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Zwei Lichtenberger Bezirksstadträte im Zwielicht: Camilla Schuler (Linke) und Kevin Hönicke (SPD).

© Montage: Tagesspiegel | Bezirksamt Lichtenberg (2)

„Kein sexuell übergriffiges oder konnotiertes Verhalten“: Berliner Bezirksamtsaffäre immer bizarrer – Frauen widersprechen MeToo-Verdacht

Zwei Jahre alte Belästigungsvorwürfe erschüttern Lichtenberg. Doch angeblich betroffene Frauen widersprechen. Ereilt Stadträtin Camilla Schuler das Schicksal von Kevin Hönicke?

House of Cards in Lichtenberg: Die Bezirksamtsaffäre um Geheimnisverrat, angebliche Belästigungsvorwürfe und den suspendierten Stadtrat Kevin Hönicke (SPD) wächst sich zu einer handfesten Intrigenposse und einem folgenreichen Medien-Fauxpas aus.

Hönicke wird vorgeworfen, interne Akten zu einem Verfahren um Vorwürfe der sexuellen Belästigung verbreitet zu haben. Deshalb ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen ihn. Doch nun stellt sich heraus: Die Belästigungsvorwürfe waren offenbar erfunden. Erdacht haben soll sie seine Bezirksamtskollegin – Camilla Schuler von der Linkspartei.

Freitagnachmittag, Krisensitzung im Rathaus Lichtenberg. Bezirksbürgermeister Martin Schaefer (CDU) hat leitende Beamte eingeladen, ebenso drei Frauen und einen Mitarbeiter, der unter Belästigungsverdacht stand. Am Ende stellt sich heraus: Hönicke soll wohl Vorwürfe lanciert haben, die nicht nur längst – vor einigen Monaten auch von ihm – für erledigt erklärt worden sind, sondern von den Frauen nie erhoben worden waren.

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Doch wochenlang stand nach Berichten einer Zeitung der Vorwurf im Raum, es könnte doch etwas dran sein an den Belästigungsvorwürfen, es gebe Vertuschung, gar Machtmissbrauch. Drei angeblich betroffene Frauen machten nun reinen Tisch. Sexuelle Belästigung – nein, das hätten sie ihrem Kollegen nie vorgeworfen.

Schaefer zog am Dienstagabend die Reißleine. In einem Schreiben an die mehr als 2000 Mitarbeiter des Bezirks erklärte er: Die „medialen Angriffe gegen die drei Kolleginnen“, die vor zwei Jahren mit Schuler sprachen, und auf den Mitarbeiter, „zwingen dazu, diesen Sachverhalt auch behördenöffentlich darzulegen“. Damit „keine Zweifel bestehen bleiben an der Redlichkeit“ der beteiligten Beschäftigten, die sich öffentlich nicht dazu äußern dürften. Es gehe darum, Schaden von den Beschäftigten und der Behörde abzuwenden.

Nun steht Bezirksbürgermeister Schaefer vor einem Problem: Muss er auch ein Disziplinarverfahren gegen Schuler einleiten? Kann er sich leisten, ein zweites Bezirksamtsmitglied zu suspendieren? Geht es am Ende auch um Strafrechtliches?

Martin Schaefer (CDU), Bezirksbürgermeister von Lichtenberg.

© Bezirksamt Lichtenberg

Hönicke postete am Dienstagvormittag bereits, es gebe „schreckliche Entwicklungen“, es gebe „Berichte über die mögliche Entfernung einer weiteren Person“. Gemeint ist Schuler. Bezirksamtschef Schaefer dementierte: „Wenn Herr Hönicke solche Dinge verbreitet, entbehrt dies jeder Grundlage.“ Es gebe keine solchen Pläne.

Rückblick: Stadträtin Schuler hatte nach Vernehmungen der Frauen im Februar 2022 in Vermerken notiert, zwei der Frauen hätten dem Mitarbeiter sexuelle Belästigung vorgeworfen, es später aber zurückgezogen – und eine dritte hätte widersprochen. Die internen Ermittlungen wurden damals eingestellt.

