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Die Arbeiterwohlfahrt (Awo) Mitte ist Betreiberin des Heims.

© Imago

Kein Rettungswagen für schwangere Geflüchtete: Heimbetreiber distanziert sich nach Tod eines Babys von Sicherheitsfirma

Warum wurde einer Schwangeren in einem Flüchtlingsheim der Rettungswagen verwehrt? Laut Betreiber verstieß das Sicherheitspersonal gegen Anweisungen.

Hätte das Baby überlebt, wenn ein Rettungswagen alarmiert worden wäre, statt die werdenden Eltern sich selbst zu überlassen? Diese Frage beschäftigt nach dem Bekanntwerden eines Vorfalls in der Flüchtlingsunterkunft "Refugium Lichtenberg" an der Rhinstraße Beteiligte aus Politik, Verwaltung, beim Heimbetreiber und der Zivilgesellschaft.

Laut Tobias Kiwitt, einem auf Medizinrecht spezialisierten Rechtsanwalt, der das erst vor wenigen Monaten in Deutschland angekommene Ehepaar vertritt, kam die für den Obduktionsbericht zuständige Oberärztin im persönlichen Gespräch mit ihm zu dem Schluss, ein Überleben des Kindes bei Alarmierung des Rettungswagens wäre "wahrscheinlich" gewesen.

Was war passiert? Übereinstimmenden Schilderungen zufolge hatte sich das Ehepaar am frühen Sonntagmorgen des 23. Juni an das Sicherheitspersonal der Flüchtlingsunterkunft gewandt. Die 21 Jahre junge Frau war im neunten Monat schwanger. Weil die Frau unter starken Bauchschmerzen litt, bat der Ehemann um die Alarmierung eines Krankenwagens. Zu diesem Zeitpunkt war es vier Uhr morgens, das Kind soll noch im Bauch der Frau gestrampelt haben, war also am Leben.

Die beiden Sicherheitsmitarbeiter verweigerten den Notruf. Auch ein Taxi wollten sie der Familie nicht rufen, empfahlen stattdessen den Weg zu Fuß und mit der Bahn, den die beiden später auch wählten.

Stunden später in der Klinik angekommen, gebar die Frau ihr totes Baby. Als Todesursache notierten die Ärzte nach Angaben des Flüchtlingsrates eine "akute Plazentainsuffizienz", eine plötzlich eintretende Unterbrechung der Durchblutung von Plazenta oder Nabelschnur, die innerhalb kurzer Zeit zum Tod des Kindes führen kann.

Die Awo Mitte, Betreiber der Unterkunft, war am Montag für die zuerst über den Vorfall berichtende „taz“ nicht erreichbar. Am Dienstag aber äußerte sich der Vorsitzende Manfred Nowak. Er gab zu, selbst erst einige Tage nach dem Vorfall informiert worden zu sein und nannte diesen "bedauerlich und tragisch".

Nowak zufolge war zum Zeitpunkt des Geschehens niemand außer den beiden Mitarbeitern der von der Awo engagierten Sicherheitsfirma für die aktuell rund 275 im Refugium untergebrachten Flüchtlinge ansprechbar. Diese hätten, das betont Nowak, die klare Anweisung gehabt, dem Wunsch der Familie nach Alarmierung eines Rettungswagens Folge zu leisten.

"Da haben wir ganz klare Anweisungen. Ich hätte erwartet, dass der Rettungswagen alarmiert wird", erklärte Nowak. Dass das nicht geschehen sei, hätten die Mitarbeiter mit "Sprachproblemen" begründet, sagte Nowak weiter. Die Sicherheitsfirma war für den Tagesspiegel bislang nicht für eine Stellungnahme erreichbar.

Das Landesamt wurde erst Wochen später informiert

Dass es allein sprachliche Probleme waren, die eine Alarmierung verhinderten, will Tobias Kiwitt nicht gelten lassen. Der Rechtsanwalt erklärt, einer der beiden Sicherheitsmitarbeiter habe sich im Zimmer der Familie ein Bild vom Zustand der schwangeren Frau gemacht, als diese sich vor Schmerzen im Bett krümmte.

"Dass meinen Mandanten eine Wegbeschreibung zum Krankenhaus ausgehändigt wurde, belegt doch, dass sich beide Seiten verstanden haben", erklärt Kiwitt. Er will auf außergerichtlichem Wege ein Schmerzensgeld für die Familie durch das Sicherheitsunternehmen erwirken und behält sich darüber hinaus vor, gegen die beiden Mitarbeiter des Unternehmens Strafanzeige wegen unterlassener Hilfeleistung zu stellen.

Unklar ist, warum das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) erst Wochen nach dem Vorfall von der Awo informiert worden war. Während Nowak von "wenigen Tagen" gesprochen hatte, die bis zur Meldung des Vorfalls vergangenen seien, korrigierte Sascha Langenbach, Sprecher des LAF, dessen Angabe. Ihm zufolge war das LAF erst am 15. Juli und damit drei Wochen nach dem Vorfall informiert worden, ein "absolut inakzeptabler Zeitraum", wie Langenbach im Gespräch mit dem Tagesspiegel erklärte.

Er verwies auf die "gelebte Praxis" zwischen LAF und Heimbetreibern, dass besondere Vorfälle, wie es der vorliegende Fall zweifelsfrei sei, umgehend an das LAF gemeldet werden. Die eigens für Fälle wie diesen vorgehaltenen Möglichkeiten der Krisenintervention konnten so nicht genutzt werden.

Stattdessen arbeiteten die beiden Mitarbeiter des Sicherheitsunternehmens zunächst, nämlich zwei Tage lang, weiter in der Unterkunft und trafen dort auf das erst später verlegte Ehepaar. Langenbach will sich nun zeitnah mit allen Beteiligten treffen. Die Awo wurde aufgefordert, lückenlos aufzuklären, wie es zu den "verheerenden Kommunikationspannen zwischen dem betroffenen Ehepaar und der Security in der Einrichtung" kommen konnte.

Seitens der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales zeigt man sich schockiert über den Vorfall. Staatssekretär Alexander Fischer, der das Haus während des Urlaubs der Senatorin Elke Breitenbach (Linke) leitet, sprach am Dienstagmorgen auf Twitter von einem "entsetzlichen Vorfall, der viele Fragen aufwirft". Fischer kündigte an, der Fall werde "vollständig aufgeklärt" und nannte es "absolut inakzeptabel, wenn Menschen die Notfallversorgung verwehrt wird".

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