zum Hauptinhalt
Mediaspree

© Dirk Laubner

Ein Jahr Bürgerentscheid: Mediaspree-Gegner demonstrieren wieder

Ein Jahr nach dem Bürgerentscheid gegen die Pläne für eine dichte Bebauung der Flussufer in Kreuzberg und Friedrichshain gibt es erste Kompromisse: Breitere Uferwege, Grünflächen und die Öffnung der Stadt zum Wasser. Wo aber schon Baurecht gilt, bleiben die Investoren stur – auf Kosten der Kiezkultur.

Eine Gruppe Jugendlicher sitzt auf den breiten Stufen am „Landesteg der O2-World“. Die jungen Leute blicken auf die funkelnd dahinfließende Spree. Gegenüber, am Kreuzberger Ufer, liegt ein verwittertes Speichergebäude. Wind und Regen haben die Backsteine dunkel gefärbt, rot und schwarz – es sind die Farben von Kreuzberg SO 36. Es liegt so nah und ist doch so fern von der neuen Welt in Friedrichshain, die mit der O2-Arena zu wachsen begann und dessen grauer Granit am kleinen Hafenbecken eine solide und saubere Zukunft verheißt.

Sogar die East-Side-Gallery wurde aufgefrischt. Im Frühjahr 1990 entstanden die Bilder auf dem östlichen Mauerstreifen, der von hier bis zum gewaltigen Tanzbunker „Speicher“ an der Oberbaumbrücke reicht. Die verwitterten Originale haben die Künstler durch Kopien ersetzt. Neuwertig eben – das passt gut zu den bunten Clips auf dem Videoschirm der O2-World, der auf einem Pfahl weit über der Erde kreist.

Dieser Ort markiert ein neues Berlin. Noch liegt es aber so unentschlossen neben der alten Stadt wie das Mädchen neben dem Jungen auf der Wiese am Landesteg: ohne Berührung, auf Sicherheitsabstand. Aber wer weiß, vielleicht findet man ja noch zueinander.

Ein Jahr ist der Bürgerentscheid über die Zukunft des Gebietes zwischen der Michaelbrücke in Mitte und der Elsenbrücke in Treptow nun her – 87 Prozent der abgegebenen Stimmen sprachen sich damals gegen die gewaltigen Pläne zu dessen Entwicklung aus. Hochhäuser und Neubauten sollen hier entstehen, deren Sockel dicht ans Wasser heranreichen. „Mediaspree“ hatten die Investoren ihr Projekt getauft, um das Gebiet an den beiden Ufern der Spree als „Marke“ in der Immobilienbranche zu etablieren. Bekannt wurden die Pläne so aber auch unter den kampferprobten Bewohnern der beiden Szenequartiere. Sie gründeten eine Bürgerinitiative, die Bewohner mit dem Ruf mobilisierten: „Mediaspree versenken!“

Heute sind die Bürger bewegter denn je: Am Sonnabend gehen sie erneut für ihr Ansinnen auf die Straße: für 50 Meter breite Uferwege und gegen Hochhäuser an der Spree. Eingeladen hat ein Bündnis mehrerer Initiativen zur „Megaspree-Parade“: In „Wägen mit musikalischer Untermalung wird zum Roten Rathaus geravt, gefeiert, getanzt und demonstriert“.

Mit dem bisher Erreichten ist der Sprecher der Initiative „Mediaspree versenken!“ Carsten Joost nicht einmal unzufrieden: „Ein Teil des Bürgerwillens ist in die veränderte Planung des Dämisol-Grundstücks eingegangen.“ Dieses Areal liegt vor der Schillingbrücke am Kreuzberger Ufer. Es ist das erste von einem Dutzend Liegenschaften südlich der Spree, die von der Entwicklung des Grundstücks betroffen sind.

