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Zum Durchatmen. Blick in einen Innenhof der denkmalgeschützten Gartenstadt Atlantic in Gesundbrunnen

© DPA

Gartenstadt Atlantic in Berlin-Gesundbrunnen: „Man kann einen Kiez verbessern, ohne zu gentrifizieren“

Die „Gartenstadt Atlantic“ in Gesundbrunnen hat sich seit 2001 enorm gewandelt – zum Positiven. Wie das sozialverträglich geht, erklärt Eigentümer Michael Wolffsohn.

Drogen, Bandenkriminalität – Gesundbrunnen hat trotz mancher Verbesserungen in den vergangenen Jahren noch immer ein eher negatives Image. Erst vor ein paar Tagen wurde dort eine Frau in einem Café erschossen. Doch auch in diesem teils sozial schwierigen Ortsteil von Mitte gibt es verschiedene Welten. Ein Wahrzeichen des anderen Gesundbrunnen ist die „Gartenstadt Atlantic“ am Bahnhof Gesundbrunnen. Verleger Karl Wolffsohn hat die „Atlantic“ in den Zwanzigern als moderne „Reform-Siedlung“ angelegt. Sein Enkel und Erbe, der Historiker Michael Wolffsohn und dessen Frau ließen die „Atlantic“ ab 2001 modernisieren. Ihre heute denkmalgeschützte Siedlung gilt seither als Vorbild für ein mieterorientiertes Immobilienmanagement.

Herr Wolffsohn, ihre Siedlung wird oft gelobt als Gegenmodell zum aufgeheizten Berliner Wohnungsmarkt, der von Gentrifizierung und Miethaien geprägt wird. Wieso?

Das hängt vor allem mit unserem Menschenbild zusammen. Man kann eine Gegend auf jeden Fall aufbessern, ohne zu gentrifizieren. Die wichtigste Voraussetzung ist allerdings, dass man dabei nicht nur den schnellen Euro im Kopf hat. Ein Viertel und dessen Bewohner sind so gut, wie das Engagement der Menschen, die dort investieren. Man kann es auch so auf den Punkt bringen: Sage mir, wie Du baust und vermietest. Und ich sage Dir, wie Du bist und sich die Menschen verhalten, die dort wohnen.

Das klingt idealistisch. Gelingt es Ihnen, diese Ideen in Atlantic umzusetzen?

Wir versuchen als Eigentümer und Verwalter unser Bestes, und offensichtlich mit Erfolg. In Atlantic wohnen zurzeit rund 1200 Menschen in etwa 500 Wohnungen. Die große Mehrheit identifiziert sich mit der Siedlung, die Menschen achten aufeinander, sie passen auf, dass ihr Umfeld sauber und schön bleibt, Kriminalität ist in unserem kleinen Kiez so gut wie verschwunden, die Bewohnerstruktur ist äußerst gemischt, alle leben dort gern – Singles, Familien, Akademiker, Handwerker oder Hochbetagte, die ihr Leben lang dort zu Hause sind. Es hat sich eine tolle soziale Dynamik entwickelt. Menschen, die einst Gesundbrunnen und Wedding den Rücken kehrten, kommen zurück. Unsere Wartelisten für Wohnungen sind sehr lang.

Wie sah die Siedlung aus, als sie diese im Jahr 2000 erbten und die Modernisierung beschlossen?

Es gab zirka 30 Prozent Leerstand, die Wohnanlage war heruntergekommen, kriminelle Delikte waren keine Seltenheit.

Michael Wolffsohn (71) ist Historiker und Publizist. Der Sohn einer 1939 nach Palästina geflohenen jüdischen Familie lehrte von 1981 bis 2012 an der Bundeswehr-Universität in München Neuere Geschichte.

© K.-U. Heinrich

Mit welchen Methoden haben Sie den Wandel geschafft?

Wir stellten uns beständig die Frage: Was brauchen die Menschen, um sich wohlzufühlen? Wie können wir in Vorleistung gehen? Das fängt ja bei den Hausmeistern und Technikern an. Im Verhältnis zur Zahl der Mieter haben wir sogar mehr Servicekräfte als die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften. Wir honorieren sie gut und verkehren auf Augenhöhe miteinander. Das gehört sich auch so. Unsere Mitarbeiter sind enorm hilfs- und einsatzbereit, sie beseitigen ständig Schmutz und Graffiti. Das färbt ab. Je besser Mieter betreut werden und je positiver sie ihre Siedlung erleben – desto überzeugter setzen sie sich für ihr Wohnumfeld ein.

