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Kurz nach der Schlacht um Stalingrad begannen in Babelsberg mit den Dreharbeiten zu „Die Frau meiner Träume“, mit Marika Rökk und Valentin Froman.

© Sebastian Stielke/Filmmuseum Potsdam

Liebe, love, l’amour: 100 Fakten über die Brandenburger Filmstadt Babelsberg

Hier wurde dreisprachig gedreht, der Countdown erfunden und viel Kunstblut verspritzt: Jetzt gibt es 110 Jahre Filmgeschichte als faktenreiches Buch.

Der Horrorspaß „Die Maschine“ des französischen Regisseurs François Dupeyron, eine Variation des „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“-Stoffes, gehört nicht gerade zu den erfolgreichsten Filmen Gérard Depardieus. Und als er 1994 unter anderem im Studio Babelsberg gedreht wurde, hat der Schauspieler sich dort nicht nur Freunde gemacht.

Das traditionsreiche Studio war zwei Jahre zuvor von der Treuhandanstalt an den in Paris ansässigen Konzern Compagnie Générale des Eaux (heute Vivendi) verkauft worden, Geschäftsführer war der Regisseur Volker Schlöndorff. Bei einer Pressekonferenz während der Dreharbeiten gab Depardieu seiner Freude darüber Ausdruck, dass nun endlich, fast 50 Jahre nach Kriegsende, in Babelsberg wieder Filme gedreht würden.

Das war nett gemeint, aber ein Tritt ins Fettnäpfchen, ach was, in einen großen Napf, hatte doch der Mann aus Frankreich die jahrzehntelange Defa-Tradition des Studios aus offenkundiger Unwissenheit unterschlagen – und die Babelsberger Werke berühmter französischer Kolleginnen und Kollegen gleich mit. So war 1957 in Babelsberg Raymond Rouleaus „Die Hexen von Salem“ mit Yves Montand und Simone Signoret gedreht worden, die erste Verfilmung von Arthur Millers Drama „Hexenjagd“.

Ein Jahr später kam Jean Gabin für die Verfilmung von Victor Hugos Roman „Die Elenden“ nach Potsdam, eine weitere der insgesamt vier Koproduktionen von Frankreich und der DDR, die in den fünfziger Jahren in Babelsberg gedreht wurden, Depardieu aber unbekannt geblieben waren.

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Historisch. Die Premiere zu „Coming Out“ fiel auf den 9. November 1989. Gedreht hatte Regisseur Heiner Carow in Babelsberg.
Historisch. Die Premiere zu „Coming Out“ fiel auf den 9. November 1989. Gedreht hatte Regisseur Heiner Carow in Babelsberg.

© S. Stielke/Filmmuseum Potsdam/Defa-Stiftung

Die Anekdote findet sich in dem Buch „100 Facts about Babelsberg – Wiege des Films und moderne Medienstadt“, vorgelegt von dem Schauspieler, Potsdam-Kenner und Filmexperten Sebastian Stielke. Es ist ein Spaziergang durch mittlerweile 110 Jahre Babelsberger Filmgeschichte, eingeteilt in 100 knapp gehaltene Abschnitte, Bekanntes wie Vergessenes ebenso informativ wie unterhaltsam mischend.

Nun gut, einige der „Facts“ sind vielleicht etwas künstlich konstruiert, wie es, hat man sich als Obergrenze die „100“ gewählt, kaum ausbleibt. „Wussten Sie … dass auch während des Zweiten Weltkriegs Filme produziert wurden?“ Nun, wer hätte das nicht gewusst.

Sicher kann man Stielkes mitunter etwas glorifizierend geratenes Buch von vorne bis hinten durchlesen, zwingend ist dieses Verfahren nicht. Eher empfiehlt es sich, darin zu blättern und mal bei diesem, mal bei jenem Kurzkapitel zu verharren, sich dann durch die markierten Querverweise weiterleiten zu lassen. So von Fact Nr. 62 über Depardieus Fauxpas und andere Babelsberger Film-Franzosen zu Fact Nr. 19 über die „Sprachversionsfilme“ der alten Ufa.

