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Gruppengefühl. Lagerfeuer sind sonst beliebt als Jugendtreffs.

© imago/Jan Zawadil

Die Zahl der Jugendleiter sinkt: Lockdown hat erhebliche Folgen fürs Ehrenamt in Berlin

Die Pandemie ist auch für Jugendorganisationen eine Herausforderung. Weniger Leiter werden ausgebildet, Einrichtungen machen Verluste. Doch es gibt viel Kreativität.

Die Straßen sind glatt und oft noch schneebedeckt, die Luft ist kalt, Gehwege mitunter schlecht geräumt, es hat im Winter 2021 ironischerweise sogar etwas Gutes, dass sich Mitglieder der Jugendgruppe des „Bunds für Umwelt und Naturschutz (BUND) nicht mehr wie früher in einer Kneipe zur „BUND-Jugend-Bar“ treffen können.

Man kann im Warmen bleiben und trotzdem quatschen. Bei den lockeren Treffen können sich Interessierte über die Arbeit der BUND-Jugend informieren, um später vielleicht mitzuarbeiten.

In der Pandemie läuft eben alles digital. „Im Sommer 2020 haben wir uns auf dem Tempelhofer Feld getroffen, da konnte man Abstand halten“, sagt Björn Obmann, Jugend-Bildungsreferent beim BUND Berlin. „Aber jetzt sehen sich alle nur noch über Zoom.“

Am Dienstagabend fand wieder mal ein „Bar-Abend“ statt. „Sieben Leute, die sich für die Arbeit interessieren, haben teilgenommen, das ist eine gute Quote“, sagt Obmann. „Allerdings: Digitale Treffen ersetzen nicht persönliche Kontakte“, sagt Obmann. Es ist das Problem, das alle ehrenamtlichen Jugendorganisationen in der Stadt haben. Sie müssen mit einer völlig neuen Situation zurechtkommen. Und jetzt stellt sich heraus: Corona ist Chance und Fluch zugleich.

Jugendbegegnungen und Feriencamps müssen ausfallen

Zur Kategorie Fluch gehört für David Spitzl in erster Linie der Mangel an persönlichen Kontakten. „Die klassischen Angebote von Jugendverbänden sind nicht digital“, sagt der Pressereferent des Landesjugendrings Berlin. „Der persönliche Austausch, die Treffen, die internationalen Jugendbegegnungen, die Ferienlager, das alles ist im Prinzip nicht möglich.“ Okay, es gab sogar Feriencamps, die online stattgefunden haben, aber das ersetzt natürlich kein Live-Erlebnis.

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Das sind die weichen Faktoren, die das Seelenleben betreffen, den Wohlfühlgedanken. Schlimm genug, dass sie nicht bedient werden können. Aber es geht auch um handfeste Zahlen. Im Landesjugendring sind 34 Verbände und Einrichtungen organisiert, der Verband hat auch die Übersicht über alle Jugendleiter in der Stadt, egal ob sie zum Landesjugendring gehören oder nicht.

2000, das ist die Zahl, auf die Spitzl düster blickt. Insgesamt 2000 Jugendleiter haben im vergangenen Jahr in der Stadt gearbeitet, 2400 waren es 2018. „Die Ausbildung der Jugendleiter ist 2020 ziemlich eingebrochen“, sagt Spitzl. Schulungen können nicht bloß online stattfinden. „50 Prozent der Ausbildung sollten mit Präsenzveranstaltungen stattfinden“, sagt Spitzl. „Da werden ja auch heikle Themen angesprochen. Aber das war 2020 fast nicht möglich.“

Nach dem Lockdown zeigt sich der Jugendleitermangel besonders

Gut, derzeit werden keine Jugendleiter für Fahrten benötigt. „Aber nach dem Lockdown, wenn man wieder reisen kann, dann gibt es möglicherweise zu wenige Jugendleiter, die mitfahren“, sagt Spitzl.

Andererseits, Corona ist ja auch eine Chance. Die Gruppen entwickeln enorme Kreativität. Die DRK-Jugend animiert ihre Mitglieder, Briefe an ältere Menschen zu schreiben, Pfadfinder kochen für Wohnungslose und boten Nähanleitungen für Masken, es gibt Online-Gitarrenkurse, gemeinsames Spielen, die Fantasie ist unbegrenzt. Am nächsten Wochenende organisieren die „Jungen Humanist_innen Berlin“ ein „Stop-Motion“-Event. 15 Mitglieder, alle 13, 14 Jahre alt, können unter Anleitung digital Fotos zu Filmen zusammenfügen.

Auch finanziell gehen die Organisationen noch nicht in die Knie. „Die Senatsverwaltung für Bildung und Jugend hat schnell gehandelt“, sagt Spitzl. „Die Grundförderung ist 2020 gleich geblieben, wir erhalten genug Unterstützung.“

Jugend-Bildungsstätten haben hohe Einnahmeverluste

Bei den Jugendbildungsstätten sieht es anders aus. Sie leben von Schulklassen, die dort übernachten, und von Seminaren, die dort stattfinden. „Die haben teilweise 70 Prozent Einnahmeverluste“, sagt Spitzl. Auch für diese Sparte hat der Senat 2020 ein Rettungspaket für 2020 geschnürt. Aber wie es 2021 aussehen wird, ist noch unklar.

Obmann spürt bei der BUND-Jugend die Probleme bei der Jugendleiter-Ausbildung. Es fehlen große Räume, in denen Teilnehmer genügend Abstand halten können. Oder es fehlt das Geld, um große Räume mieten zu können. Üblicherweise hält die BUND-Jugend pro Monat zwei Seminare und 40 bis 50 Schulworkshops ab, die Zahlen sind in der Pandemie fast komplett eingebrochen.

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Die fünf Arbeitsgruppen treffen sich zwar regelmäßig, aber sie haben ihre Kommunikation ins Netz verlegt. Zur Auflockerung gab’s einen Improvisationsworkshop. Jeder konnte zu Hause mitmachen. Das hatte zwar nicht direkt etwas mit Umweltschutz zu tun, hob aber die Stimmung.

Für einige kommen solche Einlagen aber schlicht zu spät. „Wir stellen auch einen gewissen Überdruss an digitaler Nutzung fest“, sagt Obmann. „Wer den ganzen Tag wegen Schule, Job oder Ausbildung am Bildschirm hängt, hat abends einfach keine Lust mehr, noch ehrenamtliche Arbeit zu machen.“ Die Mitgliederzahl einer AG hat sich aus diesem Grund vorübergehend halbiert.

Digitale Kommunikation hat aber auch Vorteile

Aber Obmann hat auch festgestellt, dass man digital Vorteile genießen kann. Er ist hauptamtlicher Funktionär, mit seinen Kollegen in ganz Deutschland hat er besprochen, dass man ja nicht zweimal im Jahr durchs Land fahren muss, um sich zu treffen. Einmal genügt auch. Den Rest erledigt Zoom.

Und vorerst geht er mal nicht davon aus, dass sich die Situation bessert. Die Bar-Abende fanden immer in Kneipen im Wedding und in Neukölln statt. „Für dieses Jahr“, sagt Obmann, „haben wir erst mal noch keine Kneipe angefragt.“

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