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Frisch gefeilt, frisch gepflegt - immer schön. Aber bitte, bitte nicht im öffentlichen Nahverkehr!

© Imago

Körperpflege in der Öffentlichkeit: Macht’s im Bad, nicht im Bus!

Fingernägel knipsen, Lidstrich ziehen, in Wunden stochern – manche Leute erledigen ihre Körperhygiene im Nahverkehr. Liebe Mitreisende, geht das vielleicht auch außerhalb des öffentlichen Raums? Ein Plädoyer für die Intimsphäre.

Ferkel, hört die Signale! Der nächste, der in meiner Anwesenheit in den öffentlichen Verkehrsmitteln seine Morgentoilette ausführt oder sich sonstwie die Physis herrichtet, wird von mir zur Salzsäule verwandelt. Mittels bösem Blick. Jawohl!

An einem strahlenden Junimorgen trug sich in der S 1, Wannsee Richtung Frohnau, folgende Szene zu. Die Sonne strahlt, der Himmel blaut, die Menschen tragen Liebe im Herzen und ein Lachen im Gesicht. Am gutbürgerlichen Bahnhof Lichterfelde-West steigt ein Herr in den Waggon. Heller Borsalino, blütenweißes Hemd, blitzsaubere ausgeblichene Jeans. So selbstverständlich und entspannt, wie nur so eine Art Herr sein kann, nimmt er seinen Fensterplatz auf der Sonnenseite des Lebens ein. Gleich neben mir und einer weiteren Dame, auf einer Dreierbank.

Na, packt er nun eine Zeitung aus? Nein, sein Blick kehrt sich nach innen, genauer nach unten und bleibt versonnen auf der linken Hand liegen. Dort trägt er ein großes Heftplaster. Dessen Klebrand pult er auf, klappt ihn hoch und betrachtet mit zärtlicher Sorge eine Wundnaht, die das Pflaster verborgen hat. Befühlt den Schorf, zuppelt an den Fäden, drückt an den Wundrändern herum. Und als ich schon überlege, mich mit einem freundlichen Kommentar wie „Sieht ganz gut aus, sicher bleibt keine Narbe, Kompliment an den Handchirurgen“ einzumischen, klappt er das Pflaster wieder zu, drückt den Klebrand fest und blickt mit zufriedener, voll den Selbstheilungskräften des Körpers und der allumfassenden Akzeptanz der Mitreisenden vertrauender Miene in die Runde. Ihr Völker der Welt, schaut auf diese Naht! Erstaunlich: Der Kerl betrachtet den Waggon, ja das ganze Universum als sein persönliches Revier, sein privates Badezimmer! Dazu hier folgende Durchsage: Igitt!

Schluss mit dem Terror, lasst die Schminkköfferchen, Necessaires und Reiseapotheken daheim!

Und da ist er ganz und gar nicht der einzige. Unauslöschlich hat sich dazu auch ein Tag im Monat Mai in mein Gedächtnis eingebrannt. Ich schaukele im M 29 von Neukölln Richtung Charlottenburg. Es ist Sonntag, wenig los auf dem Oberdeck, nur drei, vier Gestalten, alle mit sich selbst oder der Aussicht beschäftigt. Ich stecke die Nase in meine Zeitung. Da dringt irgendwann ein lustiges Geräusch in mein Bewusstsein. Ein Klicken, gefolgt von einem undefinierbaren „Pling“. Klick, pling. klick, pling, klick, pling. Da wird doch keiner...? Das kann doch wohl nicht...? Ich drehe mich um. Und ob. Auf der Rückbank sitzt ein junger Mann und knipst sich hingebungsvoll die Fingernägel – so ähnlich wie neulich Jogi Löw beim Länderspiel gegen Gibraltar, bloß flogen bei dessen Feilerei wenigstens keine Schnipsel über die Trainerbank. Hilfe! Ekelig! Dies ist die Öffentlichkeit! Privatsphäre gibt’s hier nicht. Wo ich doch deine, geliebter Nächster, so dringend respektieren will. Essen, trinken, lautstark am Telefon quatschen – in Gottes Namen, wenn Ihr's machen müsst, dann macht’s. Aber Körperhygiene? Nä!

In den Appell an Diskretion und Schamgefühl ausdrücklich eingeschlossen sind: die schönen Mädchen, die morgens früh mit aufgeklapptem Malkasten auf den Knien in der U-Bahn sitzen. Respekt, Mädels, wie Ihr es schafft, Euch in dem kleinen Handspiegelchen herzurichten. Besonders krasse Leistung: in der schwankenden Bahn den Kajalstift auf die Innenlidkante zu malen. Ohne das Auge auszustechen oder eine wilde Schliere hinterlassend in Richtung Wangenknochen abzugleiten. Das nenne ich einen starken Strich. Doch selbst diese amüsante Gesichtssanierung gehört ganz und gar nicht in die Bahn oder auf die Straße. Ist ja schön, wenn die Menschen in sich ruhen, sich nicht für ihren Leib genieren. Aber das ist definitiv das falsche Verständnis von ungezwungener Körperlichkeit.

Der klarsichtige Soziologe Richard Sennett hat den Weg in die intime Gesellschaft, in der das Private immer stärker das Öffentliche überlagert, schon vor Jahrzehnten konstatiert. Allerdings meinte er die Kommunikations-, nicht die Körperkultur. Höchste Zeit, auszurufen: Ferkel, zeigt mir Eure Wunden nicht. Lasst die Necessaires, Schminkköfferchen und Reiseapotheken daheim, macht Schluss mit dem Terror der Intimität!

Dieser Text erschien zunächst als Rant in unserer gedruckten Samstagsbeilage Mehr Berlin.

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