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Das Angebot an Gewerbeflächen kann mit dem wirtschaftlichen Wachstum nicht Schritt halten.

© Getty Images/iStockphoto

Wirtschaftliches Wachstum: Kein Land in Sicht

Berlin galt lange Zeit als Stadt der freien Räume. Heute suchen Firmen verzweifelt nach Gewerbeflächen.

Start-ups und Gründer – dank Brachen und leerer Bürohäuser hat Berlin sie in den vergangenen Dekaden angelockt wie keine andere Stadt Europas. Doch die Zeiten haben sich geändert: Die Konkurrenz um die seltener werdenden Leerstellen in der Stadt wird immer größer. So berichtete der Immobilienspezialist JLL in einer aktuellen Studie, der Leerstand in der Hauptstadt sei innerhalb eines Jahres um fast 20 Prozent auf 3,4 Prozent gesunken. Die Auswahl von Flächen für Unternehmen sei dementsprechend „sehr beschränkt“.

Der Berliner Unternehmer Steffen Lange, Chef der Kreuzberger Firma „Berliner Schrauben“, kennt die Auswirkungen der Flächenknappheit aus eigener Anschauung nur zu gut. Seine Firma sitzt in der Prinzenstraße und wächst dort stetig. Vor gut einem Jahrzehnt war das kein Problem. Anfang der 2000er Jahre habe der damalige Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne) ihn noch bekniet, vor Ort zu bleiben – und eine Erweiterungsfläche war für die Berliner Schrauben bald gefunden.

Nun stand wieder eine Expansion an. Aber die Zeiten sind schlecht für die wirtschaftlich so erfolgreiche Firma. Deren Währung sind Euro-Paletten. Auf dem Betriebshof in Kreuzberg ist Platz für 600 Paletten, „wir brauchen aber Lagerfläche für 5000“, sagt Lange. Aus dem Kiez fortzuziehen, sei keine Option: Seine Kunden sind Handwerker und Bauleute aus der Stadt. Die wollen in der Nähe einkaufen und zurück auf die Baustellen der wachsenden Stadt fahren.

Nur noch Flächen für Produktionsbetriebe

Nach zwei Jahren vergeblicher Grundstückssuche ist die Bilanz von Lange bitter: „Wir sind über den Senat gegangen, über den Bezirk – nichts“. Sogar in Adlershof sprach er vor, das Gebiet im Osten der Stadt hatte das Land ja eigentlich für Gewerbebetriebe wie seinen entwickelt. Handel unerwünscht, habe es aber dort geheißen. Nur für Produktionsbetriebe gebe es noch Flächen.

Die Politik ist sich des Problems durchaus bewusst. Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) warnt vor der „Flächenknappheit“ und fordert, „bei strategischen Grundstücksankäufen auch die Belange von Wirtschaft und Gewerbe zu berücksichtigen“. So soll künftig auch beim Verkauf von Gewerbeobjekten das „kommunale Vorkaufsrecht“ greifen, das den Bezirken den Zugriff auf Spekulationsobjekte erlaubt. 50 Millionen Euro seien in der Kapitalsammelstelle des Senats für Landesüberschüsse („Siwana“) reserviert für den Ankauf von Gewerbegrundstücken.

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Der Generalsekretär der Berliner CDU, Stefan Evers, wirft der Senatsverwaltung indes die Verschleppung geeigneter Gegenmaßnahmen vor: „Schon Andreas Geisel hätte in seiner Zeit als Stadtentwicklungssenator handeln müssen“. Eine wachsende Stadt bedeute eben nicht nur neuen Bedarf an Wohnungen, sondern eben auch an Gewerbeflächen. Bei der Planung neuer Quartiere müssten zugleich Räume für Läden, Büros und Manufakturen mitgedacht werden. Denn: „Wir brauchen keine überdimensionierten Schlafquartiere, sondern lebendige Stadtteile, in denen auch gearbeitet werden kann.“

Unternehmer Lange blieb letztendlich nichts anderes übrig: Er musste raus aufs Land: 11 000 Quadratmeter Baufläche auf dem Gewerbegebiet Mahlsdorf/Hoppegarten hat er gekauft. Er hat fünf Millionen Euro investiert um dort ein modernes Lager- und Bürozentrum aufzubauen. Auf 7000 Quadratmetern ist Platz genug für mehr als 6000 Paletten Schrauben, die der Berliner Händler „in China, Indien, oder wo auch immer günstige Angebote sind“, bestellt.

