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Pater Manfred Kollig (r), Generalvikar im Erzbistum Berlin und Regens Matthias Goy (l), Priester im Erzbistum Berlin.

© Arne Immanuel Bänsch/dpa

Update

Kindesmissbrauch im Erzbistum Berlin: Generalvikar: "Wir haben versagt"

Auch das Erzbistum Berlin ermutigt Missbrauchsopfer, sich zu melden. Generalvikar Manfred Kollig steht dennoch zum Zölibat.

Auf der Leinwand sieht man das kantige Gesicht von Reinhard Marx, den nachdenklichen, fast zerknirschten Blick, man sieht, wie dieser massige Mann schwer seinen Kopf auf seine linke Hand stützt, man sieht, wie es in ihm arbeitet. Der Vorsitzende der katholischen Bischofskonferenz muss zuhören, wie seine Kirche an dem Pranger steht. Denn in Fulda wird bei der Deutschen Bischofskonferenz die Studie zum Missbrauch in der katholischen Kirche vorgestellt, Marx sitzt auf dem Podium, ein leidender Zuhörer.

Vor der Leinwand, in einem Tagungsraum des Bernhard-Lichtenberg-Hauses, gleich neben der Hedwigs-Kathedrale, sitzt Pater Manfred Kollig, der Generalvikar des Erzbistums Berlin. Er hat die Liveübertragung aus Fulda verfolgt, jetzt redet er über die Situation in Berlin, im Bereich des Erzbischofs Heiner Koch. Der ist auch in Fulda, für ihn spricht in Berlin Kollig. Sein Blick ist nicht ganz so zerknirscht wie der von Marx, aber er sagt: „Wir haben versagt, davon kann nicht abgehen. Wir haben die sexuellen Missbrauchsfälle als etwas sehr Internes gesehen. Wir haben nicht deutlich genug gemacht, wer die Verantwortung trägt.“ Die Täter nämlich, die Erwachsenen, Mitarbeiter der Kirche, die Minderjährige gedrängt haben, den Missbrauch zu beichten. „Da wurden Opfer noch zu Tätern gemacht“, sagt Kollig.

77 Meldungen über sexuellen Missbrauch lagen den Erzbistum bis 15. Dezember 2017 vor, die Vorwürfe gehen bis 1947 zurück. 18 Fälle davon wurden bei den Recherchen zur Missbrauchsstudie in den Personalakten entdeckt. Teilweise sind die beschuldigten aber bereits verstorben. 2017 wurden sechs neue Vorwürfe erhoben, die jetzt die Staatsanwaltschaft bewertet. Bisher wurden beim Erzbistum 19 Anträge „auf Leistungen in Anerkennung des Leids“, das Opfern sexuellen Missbrauchs zugefügt wurde, bewilligt. Insgesamt 85.000 Euro zahlte das Erzbistum bis jetzt aus diesem Grund. 30.000 Euro gab es für psychotherapeutische Leistungen und Fahrtkosten aus.

„Es gibt Opfer, die sich erst nach vielen Jahren melden“

Es gibt eine Dunkelziffer der Missbrauchsfälle, das steht fest. „Es gibt Opfer, die sich erst nach vielen Jahren melden“, sagt Kollig. Deshalb sagt es wenig aus, wenn der Generalvikar erklärt: „Seit 2010 gibt es prozentual weniger Fälle als in den 1950er- und 1960er Jahren.“ Kollig selber relativiert diese Zahlen.

Konkreter kann Kollig werden, wenn es um Konsequenzen aus dieser Studie geht. Erzbischof Koch will mehr tun, damit er ins Gespräch mit den Opfern kommt. „Das ist der entscheidende Punkt“, sagt sein Generalvikar. „Wir möchten noch offensiver die Opfer auffordern, sich bei der Missbrauchsbeauftragten des Erzbistums zu melden. Es ist wichtig, dass die Opfer Beschuldigungen vortragen und uns Hinweise geben, wie wir Missbrauch vermeiden können.“

Auf ein paar Ideen ist das Erzbistum selber schon gekommen. Prävention und Fortbildung zum Thema Missbrauch zum Beispiel sollen intensiviert werden. „96 Prozent der Kleriker haben bereits an einer Präventionsschulung teilgenommen“, sagt Kollig. Die restlichen vier Prozent sind zwischen zwei Schulungsterminen zum Erzbistum gestoßen. Auch bei der Auswahl der Priester will man sensibler vorgehen. „Wer das Leben im Zölibat als Flucht vor der Wirklichkeit betrachtet“ oder sich der Risiken einer Ehelosigkeit nicht wirklich bewusst sei, bei dem seit Vorsicht geboten, sagt Generalvikar Kollig. Und es gibt ja viele Priester oder Priesterkandidaten, die beim Thema Ehelosigkeit an psychische Grenzen stoßen. Diese Menschen sollen besser betreut und begleitet werden.

Und natürlich geht es auch die Strukturen der Kirche. Die förderten durchaus Missbrauch, sagt auch die Studie. Genau an diesem Punkt möchte auch Erzbischof Koch ansetzen. „Wer viel Macht besitzt, besitzt viel Verantwortung“, sagt Kollig. Diese Macht müsse man richtig einsetzen. Und Kollig spricht vermutlich auch für Koch, der beim Thema Missbrauch die Verantwortung der Kirche betont und sehr auf eine Aufarbeitung der Fälle drängt, wenn er sagt: „Wir müssen als Kirche Abschied von dem Gedanken nehmen, dass wir perfekt sind. Wir müssen aufmerksamer hinschauen.“ Ein Teil des Problems sei doch gewesen, „dass wir gesagt haben: Das kann doch nicht sein“.

Aber die Strukturdiskussion hat für Kollig auch Grenzen. Eine Generaldebatte, die am Beispiel der Missbrauchsfälle entbrennt, die will er nun wirklich nicht. Den auch innerhalb der katholischen Glaubensgemeinde hoch umstrittenen Zölibat will er nicht in Frage stellen lassen. „Wenn der Zölibat weg wäre, bedeutete das nicht, dass es keine Missbrauchsfälle mehr gäbe.“

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