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Flüchtlinge im ICC? Der Vorschlaf von Ex-Bürgermeister Diepgen löst Irritationen aus.

© dpa

Unterkunft im ICC: Kein Platz für Flüchtlinge

Warum bringt Berlin die Neuankömmlinge nicht im ICC oder auf dem Tempelhofer Feld unter? Das hat Eberhard Diepgen vorgeschlagen. Daraus wird aber nichts. Und in der Landespolitik löst der Ex-Regierende mit seinem Vorstoß Irritationen aus.

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Eisig zieht der Ostwind über das Tempelhofer Feld. Bei Böen wird Windstärke 6 erreicht. So leer wie am Sonnabend ist das Feld selten, die wenigen Menschen führen Hunde aus oder sind Touristen. Vereinzelt sind Jogger oder Radfahrer zu erkennen. Die Spaziergänger sind geteilter Meinung zur Idee des früheren Regierenden Bürgermeisters Eberhard Diepgen (CDU), die große Freifläche Tempelhofer Feld zum Bau von Flüchtlingsunterkünften zu nutzen. Er hatte im Interview mit dem Tagesspiegel nicht nur das Feld, sondern auch das stillgelegte Kongresszentrum ICC für die Unterbringung von Flüchtlingen vorgeschlagen.

„Irgendwo müssen diese Menschen ja hin“, sagt eine Neuköllnerin, die ihrem Besuch aus dem Bundesgebiet die Weite des Tempelhofer Feldes zeigt. Hier sei die Stimmung „sicher offener als in Marzahn“. Ein Mann stimmt zu, meint, dass neben der früheren Müllverbrennungsanlage Platz sei für ein Containerdorf. Tatsächlich gibt es ein größeres Grundstück auf der südlichen Seite, zur S-Bahn hin, seit der Eröffnung ist es mit Metallzäunen abgesperrt. Darin steht nur ein einzelnes Gebäude, die Müllverbrennungsanlage ist ein Relikt der Amerikaner.

Ein Pärchen, sie aus Kreuzberg, er aus Neukölln, will dagegen keine Container im Park. „Möchte ich hier nicht haben“, sagt die junge Frau bestimmt. Sie habe bei der Abstimmung im Mai dieses Jahres gegen die Bebauung gestimmt, weil die Weite so schön sei. „Deshalb gefällt mir ein Riesenghetto hier nicht.“ Ihr Freund sagt kurz und knapp: „Hier nicht.“

Diepgens Vorschlag löst in der SPD nur Kopfschütteln aus

Bereits 11655 Flüchtlinge mit laufendem Asylverfahren leben in Berliner Einrichtungen, weitere 711 in Hostels. Bis Ende des Jahres können es insgesamt bis zu 13000 werden. „Wir haben viele Objekte geprüft, ob sie für die Unterbringung geeignet sind“, sagte Sozialsenator Mario Czaja (CDU) dem Tagesspiegel am Sonntag. „Auch ich habe das ICC als Notfallunterkunft in Erwägung gezogen.“ Auch das Tempelhofer Feld sei geprüft worden. Das Ergebnis der Prüfung: Beide Standorte sind nicht geeignet.

Das Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) wandte sich als Unterbehörde der Sozialverwaltung an die für das ICC zuständige Wirtschaftsverwaltung. „Angesichts der Menschen, die zu uns strömen und die auf unsere Hilfe angewiesen sind, darf es keine Tabus geben. Deswegen haben wir die Möglichkeit, das ICC als Bleibe für die Flüchtlinge wieder zu öffnen, schon vor Wochen prüfen lassen“, sagte Wirtschaftssenatorin Cornelia Yzer (CDU) dem Tagesspiegel. Da die Aufsichtsbehörden aber „wegen gefährlicher Schadstoffbelastungen schon den temporären Aufenthalt für Besucher untersagen, ist es für niemanden zumutbar, dauerhaft dort zu wohnen.“

Bei der SPD löst Diepgens Vorschlag Kopfschütteln aus. „Der Vorschlag kann nicht ernst gemeint gewesen sein“, sagte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Ülker Radziwill. Es existiere doch gar keine Betriebsgenehmigung mehr für das Gebäude. SPD-Sozialpolitiker Rainer-Michael Lehmann mutmaßte, dass die CDU davon ablenken würde, dass noch kein Nutzungskonzept für das ICC vorliege.

Keine Ausnahmen auf dem Tempelhofer Feld - auch nicht für Flüchtlinge

Was mit dem im April stillgelegten ICC geschehen wird, ist weiter unklar. Bleibt es ein Kongresszentrum oder wird es zur Shopping-Mall mit Hotel? Die Wirtschaftsverwaltung hat ein Einzelhandelsgutachten zu den Auswirkungen eines ICC-Shoppingcenters auf die Geschäfte in der Wilmersdorfer Straße in Auftrag gegeben. „Es fehlt ein Konzept, um das Gebäude wieder attraktiv zu machen“, sagt Messe-Sprecher Michael Hofer, der das ICC als temporäre Unterkunft für Flüchtlinge ohnehin „aufgrund der Einbauten und vorhandenen Infrastruktur als ungeeignet“ ansieht.

Auf dem Tempelhofer Feld sind laut dem per Volksentscheid verabschiedeten Gesetz „jede Form von Camping und provisorische Behausungen“ untersagt. „Ausnahmen sieht das Gesetz nicht vor“, sagt BUND-Geschäftsführer Tilmann Heuser. Er ist auch Koordinator für das Verfahren zur Erarbeitung eines Pflege- und Entwicklungsplans für das Areal. Vom Gesetz ausgenommen sind das Flughafengebäude und ehemalige Alliierten-Gebäude. Czaja ließ auch diese Bauten prüfen. Sanitäranlagen hätten aus denkmalschutzrechtlichen Aspekten nicht in das ehemalige Flughafengebäude eingebaut werden können. Und der Umbau- und Sanierungsbedarf der ehemaligen US-Unterkünfte „wäre immens gewesen“, sagt Czaja. Deshalb will die Sozialverwaltung bis April kommenden Jahres Containerdörfer an sechs Standorten aufstellen, um 2220 Flüchtlinge und 200 Obdachlose unterzubringen. Zwei der Dörfer mit jeweils etwa 400 Plätzen sind in Steglitz-Zehlendorf geplant, die anderen vier im Ostteil der Stadt – wo Anwohner, aber auch Neonazis protestieren. Linkspolitiker Hakan Tas fordert, dass 700 leer stehende Sozialwohnungen für Flüchtlinge bereitgestellt werden sollten. Auch ein landesweites Flüchtlingskonzept fehle noch. Und statt 43 Millionen Euro für die Containerdörfer hätte der Senat das Geld besser in längerfristig nutzbare Unterkünfte investieren können, sagt Grünen-Politikerin Canan Bayram. Die Situation der Flüchtlinge in Berlin soll auch Thema im Sozialausschuss am kommenden Montag sein.

Aufnahmestopp wegen Masern und Windpocken in fünf von sechs Einrichtungen

Aufgrund von Masern- und Windpockenfällen verhängte das Lageso wie berichtet für fünf von sechs Erstaufnahmeeinrichtungen in Berlin bis Dienstag einen Aufnahmestopp. Nach Rücksprache mit den Gesundheitsämtern werden die Einrichtungen ab Mittwoch „schrittweise wieder geöffnet“, sagte Czaja am Sonnabend.

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