Den Standort in Kreuzberg gibt er dennoch nicht auf. „Das bleibt unsere Zentrale“. Aber Berlins Finanzsenator verliert rund die Hälfte der Gewerbesteuern ans Umland. Und weil die Schraubenfirma kein Einzelfall ist und Umlandgemeinden „Geld wie Heu haben, teeren die ihre Straßen nicht mehr, sondern pflastern sie“, sagt Lange – fehle nur noch der Überzug aus Edelmetall.

Zusätzlicher Verkehr

Und Berlin? Verliert nicht nur die Einnahmen, sondern muss außerdem noch den zusätzlichen Verkehr verkraften. Vier Mal die Woche rollen die Lkw der Berliner Schrauben von Hoppegarten nach Kreuzberg, um die Lager dort wieder aufzufüllen. Hinzu kommt die Entsorgung: Weil Holzabfälle in Brandenburg viel billiger verwertet werden als in Berlin, fahren Lkw mit Holzmüll raus.

Die umgekehrte Richtung nehmen sie zur Entsorgung des Plastikmülls – dessen Entsorgung ist in Berlin billiger. Kurios, denn dies- und jenseits der Landesgrenze nimmt derselbe Entsorger den Müll ab. Der Irrwitz muss enden, findet Lange: „Berlin und Brandenburg müssen sich zusammenschließen“. Nur so sei letztlich auch eine gerechtere Verteilung der Steuereinnahmen möglich ebenso wie eine koordiniertere Planung von Verkehrs- und Entsorgungswegen.

Gerade noch in Berlin, aber ganz nahe am Stadtrand ist das 150 Hektar große „Netzwerk Motzener Straße“. Kürzlich zogen zwei Firmen auf das Gebiet, ein Hersteller von Kunststoffteilen für die Autoindustrie aus Kreuzberg sowie ein Labor für Kosmetikstoffe aus Friedenau. Sie hatten Glück, weil das Netzwerk dicht ist und trotz Bitten und Drängen bisher nicht an Erweiterungsflächen herankam. Die eine am S-Bahnhof Bukower Chaussee will der Bezirk als Grünfläche erhalten, die zweite gehört einem Entwickler aus Österreich, der lieber Wohnungen bauen will, und die dritte Porta, der hier einen weiteren Möbeldiscounter hinstellen will.

„Die bezirkliche Wirtschaftsförderung berichtet immer wieder von Anfragen, aber wir haben keine Flächen mehr“, sagt Ulrich Misgeld vom Netzwerk. Allenfalls die frühere Klärwerkfläche der Wasserbetriebe käme infrage, aber „obwohl gleich um die Ecke die Maisfelder Brandenburgs anfangen, will der Bezirk hier das Grün erhalten“.

Dabei bieten die Netzwerkfirmen mehr als 3000 Arbeitsplätze, Klosterfrau braut hier ihren „Melissengeist“, Stollwerk verpackt Schokoladentafeln, Fensterprofile werden hier hergestellt und Maschinen gebaut – und obwohl die 200 „Start-ups“ teilweise schon 50 Jahre lang ihre Marktnische verteidigen, haben Land und Bezirk sie irgendwie am Stadtrand vergessen.

„Das Angebot an Gewerbeflächen hält mit dem wirtschaftlichen Wachstum nicht Schritt“, zieht Marion Haß von der Industrie- und Handelskammer Bilanz. Das Land müsse Vorsorge treffen – vom Büro- bis zum Industriestandort – und diese in einem Gewerbeflächenkataster erfassen. Funktionierende Gewerbestandorte dürften nicht durch „heranrückende Wohnbebauung beschnitten werden“. Immerhin: Das Anlegen eines Katasters hat Senatorin Pop für 2018 versprochen.

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