Im Herbst 2023 dann verbot Bezirksamtschef Schaefer seinem Stadtrat Hönicke die Ausübung der Dienstgeschäfte. Grund: Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn wegen des Verdachts des Geheimnisverrats. Er soll Journalisten im Januar 2023, kurz vor der Wiederholungswahl, interne Akten zum vermeintlichen Belästigungsfall per Post geschickt haben.

Das Verwaltungsgericht wies Hönickes Eilantrag dagegen ab. Es lägen ausreichende Indizien für den Verdacht vor, dass Hönicke seine beamtenrechtliche Verschwiegenheitspflicht verletzt hat, hieß es im Beschluss. Das Oberverwaltungsgericht muss noch über Hönickes Beschwerde dagegen entscheiden.

Anlass für die Ermittlungen war ein Fehler eines Tagesspiegel-Redakteurs. Er postete beim Twitter-Nachfolger X ein Foto vom Briefumschlag. Anhand der abgebildeten Frankierung kam heraus: Die Briefmarke wurde über das private Online-Konto von Hönicke beim Postdienstleiter DHL bestellt und bezahlt.

Kevin Hönicke - die Frankierung führte zu ihm

© Montage: Tagesspiegel/Schneider | imago images, TSP

Der Fall wird noch verworrener: Hönicke hat nach seiner Suspendierung den angeblichen Belästigungsfall selbst aufgegriffen, den er Anfang Oktober noch für abgeschlossen erklärte.

Hönicke, Schuler, am Ende sogar eine Medienposse?

Was dann geschah, ist mehr als eine Posse. Das Berliner Blatt eines Unternehmers brachte vor zweieinhalb Wochen eine Story über drei Seiten: Im Zentrum stand der Mitarbeiter des Bezirksamts mit vollem Namen und Foto, der angeblich Kolleginnen sexuell belästigt haben soll. Aufgeschrieben von einer preisgekrönten Journalistin.

Der Mitarbeiter geriet mit vollem Namen und Foto an den Pranger. Über die Folgen für den Betroffenen, der keine Person des öffentlichen Lebens ist, sagen Mitarbeiter des Bezirksamts: Das sei eine Hinrichtung gewesen und habe weitreichende Folgen bis ins Private gehabt.

Kronzeugen für die erneuerten Vorwürfe waren aber nicht die vorgeblich betroffenen Frauen von damals. Vielmehr hat Camilla Schuler, Bezirksstadträtin auf Ticket der Linkspartei, zuvor bei den Grünen, den Anschein des Ungewissen erweckt. Und der SPD-Politiker Hönicke sekundierte.

Camilla Schuler ist Wahlbeamtin, B5-Besoldung, 9725 Euro im Monat

Schuler behauptete, die massiven Vorwürfe der Frauen damals könne man sich nicht einfach ausdenken. Aber „wohl unter Druck“ hätten sie die Vorwürfe zurückgezogen. „Ich wusste, ich hatte mir das alles nicht eingebildet, aber ich konnte nichts beweisen“, sagte Schuler dem Blatt. Es verdächtigte oder suggerierte zumindest, der besagte Mitarbeiter, der die Frauen belästigt haben soll, hätte sie zum Schweigen gebracht.

Der Tagesspiegel fragte nochmals bei Schuler nach, immerhin ist sie Wahlbeamtin, die als stellvertretende Bezirksbürgermeisterin nach Soldstufe B5 pro Monat 9725,03 Euro bekommt. Sie sei von dem Blatt im Wortsinn korrekt wiedergegeben worden, habe aber nicht im Namen des Bezirksamtes gesprochen und auch keinen Einfluss auf die Interpretationen ihrer Aussagen.

Auf die Frage, ob sie meine, dass der damals verdächtige Mitarbeiter Druck auf die Mitarbeiterinnen ausgeübt habe und diese deshalb ihre Vorwürfe zurückgezogen hätten, antwortete die Stadträtin unklar: „Von welcher Seite Druck ausgeübt wurde, kann ich nicht beantworten.“

In dem Blatt hieß es auch, die Stadträtin wisse nicht, wer den Mitarbeiter über die Vorwürfe gegen ihn informiert hat. Dabei war sie es selbst. Damals, im Februar 2022, schrieb sie dem verdächtigten Mitarbeiter noch per WhatsApp auch mit ganz anderer Tonlage. Nachzulesen in einem Schriftsatz der renommierten Medienrechtskanzlei Schertz-Bergmann.