Klingt wie eine Wunderformel. Was gehört noch zu diesem Konzept?

Zum Beispiel Hilfe bei den Heizkosten. Da muss man ja als Mieter total aufpassen, dass man von den Firmen, die mit den Abrechnungen befasst sind, nicht benachteiligt wird. Manche Betroffene sind damit überfordert. Wir überprüfen deshalb jede Abrechnung, bevor wir sie an die Mieter weiterreichen. Und noch ein Beispiel. Zur Siedlung gehören 30 Gewerbeeinheiten. In acht dieser Läden und Etagen haben wir sogenannte Lernwerkstätten eingerichtet. Dort gibt es Kurse und Vorträge zu Physik, Musik, Kunst, Natur, Literatur, Theater, Neuen Medien und neuerdings Kochen. Zielgruppen sind vor allem Kinder, Jugendliche und seit kurzem Senioren. Das wird gut angenommen, auch von Menschen aus der Umgegend.

Wie hoch sind die Mieten in Atlantic?

Bei Neuvermietungen berechnen wir knapp über sieben Euro kalt pro Quadratmeter. Wir sind hoch verschuldet, haben für die Modernisierung Kredite in Höhe von 32 Millionen Euro aufgenommen. Zinsen und Tilgung müssen wir natürlich bezahlen. Aber unsere Mietpreise orientieren sich am örtlichen Mietspiegel. Der Wohnraum muss auch für Menschen mit Altverträgen weiter bezahlbar sein. In Atlantic wurde niemand wegmodernisiert. Eine einfühlsame Modernisierung lässt sich bei gutem Willen finanziell durchaus stemmen.

Strahlt das Vorbild Atlantic auf die Gegend drumherum aus? Wie erleben Sie derzeit Gesundbrunnen?

Die Gartenstadt Atlantic zieht Kreise. Auch in den umliegenden Kiezen wird inzwischen mehr saniert und teils nicht nur mit starrem Blick auf die Profite. Es sind allerdings auch so genannte Heuschrecken-Investoren unterwegs. Neulich hat mir einer gesagt: „Die Menschen, die hier wohnen, brauchen nicht mehr Qualität.“ Da muss man sich nicht wundern, dass Gebäude, die solche Leute schaffen, bald verkommen und die Bewohner verrohen.

Die Gartenstadt „Atlantic“ unweit des S-Bahnhofs Gesundbrunnen wurde in den 1920er Jahren errichtet.

© imago/Jürgen Ritter

Es heißt, die Kriminalität in Gesundbrunnen würde langsam geringer ...

Das stimmt, soweit ich weiß und sehe. In den vergangenen Jahren hat sich der Ortsteil dramatisch verbessert. Ein Gewinn sind auch das Gesundbrunnen-Center und der neue Bahnhof. Diese Einkaufswelt glitzert, dort können sich die Menschen wohlfühlen, hier wurde für sie Qualität geschaffen. Dennoch leidet Gesundbrunnen noch immer unter zu viel Kriminalität. Dafür sind aber nicht nur die Investoren und Vermieter mitverantwortlich. Auch der Senat ist in der Pflicht.

Wieso?

Das Land könnte Privatinvestoren, die Qualität schaffen wollen, finanziell helfen und so besondere Neubauten und Siedlungsprojekte mit einer ähnlichen Ausrichtung wie die Gartenstadt Atlantic fördern.

Ein konkretes Beispiel?

Nehmen Sie das einstige Herzstück unserer Atlantic-Anlage, das Kino „Lichtburg“ an der Behmstraße. In den 70er Jahren wurde dieser wunderschöne Bau der klassischen Moderne vom Senat abgerissen. Was danach dort lieblos gebaut wurde, ist bis heute eine ästhetische Provokation. Dieses Gebäude sollte man abbrechen und ein vorbildliches Mieterhaus errichten.

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