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Ein gutes Team sind Annegret Lüder und ihr 18-jähriger Sohn Paul, doch im Alltag stoßen sie auf viele Hürden.

© Kai-Uwe Heinrich

Leben und Alltag mit einem behinderten Kind in Berlin: „Sprecht uns an und schaut nicht bloß“

Die Mutter eines behinderten Kindes wünscht sich mehr Offenheit im Umgang mit ihrem Sohn. Ein Gespräch.

Frau Lüder, Sie haben uns spontan diesen Text zugeschickt. Stehen diese Zeilen exemplarisch für den Alltag mit ihrem behinderten 18-jährigen Sohn?

Nicht unbedingt, auch wenn es solche Situationen, wie die beschriebenen immer wieder gibt. Im Alltag erleben wir auch sehr viel Freundlichkeit. Die Leute sind sehr hilfsbereit, wenn ich jemanden anspreche, um mir mit meinem Sohn zu helfen, sei es zum Beispiel sein schweres Rehafahrrad auf dem Bahnhof umzuheben, da sind die Menschen sofort dazu bereit. Ich habe gelernt, wenn man offen die Menschen anspricht, trifft man auf viel Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft. Was mich allerdings stört, ist dieses unangenehme Angeschaut werden.

Was würden Sie sich stattdessen von den Menschen wünschen?
Ich würde mir wünschen, die Menschen würden mich stattdessen ansprechen. Was ist mit Ihrem Sohn? Warum macht er das? Warum verhält er sich so? Anstatt nur zu schauen. Mit Kindern habe ich es erlebt, dass diese sich trauen, zu fragen, warum Elias so ist, wie er ist. Erwachsene sollten das auch einfach tun. Das Schwierige ist ja, dass man als Außenstehender ihm seine Behinderung nicht ansieht und sein Verhalten daher oft für Irritationen sorgt.

Wie gut fühlen Sie sich als Mutter eines behinderten Kindes vom Staat unterstützt?
Grundsätzlich gut, aber: Wir haben recht gute Gesetze für Kinder mit Behinderungen in Deutschland. Das Problem ist jedoch, vieles muss ich mir erst erkämpfen. Sei es der Sprachcomputer, den Elias brauchte, um sich zu verständigen oder jetzt mit 18 Jahren die Grundsicherung. Viele Leistungen musste ich mir seit seiner Geburt erst mühsam erstreiten, obwohl sie einem per Gesetz zustehen. Diese Erfahrungen teile ich mit vielen Eltern mit behinderten Kindern. Das kostet im Alltag viel Kraft und Nerven.

Gibt es etwas anderes, das Sie im Alltag als unangenehm empfinden?
Wenn Menschen mich bemitleiden. Als Mutter eines behinderten Kindes bin ich genauso stolz auf mein Kind wie andere Mütter auch. Elias macht mich genauso glücklich, wie es ein anderes Kind tun würde. Der entscheidende Unterschied: Unser Leben ist hundertmal anstrengender als das anderer Eltern.

Was wünscht sich Ihr Sohn im Umgang mit den anderen Leuten?
Respekt. Die Leute sollen ihn so nehmen wie er ist und freundlich zu ihm sein – so hat er es mir gegenüber formuliert.

Annegret Lüder (52) ist Krankenpflegerin und Heilerziehungspflegerin. Seit 34 Jahren arbeitet sie mit Menschen mit Behinderungen. Sie hat dem Tagesspiegel dien Text über den Alltag mit ihrem behinderten Sohn zugeschickt, der in einem Schreibworkshop entstanden ist. Ihr Sohn ist mittlerweile 18 Jahre alt. Er hat eine diagnostizierte Autismus-Spektrum-Störung, außerdem Sprachstörung, ADHS sowie eine Intelligenzminderung.

Das Gespräch führte Saara von Alten.

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