2022 erwähnte Schuler eine gewisse Supergrüne

Sie lasse nicht zu, dass solche schwerwiegenden Anschuldigungen verbreitet werden und offensichtlich gelogen werde. Das tippte sie kurz nach der Vernehmung der Mitarbeiterinnen in ihr Handy. Einige Tage später dann: Sie sehe es als ihre Aufgabe an, Männer zu unterstützen, wenn Frauen meinten, Belästigungsvorwürfe als Instrument zu benutzen. Das dürfe nur eine gewisse Supergrüne aus ihrem Bezirk nicht erfahren.

Der SPD-Mann Hönicke wärmte die damals erledigten Vorwürfe nun aber wieder auf: Der damals verdächtigte Bezirksamtsmitarbeiter habe in seinem Fall von Geheimnisverrat für den Bezirksbürgermeister ermittelt und ihn gezielt belastet – um möglicherweise Belästigungsvorwürfe zu vertuschen?

Methode Hönicke: Maximaler Vorwurf, große Aufmerksamkeit, politischer Nutzen

Hönicke meinte: Wenn 2022 schon angeblich etwas schief lief bei den internen Untersuchungen, es Druck auf die Frauen gegeben haben könnte, der betroffene Mitarbeiter zeitweise intern gegen ihn wegen des Geheimnisverrats ermittelt habe – dann müsse es doch einen Zusammenhang zwischen dem Fall von damals und dem Verratsvorwurf gegen ihn geben.

Was wirr anmutet, sei am Ende nur die Verschwörungstheorie eines Egomanen, sagen inzwischen selbst SPD-Genossen. Hönicke hat jedenfalls wenige Tage nach der angeblichen Enthüllungsstory, in der er als empfindsamer Aufklärer und rüstiger Anwalt von von Gewalt und Belästigung betroffenen Frauen auftrat, erklärt, dass er als Landesvize der Berliner SPD kandidiert. Motto: maximaler Vorwurf, große Aufmerksamkeit, Vorteil nutzen.

Hönicke nennt sich „beide Politiker Kevins“

In einem Video zu den Recherchen des Blattes sagte Hönicke: Für ihn gebe es „zwei sehr schlimme Sachen, Gewalt gegen Frauen und Gewalt gegen Kinder“. Nie im Leben würde er „eventuelle Gewalt gegen eine Frau oder mehrere Frauen nutzen“, um einem politischen Konkurrenten zu schaden, „um irgendjemanden loszuwerden oder jemanden in eine Bredouille zu bringen“.

Nun werde er alles dafür tun, dass alles aufgeklärt wird. Er werde „bis zum bitteren Ende kämpfen“. Und „beide Politiker Kevins (sic!), der, der gegangen ist, und der, der wiederkommen wird, sind sich sicher, dass er wiederkommt“. Er wolle einen Neuanfang wagen, „der nicht auf Rache aus ist“.

Doch die drei Frauen von damals ließ das alles, Hönickes Auftreten, Schulers Aussagen, die Zeitungsberichte, nicht unberührt. Das Ergebnis des klärenden Gesprächs mit Bezirksbürgermeister Schaefer am Freitag: Stadträtin Schuler hat damals zwar mit den Frauen gesprochen, doch die haben ihrem Kollegen nie sexuelle Belästigung vorgeworfen – und werfen es ihm auch jetzt nicht vor.

