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Priesteranwärter liegen während ihrer Weihe zum Priester als Zeichen der Demut bäuchlings auf einem roten Teppich im Freiburger Münster.

© Rolf Haid/picture alliance /dpa

Katholische Kirche: Das Ende des Zölibats scheint möglich

Der massenhafte Missbrauch durch ihre Priester wirbelt die katholische Kirche völlig durcheinander. Viele sagen, es ist endlich Zeit zu handeln.

Die Missbrauchsstudie der Deutschen Bischofskonferenz, die im September 2018, veröffentlicht wurde, löste ein Beben aus: 3677 Opfer sexuellen Missbrauchs durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige, mindestens 1670Täter, die Hälfte der überwiegend männlichen minderjährigen Opfer zum Tatzeitpunkt jünger als 14 Jahre. Die Autoren der Studie, renommierte Wissenschaftler, hatten unter anderem den Zölibat als Teil problematischer Strukturen in der katholischen Kirche benannt, die Missbrauch befördern könnten. Seither wird in und außerhalb der Kirche intensiver als früher über die Rolle des Zölibats diskutiert. Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) fordert inzwischen die Abschaffung des Zölibats. „Es ist jetzt und nicht irgendwann die Zeit zum Handeln“, sagte ZdK-Präsident Thomas Sternberg. Das ZdK vertritt 24 Millionen katholische Laien. Aber auch innerhalb der Kirche wird nun über die Zukunft des Zölibats kontrovers diskutiert.

Was ist der Zölibat?

Zölibat bedeutet die Ehelosigkeit eines Weltpriesters sowie das Verbot von intimen sexuellen Kontakten. Er ist weltweit gültiges Kirchengesetz. Offiziell beginnt der Zölibat, wenn ein Priesterkandidat zum Diakon geweiht wird. „Er ist nicht bloß ein formales Gesetz nach dem Motto: Ich lebe ehelos, aber hinter der Pfarrhaustür mache ich, was ich will“, sagt Michael Menke-Peitzmeyer, Domkapitular des Bistums Paderborn und Leiter des Priesterseminars Paderborn. Allerdings sei der Zölibat kein sogenanntes göttliches Gesetz, das sich aus der Heiligen Schrift als Wort Gottes ableite. Jesus selber hat sich zu dem Thema übrigens nie direkt geäußert. Es gibt aber die Aussage des Apostels Paulus, der empfiehlt, dass Priester ehelos leben sollen – aber eben nicht müssen.

Kirchenrechtlich wird der Zölibat erstmals 306 nach Christus bei der Synode von Elvira in Grenada Thema. Dort wird die Ehelosigkeit von Priestern beschlossen. Allerdings beschränkte sich diese Synode auf die Vertreter von fünf iberischen Provinzen und hatte damit keine allgemeingültige Bedeutung. In den meisten Teilen der Welt wusste man gar nichts von diesem Beschluss. Beim zweiten Lateran-Konzil (1139) wurde zwar der weltweite Zölibat für Priester auf aller Welt beschlossen, doch zahlreiche Priester und selbst Bischöfe hielten sich nicht daran. Der Bischof von Basel soll danach 20 Kinder gezeugt haben. Selbst Papst Innozenz dem VIII. werden im 15. Jahrhundert 16 Kinder zugeschrieben. Jón Arason, der letzte römisch-katholische Bischof Islands in der Reformationszeit, war verheiratet und hatte drei Söhne.

Erst das Konzil von Trient (1545-1563) sorgte im Gefolge der Reformation für Klarheit. Dort wurde der Zölibat verbindlich für die Weltkirche offiziell als Kirchenrecht beschlossen. Das war auch eine Antwort auf die Reformationsbewegung von Martin Luther, der die Ehelosigkeit massiv angezweifelt und durch seine Heirat mit Katharina von Bora selbst die Konsequenzen gezogen hatte. Die Zölibatsverpflichtung von Trient bedeutete auch ein Symbol der Gegenreformation, stellte es doch konfessionell eine klare Abgrenzung zum Protestantismus dar. Allerdings spielten auch finanzielle Gründe eine Rolle. Wenn Priester nicht heiraten, gibt es auch keine Frau und keine Kinder, die erben könnten. Der Besitz eines Priesters – und mitunter waren das große Vermögen – blieb nach dessen Tod also im Besitz der Kirche. Zugleich wurde auch die Priesterausbildung standardisiert und professionalisiert. Die Ausbildung zum Pfarrer fand jetzt, fundiert durch theologische Studien, ausschließlich in Priesterseminaren statt. Seit dem Konzil von Trient – also seit mehr als 450 Jahren – gilt der Zölibat in unveränderter Form.