Von der Stadt aus betrachtet liegen sie an der Köpenicker und an der Schlesischen Straße. Fährt man diese heute entlang, dann ist es schwer sich vorzustellen, dass von hier aus einmal Uferwege zu erreichen sein sollen: Verwitterte Speicher und Baudenkmäler mit improvisierten Anbauten aus gut einem Jahrhundert reihen sich dicht aneinander. Die Lagerstätte eines Möbelhauses, die Filiale eines Discounters und die Spedition Zapf sind darunter. Sie versperren den Weg zum Wasser. Nur wer in die Brommystraße einbiegt und bis zum Zaun vorfährt, erkennt dahinter die Spree. In Kreuzberg wendet die Stadt dem Wasser immer noch den Rücken zu.

Das wird sich ändern: „Auf dem Dämisol-Gelände wird ein Spreefenster zur Köpenicker Straße geöffnet“, sagt Bezirksbürgermeister Franz Schulz. Wie Jost von der Bürgerinitiative sieht auch der Grünen-Politiker in diesem Grundstück so etwas wie die Matrix für einen erfolgreichen Kompromiss für das Mediaspree-Gebiet. Das Ufer wird auf eine „unbebaute Tiefe“ von 30 Metern erweitert. Das sind zwar 20 Meter weniger, als der Bürgerwille fordert. Dieser Kompromiss wird aber dennoch begrüßt, weil zugleich eine größere öffentliche Fläche mit Platz für Veranstaltungen rund um den denkmalgeschützten Speicher entsteht. Außerdem ziehen nach der Sanierung Restaurants und Cafés in das Erdgeschoss des Baudenkmals ein. Schließlich „werden die Uferwege schon vom Straßenland aus gut einsehbar sein“, sagt Schultz – Zäune und Ziegel verstellen dann nicht mehr den Blick und den Weg der Menschen aus dem Kiez an das Ufer der Spree.

Der Reiz einer solchen Öffnung der Stadt auf ihre Wasserlagen ist am äußersten Rand des Kreuzberger Uferstreifens zu erkennen, da wo Treptow gerade anfängt: Der Flutgraben mit seinen Cafés und Kneipen knapp über dem Meeresspiegel erinnert an die Flusshäuser von Hongkong.

Einige Straßen weiter, in Alt-Treptow, eilt ein Mann in hellgrauem Sommeranzug über die Straße und drückt die Fernbedienung seines perlweiß lackierten Audis. Er sieht nicht, wie sich einen Steinwurf entfernt ein dunkelhaariges Mädchen im Bikini ins Wasser des Badeschiffes stürzt. Die Arena ist gut besucht. Die Freizeit-Oase ist einer der Orte, wo die Berliner Urlaub von ihrer Stadt machen. Der Gegensatz liegt nur wenige Schritte entfernt, ein Bürohaus ragt zehn Meter von der Spree entfernt in den Himmel. Hier wird das Ufer eng, es ist zugig und schattig – hier hält sich niemand auf.

Eine ähnlich unwirtliche Lage könnte am gegenüberliegenden Ufer entstehen, am östlichsten Friedrichshainer Rand der Mediaspree. An der Elsenbrücke dürfen die landeseigenen Berliner Hafen- und Lagerhausbetriebe (Behala) ein 90 Meter großes Hochhaus bauen und auf den vier dort liegenden Grundstücken mit einer Gesamtfläche von 25 000 Quadratmetern weitere Bürogebäude. „Der Bebauungsplan ist seit 2002 mit dem Bezirk abgestimmt, das Hochhaus steht drin, und das ist gut so“, sagt Behala-Chef Peter Stäblein kompromisslos. Zehn Meter bis ans Wasser heran darf er bauen. Vorerst passiert aber nichts. Wegen der Krise: 1000 Euro pro Quadratmeter Bauland verlangt Stäblein für seine Grundstücke. Das kann sich zurzeit niemand leisten. Den Unternehmer ficht das nicht an: Er habe Zeit, das Gebiet entwickle sich gut, er werde erst verkaufen, wenn er sein Geld bekomme, sagt er. Eine Schonfrist für den Osthafen.