Vielmehr wollten sich zwei Mitarbeiterinnen „über organisatorische Schwierigkeiten und Konflikte beschweren, die aus ihrer Sicht von einem dem Bereich zugeordneten Mitarbeiter ausgingen“, wie Schaefer nun erklärt. „Nach übereinstimmenden Angaben aller drei Mitarbeiterinnen gab es keinerlei sexuelle Konnotation des beanstandeten Verhaltens des Mitarbeiters.“

Weiter erklärte Schaefer: „Sie haben erneut und ausdrücklich auch jetzt in den vergangenen Tagen bestritten, jemals Beschwerde über sexuell übergriffiges oder sexuell konnotiertes Verhalten des Mitarbeiters geführt zu haben.“ Zudem hätten die Mitarbeiterinnen mehrfach eindeutig ausgeschlossen, dass sie unter Druck gesetzt wurden, damit sie ihre Vorwürfe zurückzögen. Auch seien keine Untersuchungen beeinflusst oder behindert worden.

Hat Stadträtin Schuler den Belästigungsverdacht in ihren Vermerken hinzugedichtet? Die Beiträge der Zeitung zu dem Fall – mit Schuler als Kronzeugin – hatten jedenfalls eine klare Stoßrichtung. Eine Überschrift lautete: „MeToo und Machtmissbrauch in Berlin-Lichtenberg“. Oder: „Wurden MeToo-Vorwürfe im Rathaus Berlin-Lichtenberg vertuscht?“ Sowie: „Sexuelle Belästigung in Berlin-Lichtenberg: Tritt CDU-Bürgermeister Martin Schaefer zurück?“ Oder: Was Politiker nach den Enthüllungen „zu vertuschten MeToo-Vorwürfen im Bezirksamt Berlin-Lichtenberg“ sagen.

Ich kann das alles belegen, gebe nur die mir vorliegenden Akten nicht weiter.

Kevin Hönicke, suspendierter Stadtrat in Lichtenberg

Es ging auch um Kevin Hönicke. „Machtmissbrauch in Lichtenberg: Wie Stadtrat Hönicke aus dem Amt gejagt wurde“, lautete eine Schlagzeile. Hönicke „warnte vor einem despotischen Mitarbeiter – und wurde am Ende selbst gestürzt. Ein Berliner Verwaltungs-Krimi.“ Ein Blatt aus demselben Verlag titelte: „Steckt ein despotischer Waffenbesitzer hinter dem Fall Kevin Hönicke?“

Der SPD-Politiker verbreitete die Beiträge eifrig in den sozialen Medien, schrieb: „Ich kann das alles belegen, gebe nur die mir vorliegenden Akten nicht weiter.“ Noch im Dezember bot er aber jenem Tagesspiegel-Redakteur, der irrtümlich ein Foto vom Umschlag postete, die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft zu seinem Fall an. Er wollte einen Deal: Akten gegen das MeToo-Dossier, das Hönicke selbst verschickt haben soll. Der Redakteur lehnte ab.

Einige Wochen später schrieb Hönicke bei Facebook: „Mit tut es nur um die Frauen und den Bezirk leid. Schade, dass der Bezirksbürgermeister das Ansehen unseres Bezirks so schadet.“ Eine unabhängige Instanz müsse den Fall „einer möglichen sexuellen Belästigung endlich“ aufklären. Und er mutmaßte, dass im Bezirksamt „seit zwei Jahren vieles vertuscht wird“.

Weil er nichts von der CDU Lichtenberg dazu gehört habe, müssten er und die Öffentliche zurecht davon ausgehen, „dass hier vieles nicht stimmt“. Wenn er sehe, wie gegen ihn im Bezirksamt ermittelt werde, fehle ihm der Glaube, dass das „Verfahren wegen der sexuellen Belästigung ordentlich geführt wurde“. Die Recherchen zeigten auf, „warum die Frauen die Aussagen zurückgezogen haben könnten. Anscheinend wurden sie bedroht und eingeschüchtert.“ Es seien nun „verbrecherische Vorgänge“ öffentlich geworden.

Ob Hönicke mit den drei betroffenen Frauen jemals gesprochen hat? Sie widersprechen dem SPD-Politiker jedenfalls. Und Bezirksbürgermeister Schaefer sieht nach dem Gespräch mit den Frauen und nach Sichtung der Akten keine Hinweise auf Vertuschung, Machtmissbrauch und MeToo.

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