Wie denken die Bischöfe über den Zölibat?

Unterschiedlich. Das ist ja auch nicht anders zu erwarten. Der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck erklärte im Dezember, über den Pflichtzölibat für Priester müsse geredet werden. Overbeck hat sich aber auch für eine „Weiterentwicklung“ der katholischen Sexualmoral ausgesprochen. Die Kirche müsse die Frage beantworten, was Erkenntnisse aus anderen Wissenschaften zu Homosexualität und zu den Rollen von Mann und Frau für die Theologie bedeuteten. Homosexuelle Menschen dürften in keiner Weise diskriminiert werden. Die katholische Kirche weigert sich, homosexuelle Männer zu Priestern zu weihen.

Auch der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf sieht im Zölibat kein Dogma. Er sagte in einem Interview mit der Monatszeitschrift „Herder Korrespondenz“, „dass es in Zukunft andere Zugangsformen geben wird, wenn auch vielleicht nicht flächendeckend, da bin ich mir ziemlich sicher“. Bereits jetzt gebe es verheiratete Priester, etwa in katholischen Ostkirchen. „Ich glaube nicht, dass wir in dieser Zeit noch den Kopf in den Sand stecken können und sagen: ,Wir sitzen das Thema aus.’“

Selbst der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, der Münchner Kardinal Reinhard Marx, will die Ehelosigkeit von Priestern überprüfen lassen. „Wir müssen handeln“, sagte er. Die Kirche müsse sich als Reaktion auf den Missbrauchsskandal in einer ehrlichen Diskussion vielen Fragen stellen. Dazu gehörten „Machtmissbrauch und Klerikalismus, Sexualität und Sexualmoral, Zölibat und Ausbildung der Priester“. Allerdings sei „der Zölibat nicht die Ursache für Missbrauch, das ist absolut nicht der Fall“. Dennoch könne ein Leben in der Ehelosigkeit kombiniert mit bestimmten Schwächen einer Person zum Problem werden.

Dagegen verteidigt der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer den Zölibat. „Die Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen ist die Lebensform Jesu und der Apostel“, sagte er. Jeder Priesteramtskandidat wisse, dass die Kirche die freiwillige Annahme dieser Lebensform als Berufung zur Christusnachfolge zum Kriterium mache. So sieht es auch der Würzburger Bischof Franz Jung. In einer Predigt bei der Diakonweihe sagte Jung, er halte es für einen „Trugschluss zu meinen, mit einer solchen Forderung könne man den Missbrauch aus der Kirche verbannen“. Die Verpflichtung zum Zölibat könne zwar mit sich bringen, dass man sich nicht ausreichend mit der eigenen Sexualität auseinandersetze. Auch könne ein reifer Umgang mit der eigenen Sexualität verhindert werden. „Zölibat heißt aber nicht, dass man sich mit seiner Lebensform nicht lebenslang auseinandersetzen müsste und die Auseinandersetzung mit der Weihe ein für alle Mal abgeschlossen wäre.“

In Australien, wo ebenfalls Missbrauchsfälle das Land erschüttern, ist die Diskussion bereits einen Schritt weiter. Dort tritt der Nationale Priesterrat (NCP) für einen freiwilligen Zölibat ein. Auch in Belgien ist die Meinung klar: Im Oktober 2018 veröffentlichte die Belgische Bischofskonferenz auf ihrer Internetseite einen Artikel mit der Überschrift: „Verheiratete Männer, die zum Priestertum berufen sind? Die belgischen Bischöfe sind dafür“.

Fördert der Priestermangel die Diskussion?

Ganz sicher. Denn in vielen Gemeinden fehlen jetzt schon Priester. Häufig müssen pensionierte Pfarrer die Messen feiern. Im Paderborner Priesterseminar sind derzeit 31Seminaristen in der Ausbildung, „allerdings verteilt auf acht Jahrgänge“, sagt Seminarleiter Menke-Peitzmeyer. Zudem geschieht es immer wieder, dass einige Kandidaten ihre Ausbildung abbrechen, weil sie sich den Herausforderungen des Studiengangs oder der zölibatären Lebensform nicht gewachsen sehen. Im vergangenen Jahr wurden im Bistum gerade mal drei Männer zum Priester geweiht. Zum Abbau des Personaldefizits wäre die zehnfache Zahl nötig. Noch schlechter ist die Personalsituation in anderen Bistümern, vor allem im Norden und Osten Deutschlands. „Wir haben freilich auch einen erheblichen Rückgang an praktizierenden Katholiken“, sagt Menke- Peitzmeyer. Allerdings glaubt er nicht, dass die Zahl der Priesterkandidaten durch die Abschaffung des Zölibats beträchtlich ansteigen werden. „Dann hätte ich statt drei Priesterweihen vielleicht fünf.“

Wie steht der Papst zum Zölibat?