Am Friedrichshainer Ufer sind die Grundstückspreise in den vergangenen Jahren rasant gestiegen. Das liegt an der Entwicklung des Gebietes auf dieser Seite der Spree: Im Modecenter Labels ist kein Showroom mehr zu haben. Deshalb errichtet Bauherr Stefan Sihler, der die alten Speicher (Labels1) sanierte, nun einen Neubau mit tarngrünen organischen Fassadenteilen. Weiter westlich errichtet der japanische Konzern Nippon Development das „NH-Hotel“. Der Baukonzern Hochtief will die Betonmischer in der Nachbarschaft der Musikkonzerne Viva und MTV vorfahren lassen, Bürohäuser sollen hier stehen. Und kurz vor der Oberbaumbrücke liegt die Keimzelle dieser ganzen Entwicklung: das frühere Eierkühlhaus, das der Medienkonzern Universal heute nutzt.

Film, Musik, Mode – das ist Berliner Business: Der Senat hat sie zu „wirtschaftlichen Kernen“ erklärt, die die Stadt ökonomisch voranbringen sollen. Im „Kompetenzfeld Medien-, Kommunikations- und Kulturwirtschaft“ setzten im Jahr 2006 rund 23 000 Berliner Unternehmen etwa 17,5 Milliarden Euro um. Rund 160 000 Berlinern boten sie Arbeit, 77 000 davon sogar sozialversicherungspflichtige Jobs. Das hat der Senat in diesem Jahr zusammengerechnet. Das größte Plus dieser Branche ist ihr Wachstum: Das ist überdurchschnittlich im Vergleich zu traditionellen Dienstleistern.

Ihre wirtschaftliche Stärke verdankt diese Branche in Berlin aber auch dem kulturellen Humus in der Stadt. Der ist im Kiez zu finden und hat seine Spielwiesen ebenfalls an den Ufern der Spree: Es sind Provisorien, die aus dem Nichts entstanden und nun allen ein Begriff sind: Bar 25, Yaam, Strandgut, Maria am Ostbahnhof zum Beispiel.

Sie alle stehen vor einer ungewissen Zukunft. Die Bar 25 liegt auf einem Grundstück der BSR an der Michaelbrücke, und der Berliner Stadtreinigung liegt eine rechtskräftige Baugenehmigung vor. „Es bleibt bei unseren ursprünglichen Plänen“, sagt deren Sprecher Thomas Klöckner. Die Grundstücke seien öffentliches Eigentum – „und wir wollen einen möglichst hohen Erlös für das Land bei deren Verkauf erzielen“. Bis August des Jahres kann die Bar noch bleiben. Dann werden die mit Umweltgiften belasteten Kaimauern saniert. Anschließend entsteht „Spreeurban“ mit einem Hochhaus, das ebenfalls nur zehn Meter vom Wasser entfernt stehen wird.

Auch Maria am Ostbahnhof liegt zu einem Drittel auf einem Baufeld. Der Liegenschaftsfonds und Jürgen Kilian sind dessen Eigentümer. Kilian will hier ein Hotel errichten. Die Betreiber des über die Stadtgrenzen bekannten Clubs werden ihre Bar dann schließen müssen. Dem „Strandgut“ droht ebenfalls das Aus, weil es auf einem Baufeld zwischen dem East-Side- Park und dem Spreepark liegt. Auch für diese Fläche liegt eine Baugenehmigung vor, gegen die weder Bürgermeister noch Bürgerinitiative bisher etwas ausrichten konnten. „Wo es rechtskräftige Baugenehmigungen gibt, sind wir machtlos“, sagt Schulz. Bei Änderungen drohen Schadensersatzklagen des Investors. Prozesse will der Bezirk nicht riskieren. Zumal ihm dann der Entzug der Planungshoheit durch den Senat droht.

So setzt sich an den Ufern der Spree ein Jahr nach dem Bürgerentscheid die Macht des Faktischen durch. Das kühne, wilde, improvisierte Berlin wird hier wohl schrittweise verschwinden. Ähnlich wie die verwitterten Bilder auf der Mauer der East-Side-Gallery. Nur dass niemand weiß, wie die Kopien der Kiezkultur, die hier vielleicht einmal entstehen, aussehen werden.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false