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Eine Hand hält ein Schlüsselbund in einer Haftanstalt (Symbolbild).

© imago/Rolf Kremming

In Klinik fehlen Betten und Personal: Gesundheitssenatorin nennt Lage in Berlins Maßregelvollzug „menschenrechtlich bedenklich“

Ulrike Gote (Grüne) weiß, dass die Probleme im Krankenhaus des Maßregelvollzugs zu gefährlichen Aggressionen führen. Abhilfe wird es so bald aber nicht geben.

Die Zustände im Krankenhaus des Maßregelvollzugs seien „nicht zumutbar“, hätten sich in den vergangenen Monaten „zugespitzt“ und seien mit Blick auf die UN-Menschenrechtskonvention sogar „bedenklich“ – unerwartet offen hat sich Gesundheitssenatorin Ulrike Gote (Grüne) am Montag zu den Vorwürfen aus der Klinik geäußert. Dass sich im Wahlkampf die Lage in diesem Spezialkrankenhaus deutlich bessern wird, ist unwahrscheinlich.

Man bemühe sich durchaus um Verbesserungen, sagte Gote im Gesundheitsausschuss, nur leider sehe sie „kurzfristig keine Entlastung“. Auf dem Reinickendorfer Klinikareal wolle man zusätzlich das dortige Haus 8 ausbauen. Dafür jedoch wurden im Landeshaushalt nicht die erforderlichen 46 Millionen Euro genehmigt – Krisenzeiten, eben. „Wir suchen Ersatzquartiere“, sagte Gote, „und arbeiten dazu eng mit der Justizverwaltung zusammen.“

Nach Tagesspiegel-Informationen war tatsächlich erwogen worden, Flügel oder Nebengebäude regulärer Haftanstalten zu einer Klinik umzubauen. In der Justiz gibt es dafür wenig Unterstützer. Vor der Wiederholungswahl im Februar 2023 – die womöglich sowieso eine neue Koalition erzwingt – passiert wenig.

Personalrat: Insassen teilen sich zu fünft ein Zweibettzimer

Wie der Tagesspiegel vor Gotes Aussprache berichtete, hatte der Personalrat des Krankenhauses in einem Brief an die Senatorin die Lage beschrieben: Insassen müssten sich zuweilen „zu fünft ein Zweibettzimmer teilen“ und die für akute Ernstfälle „vorgesehenen 24 Isolierräume sind dauerhaft vollständig belegt“, sodass nicht alle Patienten, bei denen das geboten wäre, isoliert werden könnten. Die Arbeitsbedingungen seien „zunehmend gefährlich“, viele Insassen würden im Maßregelvollzug nicht – wie vorgesehen – therapiert, sondern nur „verwahrt“.

Im Krankenhaus des Maßregelvollzugs sitzen wie berichtet dann Verurteilte ein, wenn ein Gericht sie wegen psychischer Leiden für schuldunfähig erklärt hat. Auf reguläre Haft wird oft auch dann verzichtet, wenn ein Gericht einem Straftäter einen „Hang“ zur Sucht attestiert hat. Auf diese Praxis – Haft bei Schuld, Heilung bei Krankheit – haben Verurteilte vereinfacht formuliert einen Anspruch. Die Insassen sind somit Patienten.

Ulrike Gote (Grüne) ist seit Dezember 2021 die Berliner Gesundheitssenatorin. Foto: Doris Spiekermann-Klaas
Ulrike Gote (Grüne) ist seit Dezember 2021 die Berliner Gesundheitssenatorin. Foto: Doris Spiekermann-Klaas

© Doris Spiekermann-Klaas/Tagesspiegel

Fast wöchentlich werden Angeklagte in Berlin zu Maßregelvollzug statt regulärem Gefängnis verurteilt. Was die Überbelegung dieses Spezialkrankenhauses für Folgen hat, beantworteten weder die Pressestelle Gotes noch die der Justizsenatorin Lena Kreck (Linke).

Dabei ist das Krankenhaus längst zum Politikum geworden. Der Präsident der Ärztekammer Berlin, Peter Bobbert sagte auf Tagesspiegel-Anfrage, die beschriebenen Zustände seien für Patienten und Mitarbeiter unhaltbar. „Was wir aus dem Maßregelvollzug lesen und hören erfüllt uns mit großer Sorge. Dies entspricht nicht unseren medizinischen Standards.“ Eine „adäquate medizinische Versorgung“ sei offenbar „nicht gewährleistet“, die Politik trage dafür die Verantwortung. Alle zugelassenen Mediziner müssen der Kammer, die sich um Fachstandards und Berufsethik kümmert, angehören.

 Wie viele Verletzte nimmt der Senat noch in Kauf?

CDU-Gesundheitsexperte Christian Zander

Schon vor einigen Jahren hatten Ärzte und Pflegekräfte mit einem Brandbrief auf die gefährlichen Zustände im Krankenhaus des Maßregelvollzugs hingewiesen. Damals verletzte ein Insasse eine Medizinerin schwer. Zudem soll circa 2016 erwogen worden sein, eine neue Klinik mit mehr Platz zu errichten.

Zahlreiche Ärzte und Pflegekräfte hatten in den letzten Jahren gekündigt

Seit Jahren ist die Lage bekannt. Schon der rot-rot-grüne Vorgängersenat handelte nicht“, sagte der Gesundheitsexperte der CDU-Fraktion, Christian Zander. „Wie viele Verletzte nimmt der Senat noch in Kauf?“ Das Krankenhaus des Maßregelvollzugs hat 17 Stationen am Hauptstandort in Reinickendorf, dazu drei Stationen in Buch. Zahlreiche Ärzte und Pflegekräfte des Maßregelvollzugs hatten in den letzten Jahren gekündigt – auch, weil die Anstalt immer voller und die Stimmung gefährlicher wurde.

Inzwischen soll sich der Personalschlüssel noch weiter verschlechtert haben. Dem zitierten Schreiben des Personalrats zufolge kümmern sich 500 Mitarbeiter im Schichtsystem um 600 Patienten, wobei formal nur 541 Plätze für den Berliner Maßregelvollzug genehmigt worden sind. Zudem, schreibt der Personalrat, seien 84 der Planstellen unbesetzt.

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