führt der ehemalige ZDF-Moderator Fritz Egner und, seit er ihn einmal interviewen durfte, enger Freund von Farian.

Er tut das mit der gleichen Sensibilität wie damals die Interaktion mit kleinen Kindern in der Sendung „Dingsda“. Sein Taktgefühl beherrscht nicht jeder, auch nicht in der Musikbranche. Einmal muss er sich kurz fassen, nachdem die Originalstimme seines Freundes abgespielt wird.

Egner wird an diesem Vormittag nicht der Letzte sein, der Farians Leidenschaft, seinen Perfektionismus und seinen Wahnsinn beschreibt: „In den Sechzigerjahren in Deutschland mit Soul-und Popmusik durchstarten zu wollen, war natürlich irre!“

Wie die ganze Welt heute weiß, hat er es geschafft. Den Erfolg verdankt er dabei nicht unbedingt den Songs, sondern deren Arrangements. Seine Tochter Nicole formuliert es auf der Bühne so: „Sein Lieblingsinstrument war das Mischpult.“

Liz Mitchell verrät mir später, dass sie kein Lieblingslied hat: „Das waren keine Songs für mich. Es waren Songs für das Publikum.“

Sein Publikum behandelte er stets wie Gäste zu Hause, berichtet Robert Makintosh, der mit Farian an seinem letzten Projekt arbeitete: das biografische Musical „Daddy cool“. Dafür ließ Farian kurzerhand noch die Polster der Theatersitze ändern, weil sie ihm zu düster erschienen.

Boney-M.-Sängerin Liz Mitchell und Thomas Anders bei der Trauerfeier in Berlin
Boney-M.-Sängerin Liz Mitchell und Thomas Anders bei der Trauerfeier in Berlin

© Aline von Drateln

Vor der Bühne sitzt Hans-Eberhard Blume, bis 1993 Chef der wichtigen Musikproduktionsfirma Hansa. Er gehörte zu den Ersten, die Farians Talent erkannten. Er lieh dem gelernten Koch, der schon für Konrad Adenauer kochte, 80 Tausend DM, von denen der sich einen Disk-Cutter kaufte. „Damit konnte er direkt eine Platte schneiden und die Wirkung sofort testen.“ Das tat Farian zum Beispiel in seinem Club, dem „Rendezvous“. Deshalb wurde der ursprünglich als B-Seite geplante Song „Daddy cool“ ein Welthit.

Vier seiner Kinder sind anwesend: Neben Nicole auch Peter, Zoe und Yanina, die auf der Bühne für ihn „Cherish“ singt und dabei die letzte Zeile abwandelt: „Papa I’m gonna miss you“, in Anlehnung an den Milli-Vanilli-Hit.

Nicht weniger emotional ist der Auftritt von No-Mercy-Sänger Marty Cinton, der „Where do you go?“ performt, einen von „Franks favorite Songs“, wie er sagt.

Mit Popmusik ist das ja so eine Sache: Zu ahnen, welches Stück bei den meisten Emotionen hervorzurufen vermag.

Hier sind viele der Gassenhauer plötzlich würdiger Soundtrack zur Trauerfeier seines Schöpfers. An einen Mann mit weißem Bart habe er nicht geglaubt. Aber daran, dass Energie sich umwandelt. Wie Blumen im Frühling. „Warum sollte das bei Menschen anders sein?“

Fünf Tage vor seinem Tod, berichtet seine Tochter Nicole zuvor, habe er gesagt: „Weißt Du, was mein schönster Tod wäre? Wenn ich einfach nur so, friedlich, am Mischpult einschlafen könnte. Und sie mich am nächsten Tag finden.“ Es war kein Mischpult in der Nähe. Aber sein letzter Wunsch wurde ihm erfüllt.

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