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Berlin: Karl Bauer (Geb. 1926)

Die Besucher der Bauausstellung schauten bei ihm ins Wohnzimmer

Nach Karl Bauers Tod wird Christoph, sein Sohn am Hansaplatz von Obdachlosen angesprochen, die dort die „Motz“ verkaufen: Wie es denn dem Vater geht, sie hätten ihn so lange nicht gesehen. Da erfährt der Sohn, dass Karl regelmäßig sehr freundlich mit ihnen gesprochen hatte. Weil er wusste, was es bedeutet, arm zu sein, weil er es nie vergessen hat.

Seine Familie lebte in Farmsen, einem der Walddörfer im Nordosten Hamburgs, das nur dünn besiedelt war und den Kindern reichlich Auslauf im Grünen bot. Der Vater, ein Kupferschmied, wurde 1930 arbeitslos, das Geld war knapp. Im Garten konnten sie immerhin Obst und Gemüse anbauen. Die drei Kinder wurden auf die Mittelschule geschickt, die billiger war als das Gymnasium. Seinen ersten Schreibtisch nagelte Karl sich aus ein paar Holzlatten zusammen.

Während des Zweiten Weltkriegs blieb das Dorf von Bombenangriffen weitgehend verschont. Traumatisch wurde der Krieg für Karl erst, als er 1943 als Soldat eingezogen und an die Ostfront geschickt wurde. Da war er 17. Im Häuserkampf sah er sich plötzlich einem russischen Soldaten mit vorgehaltener Waffe gegenüber – und drückte ab. Sein Leben lang plagten ihn die Schuldgefühle.

Nach dem Maschinenbaustudium wurde er Unternehmensberater in einer Zeit, in der Unternehmen nicht „verschlankt“, sondern aufgebaut wurden. Er erklärte Geschäftsleuten in ganz Deutschland, mit welchen Maschinen die Produktion am besten zu organisieren sei. Und verdiente damit nicht viel. Er sparte am Essen und wurde sehr dünn. Die Freiheit aber, die das Umherreisen für ihn bedeutete, wog solche Einschränkungen bei Weitem auf.

Die Zeiten wurden besser, als er mitsamt Frau und zwei Kindern nach Berlin kam. Karl hatte eine Anstellung beim Baustoffunternehmen Eternit gefunden und mit der Familie eine Dienstwohnung im Eternit-Haus bezogen, einem Edel-Sozialbau im Hansaviertel. Das Haus war für die Internationale Bauausstellung 1957 gebaut worden. Renommierte Architekten sollten hier erstmals komfortable Sozialwohnungen errichten – eine schwierige Sache angesichts des knappen Geldes, das der Staat für den Bau bereitstellte. Gemessen daran war die Wohnung fürstlich: fast hundert Quadratmeter mit riesiger Terrasse. Das Einzige, was störte, waren die Besucher der Bauausstellung, die von einer Seilbahn aus ins Wohnzimmer schauten.

Und Karls Aufstieg ging weiter: als rechte Hand des Eternit-Vorstandes nahm er ab Mitte der sechziger Jahre an vielen Geschäftsterminen teil, bei denen das Feiern nicht zu kurz kam. Die Familie leistete sich nun Auslandsreisen und ein Ferienhaus mit riesigem Gartengrundstück in der Lüneburger Heide. Nur Karls gelegentliche Alkoholexzesse warfen einen Schatten auf die Harmonie. Vielleicht war es da sogar ein Glück, dass die Ärzte einen Leberschaden entdeckten. Es gelang Karl, sich fortan zurückzuhalten – mit wenigen Ausnahmen.

Die gute Zeit nahm schlagartig ein Ende, als die Tochter Claudia mit nur 23 Jahren an Tuberkulose und einer Gehirnhautentzündung starb. Karl war ein stiller Mann, der nie über Gefühle sprach. Umso eindrucksvoller die Erinnerung des Sohnes, wie Karl verzweifelt weinend an die Treppe der Maisonette-Wohnung schlug, weil er den Tod der geliebten Tochter nicht verkraftete. Um die zwei Kinder, die sie hinterließ, kümmerten sich Karl und seine Frau Christiane mit Hingabe. Bis sie sich mit dem Schwiegersohn über Erziehungsfragen zerstritten und der Kontakt abriss. Resignation wurde nun zum bestimmenden Lebensgefühl.

In den letzten zehn Lebensjahren pflegte Karl seine kranke Frau, er putzte, wusch, kochte und kaufte ein. Hilfe wollte er nicht annehmen, obwohl er, selbst schon über 80 Jahre alt, heillos erschöpft war. Als seine Leber ihm den Dienst versagte, sorgte er sich vor allem um Christiane: Wer sollte sich nun um sie kümmern? „Ein stiller Held“ schrieb sein Sohn in die Todesanzeige. Candida Splett

Candida Splett

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