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Am Alexanderplatz ist eines der größten Street Art-Projekte der Stadt entstanden – auf einem Bauzaun.

© Kitty Kleist-Heinrich

Kunst am Knotenpunkt: Am Alexanderplatz gibt es jetzt Berlins größtes Kunst-Projekt

Auf einem 240 Meter langen Bauzaun ist das größte Street Art-Projekt der Stadt entstanden. Bis 2021 soll es zu sehen sein - und noch zweimal übermalt werden.

Über bis zu 15 Meter erstrecken sich die „Heldinnen“ des Berliner Künstlerduos „Ron Miller“: weiße, langgezogene Körper, schwarze Linien auf beigem Grund, abstrakt anmutende Buchstaben. Um die Köpfe ziehen sich blaue Kreise, die Gesichter sind mit roten Balken verdeckt.

Zehn bekannte und unbekannte Frauen aus Geschichte und Mythologie hat das Künstlerduo ausgewählt und mit Pinselstrichen auf einen Bauzaun an den Alexanderplatz gemalt. Am Montag zeichneten sie mit dem Gesicht der Göttin „Europa“ den Abschluss der aktuellen Phase des Kunstprojektes „A – Fence“, einem der aktuell größten Streetart-Projekte in der Hauptstadt.

„A – Fence“ zieht sich über einen insgesamt 240 Meter langen Bauzaun direkt neben dem Park Inn-Hotel. Hinter dem Zaun entsteht bis 2024 ein Hochhaus des Immobilienunternehmens Covivio, das auf rund 60.000 Quadratmetern Fläche Büros, Wohnungen, Geschäfts- und Gemeinschaftsflächen verbinden soll.

Mit „A – Fence“ wolle das Unternehmen der Stadt zeigen, dass endlich etwas am Alexanderplatz passiere, sagt Covivio-Geschäftsführer Norman Weichhardt. Bereits seit 1994 werde darüber debattiert, die Fläche zu entwickeln. „Jetzt wird hier eine Art Wunde der Stadt geschlossen“, sagt Weichhardt. Vorgegeben hatte das Unternehmen lediglich das grobe Thema „Wir sind Europa“, bei der genauen Motivwahl und Gestaltung hatten die Künstler freie Hand.

In der Pandemie macht er sich für offene Grenzen stark

Über die Kunstwerke wolle das Unternehmen gewissermaßen mit der Bevölkerung in Kontakt treten – und sich auch positionieren. Gerade in Zeiten der Corona-Pandemie wolle sich Covivio für ein Europa der offenen Grenzen starkmachen, sagt Weichhardt. Das französische Immobilienunternehmen gilt als eines der größten Europas, mit Immobilien unter anderem in Deutschland, Frankreich und Italien.

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„A – Fence“ sei auch eine Reaktion auf eine Leitlinie des französischen Kulturministeriums, die „Ein Gebäude, ein Kunstwerk“ vorsehe und der sich das Unternehmen verpflichtet habe. Das Projekt solle Kunst und Farbe an den Standort bringen und dafür sorgen, dass sich der Alexanderplatz – traditionell eher ein Ort des schnellen Weitergehens – zumindest teilweise zu einem Ort des Verweilens entwickele, sagt Weichhardt. Auch wenn es zum Teil kontroverse Reaktionen gebe, zeige allein die hohe Zahl von Menschen, die Selfies vor dem Bauzaun machen, dass das Projekt Erfolg habe.

Ronny Kindt (l.) und Marcus Klüh vom Berliner Street Art-Duo „Ron Miller“ setzten am Montag die letzten Pinselstriche ihrer Göttin „Europa“.
Ronny Kindt (l.) und Marcus Klüh vom Berliner Street Art-Duo „Ron Miller“ setzten am Montag die letzten Pinselstriche ihrer Göttin „Europa“.

© Kitty Kleist-Heinrich

Zum Verweilen anregen wollen auch die beiden Künstler von „Ron Miller“. „Wir haben die Buchstaben bewusst schwer leserlich gestaltet“, sagt Ronny Kindt, einer der beiden. Dadurch sollten etwa die Menschen, die vor dem Bauzaun an der Tramhaltestelle warten, dazu angeregt werden, sich länger mit den Kunstwerken und den dargestellten „Heldinnen“ zu beschäftigen. „Vielleicht googlen sie dann auch und recherchieren mehr zur Geschichte der Frauen“, hofft Kindt. Durch die langgestreckte Form, die den Bildern fast etwas Karikaturhaftes gibt, wollten sie den weiblichen Figuren symbolisch eine gewisse Größe geben, ergänzt Kollege Marcus Klüh.

[330.000 Leute, 1 Newsletter: Die Autorin dieses Textes, Madlen Haarbach, schreibt den Tagesspiegel-Newsletter für Berlin-Neukölln. Den gibt es hier: leute.tagesspiegel.de]

Die Fläche teilen sich die beiden mit dem Berliner Illustratoren und Graphiker „Age Age“, alias Hannes Höhling. Der Alexanderplatz sei für ihn früher eher ein surrealer Ort gewesen, erzählt er, während er die letzten Linien seines Kunstwerks „Journey Europe“ sprayt. Mittlerweile sei der Platz längst Zentrum der Stadt, ein Knotenpunkt, der viele Wege und Menschen verbinde. Ähnliche Verbindungen ziehen sich durch seine ganz in Blau- und Orangetönen gehaltene Geschichte des Kontinents „Ich wollte Europa und seine Wandlungsfähigkeit dokumentieren“, sagt er. Ein zentrales Motiv ist dabei etwa das Chamäleon, das unterschiedliche Stadien durchläuft.

Bis 2021 zu bewundern - in dieser Form aber nur ein paar Wochen. Dann wird neu bemalt.
Bis 2021 zu bewundern - in dieser Form aber nur ein paar Wochen. Dann wird neu bemalt.

© Kitty Kleist-Heinrich

Kuratiert wird das Projekt von Diana Marossek, Geschäftsführerin der Agentur „Street Art Berlin“, die sich auf die Vermittlung von Street Art-Künstlern fokussiert hat. Dass Bauzäune künstlerisch und frei gestaltet werden, sei in Berlin eher ungewöhnlich, sagt sie. Für das Projekt habe sie insgesamt 40 Künstlerinnen und Künstler vorgeschlagen, von denen eine Jury am Ende zwei auswählte.

Die Werke von „Age Age“ und „Ron Miller“ sollen nun für rund sechs Monate zu sehen sein – anschließend geht das Projekt in die nächste Phase. Die Werke werden größtenteils übermalt, dann erhalten neue Künstler die Gelegenheit, sich zu verwirklichen. „Das Prinzip der Vergänglichkeit ist ja auch Street Art-immanent“, sagt Covivio-Geschäftsführer Norman Weichhardt. Stehen bleiben soll der Zaun voraussichtlich bis 2021 und bis dahin noch zweimal übermalt werden. Ein Teil der Werke bleibt allerdings erhalten: Im Foyer des geplanten Hochhauses soll eine Galerie entstehen, in der insgesamt zehn Werke aus allen Phasen des Kunstprojektes dauerhaft ausgestellt werden.

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