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Große Szene. Als Günter Schabowski am 9. November 1989 die vollständige Reisefreiheit bekannt gab, schrieb er Geschichte.

© dpa

Rant zum Mauerfall-Gedenken: Mehr Erinnerung an Schabowski!

An Schabowskis „... ist das sofort, unverzüglich“ vom 9. November 1989 erinnert am Schauplatz eine abstrakte Installation. Aber ästhetische Überhöhung wird dem Ereignis nicht gerecht – Zeitdokumente müssen herbei.

Diese sieben Minuten gehören zu den wichtigsten Minuten der deutschen Nachkriegsgeschichte. Sieben Minuten, in denen Politbüromitglied Günter Schabowski in seiner Pressekonferenz vom 9.November 1989 zur neuen Reiseregelung gefragt wurde und den berühmten Satz stotterte: „Das tritt nach meiner Kenntnis …ist das sofort, unverzüglich.“

Wollten die Tausenden von Touristen, die heute täglich rund um den Checkpoint Charlie nach Zeugnissen der deutschen Teilung Ausschau halten, den Schauplatz der Schabowski-Pressekonferenz aufsuchen, würden sie jedoch nichts sehen. Beziehungsweise: Sie übersehen es. Tagtäglich.

Denn es gibt tatsächlich einen Erinnerungsort: Rechts neben dem Eingang des Bundesjustizministeriums in der Mohrenstraße 35 ist eine bodentiefe Glaswand zu sehen. Sie gibt den Blick frei auf eine Art Seminarraum, wie es ihn in tausenden Drei-Sterne-Hotels gibt, mit ein paar Reihen aus Stapelstühlen vor einem Flachbildschirm. Aber es ist weder ein Seminarraum noch der Schauraum eines Messebauers. Es handelt sich vielmehr um eine Kunstinstallation.

Was das Preisgericht im Jahr 2000 veranlasst haben mag, aus 427 Einreichungen ausgerechnet diese Büromöbelkataloginstallation des Kasseler Künstlers Ulrich Schröder auszuwählen, wird sich mir nie erschließen. Ziel des Wettbewerbs war es, „das Ereignis des 9. November 1989 zu würdigen und durch Kunst zu interpretieren“. Nichts gegen den Künstler, nichts gegen sein Werk. Aber alles gegen die Idee, Kunst installieren zu wollen, wo Originalstücke hingehört hätten.

Randerscheinung. An die legendäre Pressekonferenz erinnert heute nur noch ein Kunstwerk, das kaum als solches zu erkennen ist.
Randerscheinung. An die legendäre Pressekonferenz erinnert heute nur noch ein Kunstwerk, das kaum als solches zu erkennen ist.

© Thilo Rückeis

Die Installation wirkt hier so beliebig, überflüssig und unauffällig, dass sie beinahe wieder sehenswert ist. In all den Jahren habe ich aber keinen einzigen Menschen entdeckt, der sich durch das Schaufensterglas diese Szenerie angesehen hätte. Und nichts, aber auch gar nichts erinnert hier an das entscheidende historische Ereignis. Sogar die kleine Gedenktafel finde ich missglückt: „Die Verkündigung der Reisefreiheit“, steht drauf zu lesen. Als habe es sich um einen Festakt gehandelt.

Warum hat man nicht exakt an dieser Stelle, die früher der Zugang ins Internationale Pressezentrum der DDR (IPZ) war, wenigstens die doppelte Pförtnerloge stehen lassen? Um zu dokumentieren, wie der eigentlichen Pförtnerloge des IPZ noch eine Koje vorgelagert war, in der die Offiziere im besonderen Einsatz (OibE) aus Erich Mielkes Ministerium für Staatssicherheit alles im Blick hatten. Wäre doch interessant gewesen.

Und warum zeigt man an dieser Stelle nicht eines der berühmten Fotos aus dieser Pressekonferenz? Warum erinnert nicht ein kurzer Filmausschnitt aus einer der vielen Fernsehkameras an die historischen Minuten? Warum kann man an der Glaswand kein Tondokument mit Schabowskis Stimme hören? Warum läuft stattdessen ein Endlosvideo mit ruhigem Meeresrauschen über den Screen? Wo doch in dem Moment die deutsche Geschichte die Kraft eines Tsunamis hatte? Ja, warum musste es ein „Kunstwerk“ sein? Warum stellte man nicht ein paar der abgewetzten Originalstühle aus dem Presseraum und Günter Schabowskis Podium auf?

Mein Vorschlag: Man entferne zum 25. Jahrestag der wichtigsten Pressekonferenz der deutschen Geschichte diese nichtssagenden Stühle und den Meereswellen-Flatscreen. Man tausche sie gegen ein paar Originalobjekte ein, die damals rasch ins Haus der Geschichte in Bonn, 600 Kilometer von hier entfernt, abtransportiert worden waren. Man gebe Interessierten eine Vorstellung von der damaligen Szene. Ist ja schlimm genug, dass der ursprüngliche Saal der Pressekonferenz im ersten Stock abgerissen wurde. Er wäre ein beliebtes und lehrreiches Ziel von Besuchern gewesen, die den Moment hätten nachempfinden wollen. Als das Gebäude entkernt wurde, wurde ein Stück Geschichte gleich mitentkernt. Die Kunstinstallation ist dafür wirklich kein Ersatz.

Ewald König (60) ist österreichischer Korrespondent in Berlin. Er war der einzige ausländische Journalist mit Akkreditierungen sowohl in der BRD als auch in der DDR. Dieser Beitrag erschien gedruckt als Rant in unserer Samstagsbeilage Mehr Berlin.

Ewald König

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