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Der Pop-up-Radweg auf der Kantstraße.

© imago images / Stefan Zeitz

Kein Platz für Berliner Feuerwehr: Gefährdet ein Pop-up-Radweg den Brandschutz für Anwohner?

100 Wohnungen in der Kantstraße kann die Feuerwehr offenbar nicht per Leiter erreichen. Eine Barriere aus parkenden Autos, die Radler schützen soll, ist im Weg.

Die Radstreifen in der Kantstraße in Berlin-Charlottenburg sind möglicherweise lebensgefährlich für Anwohner, sollte ein Brand in einem Haus ausbrechen. Der Feuerwehr fehlen offenbar Flächen, auf denen sie ihre Wagen mit Drehleitern aufstellen können.

Nach Beschwerden und einer Strafanzeige gegen Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne) hatten sich Vertreter der Senatsverwaltung, der Feuerwehr und der bezirklichen Bauaufsicht bereits im Oktober 2020 zur Ortsbesichtigung an den Pop-up-Radwegen getroffen. Doch geschehen ist seitdem nichts.

Als Problem gelten einige Abschnitte der Kantstraße, in denen Autoparkplätze zwischen den neuen, temporären Radstreifen und der Fahrbahn angelegt wurden, um die Radler vor dem motorisierten Verkehr zu schützen.

Die geparkten Autos würden Feuerwehrwagen im Wege stehen, sagt Hausverwalter Rolf Harms. Darüber hinaus könne die nun nur noch einspurige Fahrbahn die Rettungskräfte schon auf dem Weg zum Brandort behindern. Wegen des Mittelstreifens mit einem Zaun hätten Autofahrer keine Möglichkeit, auszuweichen.

Harms betreut selbst keine Immobilien in der Kantstraße, setzt sich aber für die Interessen eines befreundeten Hauseigentümers ein. Dieser „ältere Herr“ sei ein Architekt und kenne sich mit dem Brandschutz aus, habe ihn jedoch um Hilfe gebeten, weil ihm der Streit mit den Ämtern zu anstrengend geworden wäre.

Neun Monate nach Ortstermin „noch keine akzeptable Einigung“

Es gebe „immer noch keine akzeptable Einigung“ zwischen der Senatsbehörde und dem Bezirk, heißt es in einem Antwortschreiben, das die Bauaufsicht vor wenigen Tagen an Harms sandte.

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Ein beauftragter Sachverständiger habe laut Harms die Situation in der Kantstraße untersucht. Demnach sei in rund 35 Häusern mit insgesamt etwa 100 Wohnungen kein zweiter Rettungsweg gewährleistet, wenn die Feuerwehr die Menschen nicht per Drehleiter über Fenster und Balkone retten kann.

Hausverwalter: „Ich fahre liebend gerne Rad“

Im September 2020 stellte Harms die Strafanzeige gegen Senatorin Günther. Zwei Monate später lehnte die Staatsanwaltschaft die Einleitung eines Verfahrens ab. Nicht bei jedem rechtswidrigen Verhalten handele es sich um eine Straftat, hieß es. Außerdem sei die Staatsanwaltschaft nicht dafür zuständig, zu überprüfen, ob Brandschutzvorschriften befolgt werden. Dafür wäre eine Klage bei den zuständigen „Fachgerichten“ der richtige Weg.

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An sich habe er nichts gegen Radwege, betont Harms. „Ich fahre liebend gerne Rad.“ Über fehlende zweite Rettungswege dürfe man jedoch nicht hinwegsehen. Normalerweise spreche die Bauaufsicht in solchen Fällen ein „sofortiges behördliches Nutzungsverbot“ für Wohnungen oberhalb der dritten Etage aus.

FDP fordert sofortigen Rückbau des Pop-up-Radwegs

Die bezirkliche FDP-Fraktion sieht sich in ihrer Kritik an den Radstreifen bestätigt. „Unter dem Deckmantel von Pandemie und Verkehrssicherheit“ hätten der Senat und das Bezirksamt „die Betroffenen nicht ausreichend beteiligt“, sagte uns Fraktionschef Felix Recke. „Sowohl BVG als auch Feuerwehr haben frühzeitig deutlich gemacht, dass diese Planung so nicht verstetigt werden darf.“

Das ist auch keine Lösung: Der Pop-up Radweg auf der Kantstraße wird zum Parken genutzt, Radfahrende müssen ausweichen.
Das ist auch keine Lösung: Der Pop-up Radweg auf der Kantstraße wird zum Parken genutzt, Radfahrende müssen ausweichen.

© imago images/Sabine Gudath

Der Sinn der Radwege habe darin bestanden, Menschenleben im Verkehr zu schützen. „Wenn dies nun jedoch im Brandfall auf Kosten der Anwohner geht und wir sogar Menschenleben riskieren, muss der Pop-up-Radweg sofort zurückgebaut werden!“, fordert Recke. Die FDP hatte eigene Vorschläge zum Umbau der Kantstraße gemacht.

Innenverwaltung: Geschützte Radwege kein grundsätzliches Problem

Die Berliner Feuerwehr beantwortete Fragen des Tagesspiegels nicht direkt, sondern schaltete die Senatsverwaltung für Inneres mit ein. Deren Sprecherin Sylvia Schwab räumt ein, dass enge Fahrbahnen „insbesondere bei hohen Verkehrsdichten“ die „Anfahrt von Einsatzfahrzeugen erschweren“ und gegebenenfalls „zu Verzögerungen führen“. Richtig sei auch, dass „feste Installationen wie Poller oder Ähnliches die Ausweichmöglichkeiten anderer Verkehrsteilnehmer verringern“.

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Andererseits „stellen geschützte Radwege kein grundsätzliches Problem für die Berliner Feuerwehr dar“, heißt es aus der Innenverwaltung. Mit „intelligenten Steuerungen von Verkehrsströmen“ und „umfassenden Planungen im Vorfeld“ ließe sich die Situation verbessern. Bei einer „Überschreitung der technischen Möglichkeiten zur Gewährleistung des zweiten Rettungsweges“ über Leitern bitte die Senatsverkehrsverwaltung die Feuerwehr inzwischen regelmäßig um eine Stellungnahme – „so auch in der Kantstraße“.

Umwandlung „zeitnah“, bauliche Änderungen erst später

Praktische Lösungen scheint es aber noch nicht zu geben. Die federführende Verkehrsverwaltung bekräftigte nur ihr Vorhaben, die temporären Radstreifen in der Kantstraße (und andernorts in Berlin) „zeitnah“ in dauerhafte Radwege umzuwandeln. Dabei werde „der Bezirk alle Beteiligten einbeziehen“, darunter „selbstverständlich auch die Feuerwehr“. Für die Kantstraße seien zuerst neue Markierungen „ohne bauliche Änderungen“ geplant. Später könnten „aufwändigere Anpassungen“ folgen.

Bezirks-Verkehrsstadtrat Oliver Schruoffeneger (Grüne) ist derzeit im Urlaub. Sein Büro teilte auf Nachfrage lediglich mit, dass man „weiterhin im Gespräch“ mit der Senatsverkehrsverwaltung sei „zurzeit keine weiteren Angaben gemacht werden können“.

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