Das ist schwer zu sagen, Papst Franziskus äußert sich nicht eindeutig. 2017 erklärte er in einem Interview mit der „Zeit“ zum Thema Zölibat und Priestermangel: „Wir müssen darüber nachdenken, ob ,Viri probati' eine Möglichkeit sind.“ Dabei geht es um verheiratete Männer mit theologischer Qualifikation, die ein nach katholischen Maßstäben vorbildliches Leben führen. Sie dürfen bisher nicht zum Priester geweiht werden. Man müsse überlegen, sagte der Papst weiter, „welche Aufgaben sie übernehmen können, zum Beispiel in weit entlegenen Gemeinden“. Gleichzeitig betonte Franziskus, der „freiwillige Zölibat“ sei „keine Lösung“. Deutlicher wurde im Oktober 2018 Erzbischof Nikola Eterovic, der Vertreter des Vatikans in Deutschland. Er forderte angesichts des bisherigen Umgangs mit Sexualität im Priesterstand eine Debatte um die Verpflichtung zur Ehelosigkeit. „Der Zölibat ist kein Tabu“, sagte er der „Herder Korrespondenz“

Was bedeutete ein Ende des Zölibats?

Die Aufhebung des Zölibats, sagt Menke- Peitzmeyer, „wäre ein massiver Traditionsbruch“. Andererseits „wäre es kein Verstoß gegen göttliches Recht“. Auf jeden Fall würde das Ende des Zölibats innerhalb der Kirche ein Beben auslösen. Schon jetzt wird das Thema ja kontrovers diskutiert. „Wir haben zwei Fraktionen“, sagt Menke-Peitzmeyer, „Fortschrittliche und Konservative. Wenn die Diskussionen intensiver werden, müssen wir aufpassen, dass uns die katholische Kirche nicht auseinanderfällt.“

Der Paderborner Domkapitular selbst ist kein Dogmatiker. „Man muss schauen, was heute dran ist. Wir dürfen nicht vom Zölibat her auf die Kirche schauen, sondern von der Kirche auf den Zölibat. Es muss in jedem Fall gewährleistet sein, dass die Gottesdienste durch einen geweihten Priester gefeiert werden können. Sonst droht der Kirche das Aus.“ Der 54-Jährige hätte „keine prinzipiellen Probleme, wenn es neben zölibatären Priestern auch verheiratete Priester im Sinne der ,Viri probati’ gäbe“. Er war vor Kurzem an der Nordsee in einer Gemeinde, die von einem verheirateten ständigen Diakon betreut wird. „Ein wirklich tüchtiger Diakon, der locker mit Familie als Priester arbeiten könnte.“

Auch im Priesterseminar Paderborn werde das Thema Zölibat intensiv diskutiert. Allerdings gingen die aktuellen Seminaristen in ihrer Zukunftsplanung davon aus, dass der Zölibat bestehen bleibt. Unter dieser Voraussetzung seien sie überhaupt nur ins Seminar aufgenommen worden. „Aber ich kann mir vorstellen, dass bei einer Freistellung des Zölibats manche sagen: Dann überlege ich mir, ob ich heirate. Aber ich glaube nicht, dass zwangsläufig alle Männer heiraten würden. Denn es gibt auch eine Bereitschaft zu einem ehelosen Leben aus tiefen spirituellen Gründen.“

Wie würde das Ende des Zölibats beschlossen?

Der Papst müsste ein Konzil einberufen, bei dem die anwesenden Bischöfe über die Zukunft des Zölibats abstimmen würden. Aber das letzte Wort hätte dann immer noch der Papst als oberster Gesetzgeber der Kirche. Doch die Frage über die Zukunft des Zölibats würde mit großer Wahrscheinlichkeit erst dann auf einem Konzil geklärt, wenn ein breiter Konsens auf weltkirchlicher Ebene bestünde. Sonst drohte eine innerkirchliche Spaltung. Der Papst könnte aber die Ehelosigkeit auch nur für solche Regionen aufheben, in denen der Priestermangel besonders groß ist. Die Auseinandersetzung mit dieser komplexen Frage steht wohl auf der kommenden Amazonas-Synode im Oktober dieses Jahres auf der Tagesordnung.

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