Filme wie „Der Kongress tanzt“ von 1931, der parallel auf Deutsch, Englisch und Französisch gedreht wurde, mit wechselnden Schauspielern. Lilian Harvey allerdings, die alle drei Sprachen beherrschte, durfte Zar Alexander in allen Versionen den Kopf verdrehen. Den mimte auf Deutsch ihr Traumpartner Willy Fritsch, doch von „love“ und „l’amour“ säuselte ihr der Franzose Henri Garat ins Ohr.

Ort der Kinoträume. Das Studio Babelsberg blickt auf eine 110-jährige Filmgeschichte zurück.
Ort der Kinoträume. Das Studio Babelsberg blickt auf eine 110-jährige Filmgeschichte zurück.

© S. Stielke/Studio Babelsberg AG

Einer dieser mehrsprachig gedrehten Filme war 1924 die deutsch-britische Koproduktion „Die Prinzessin und der Geiger“, bei der Alfred Hitchcock als Drehbuchautor, Production Designer und Mädchen für alles mitwirkte – und erstmals auch als Aushilfsregisseur. Graham Cutts, der eigentliche Regisseur, war mehr an einer estnischen Tänzerin als an seinem Film interessiert und verschwand vor Ende der Dreharbeiten.

Für den späteren Meister des Suspense hatte Babelsberg und überhaupt der damalige deutsche Film, wie er oft betont hat, „ungeheuren Einfluss auf meine Arbeit“, besonders da er Friedrich Wilhelm Murnau, der gerade im Nachbarstudio „Der letzte Mann“ drehte, über die Schulter sehen durfte und mit ihm ins Fachsimpeln kam.

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Babelsberg-Experte Stielke holt weit aus, um die in 100 Portionen dargebotene Geschichte des Filmstandorts dem Leser nahezubringen – übrigens parallel auf Englisch und Deutsch, ein „Sprachversionsbuch“ also. Sogar woher der Name des Potsdamer Stadtteils kommt, erfährt man: 1442 ist er als „Buberow“ erstmals urkundlich erwähnt, darin steckt das slawische Wort „bobr“ für Biber. Offenbar wimmelte es dort in grauer Vorzeit von den Nagern.

 Sebastian Stielke: 100 Facts about Babelsberg. Wiege des Films und moderne Medienstadt. (Dt./Engl.). be.bra Verlag, Berlin. 240 Seiten, mit über 400 Abbildungen, Karten und Zeitleiste, 16 Euro
Sebastian Stielke: 100 Facts about Babelsberg. Wiege des Films und moderne Medienstadt. (Dt./Engl.). be.bra Verlag, Berlin. 240 Seiten, mit über 400 Abbildungen, Karten und Zeitleiste, 16 Euro

© be.bra Verlag

Ansonsten fehlen weder die 17 Männer, die den Drachen in Fritz Langs „Die Nibelungen“ (1923/24) bedienten, noch Harry S. Truman, der in einer Babelsberger Villa den Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki befahl. Dass der Countdown beim Raketenstart erstmals in Fritz Langs „Frau im Mond“ (1929) heruntergezählt wurde, erfährt man ebenso wie das oft erzählte Zusammentreffen der Premiere von Heiner Carows Film „Coming Out“ mit dem Coming Out der DDR am 9. November 1989.

Auch die fünftägige Sperrung der Glienicker Brücke im November 2004 für Steven Spielbergs „Bridge of Spies“ wird registriert und sowieso die ruhmreiche Beteiligung Babelsberger Produktionen an den Oscar-Ehrungen: 48 Nominierungen gab es zwischen 2003 und 2020, und 15 Teams unterschiedlicher Disziplinen konnten den Goldjungen mit nach Hause nehmen.

Wer schließlich bisher nicht wusste, dass Quentin Tarantino, anlässlich der Dreharbeiten zu „Inglourious Basterds“ 2008, beim ersten Betreten der Marlene-Dietrich-Halle auf die Knie fiel und den Boden küsste, ja dass noch heute Spritzer von dem reichlich vergossenen Filmblut an den Wänden zu finden sind – er lese Fact Nr. 55.

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