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Rollstuhlfahrer haben es an Bahnhöfen nicht leicht.

© dpa/Andreas Arnold

Kaputte Aufzüge, E-Scooter, Schlaglöcher: „Barrierefreiheit ist im Berliner Stadtraum wirklich nicht gegeben“

Menschen mit Behinderung begegnen im Alltag vielen Problemen. Berlin bemüht sich zwar, die Situation zu verbessern. Doch die Bürokratie macht es Betroffenen schwer.

Wenn Thomas Seerig alleine zum Arzt geht, scheitert er manchmal schon an der einen Stufe, die sich vor dem Eingang des Gebäudes befindet. Der 63-Jährige ist Leiter der Fokusgruppe Mobilität des Berliner Behindertenparlaments und Vorstandsmitglied in der Landesvereinigung Selbsthilfe Berlin.

Seerig ist gehbehindert und manchmal sogar auf einen Rollstuhl angewiesen. Für ihn sind Treppenstufen ein alltägliches Problem. Er selbst bemerkt immer wieder, wo es in der Hauptstadt an Barrierefreiheit fehlt.

Schon der Gang durch die Innenstadt ist für behinderte Menschen eine Herausforderung. E-Scooter sind nicht nur für Rollstuhlfahrer ein Hindernis, sondern auch für Blinde schwer zu erkennen. Ein Blindenstock rollt schnell an den dünnen Elektrorollern vorbei, und selbst wenn er den Scooter erfasst, bleibt dieser eine Stolpergefahr. „Barrierefreiheit ist im Stadtraum wirklich nicht gegeben“, sagt Seerig.

Thomas Seerig engagiert sich beim Berliner Behindertenparlament und fordert mehr Barrierefreiheit.
Thomas Seerig engagiert sich beim Berliner Behindertenparlament und fordert mehr Barrierefreiheit.

© Thomas Seerig

Für die E-Scooter schlägt er mehr feste Abstellplätze vor. Dem Ordnungsamt solle es außerdem möglich sein, herumliegende Roller wegzuräumen und den E-Scooter-Unternehmen Bußgelder dafür aufzuerlegen. Diese könnten die Strafen dann an die betreffenden Kunden weitergeben, meint Seerig.

Viele Hindernisse im Alltag ließen sich aber auch schwer ausräumen. Die Tische und Stühle der Außengastronomie beispielsweise stünden oft bis kurz vor der Bürgersteigkante, weil direkt vor den Restaurants zu wenig Platz sei, erklärt Seerig.

Für blinde und gehbehinderte Menschen seien auch Schlaglöcher, Kopfsteinpflaster oder unebene Platten auf dem Gehweg schwer zu überwinden. „Der Prenzlauer Berg hat zum Beispiel total kaputte Bürgersteige“, berichtet er. Auch die unterschiedlich gepflasterten Einfahrten vor Gebäuden seien ein Problem für viele Behinderte.

Die größten Schwierigkeiten bereiten behinderten Menschen aber weiter Bahnhöfe und -stationen. Beim Ein- und Aussteigen sei meist eine Lücke zwischen Zug und Bahnsteigkante, bei den Zügen der Deutschen Bahn auch noch eine Treppe.

Noch komplizierter zu überwinden sind für Thomas Seerig aber auch hier die Treppenstufen an den Bahnhöfen. Es gebe zwar fast immer Aufzüge an den Bahnstationen der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG), diese seien aber häufiger außer Betrieb oder überfüllt.

Barrierefreiheit ist im Stadtraum wirklich nicht gegeben.

Thomas Seerig, Leiter der Fokusgruppe Mobilität des Berliner Behindertenparlaments

Laut eigenen Angaben betreibt die BVG insgesamt 198 Aufzüge an ihren Stationen. 98 Prozent davon seien momentan funktionstüchtig, Ausfälle, die länger als 24 Stunden dauerten, mittlerweile selten. Acht U-Bahnhöfe seien sogar über Rampen stufenlos zugänglich. Die BVG habe zudem „jederzeit im Blick, dass Barrierefreiheit weit mehr ist als ein stufenloser Zugang“.

Ein wichtiger Punkt: Nicht nur Rollstuhlfahrer und Gehbehinderte stoßen im Alltag auf erhebliche Probleme. Viele Situationen erfüllen nicht das sogenannte Zwei-Sinne-Prinzip, was dafür sorgen soll, dass zwei der drei Sinne Hören, Sehen und Tasten angesprochen werden. So sollten Produkte beispielsweise öfter mit Brailleschrift versehen oder Alarmierungen in Gebäuden hör- und sichtbar sein, etwa durch Warnlichter oder -tafeln.

Das sei aber bei Bahnhöfen zum Beispiel schon nicht umzusetzen, sagt Thomas Seerig. „Nicht jede einzelne Lautsprecheransage kann auch auf einem Schild stehen.“ Gerade deswegen sollten zumindest staatliche Einrichtungen hier Vorbild sein, fordert er. Einmal sei er in ein Behördengebäude mit einer Rampe am Eingang gekommen, die ein niedriges Geländer hatte. Dieses sei aber beim Gehen wiederum zu tief gewesen – und die Rampe daher für ihn unbrauchbar.

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Es gibt eine gesetzliche Mindestquote für Arbeitgeber mit über 60 Mitarbeitern für die Beschäftigung schwerbehinderter Menschen. Diese liegt bei fünf Prozent, das Land Berlin hat sie in den vergangenen Jahren sogar überschritten. 2021 lag die Quote hier bei gut sieben Prozent.

Die Zahl sei aber verzerrt, bemängelt Seerig: Ein Grad der Behinderung von 50 reiche aus, um als schwerbehindert zu gelten. Dadurch flössen auch diejenigen in die sieben Prozent mit ein, deren Behinderung beispielsweise nur der Verlust eines Hodens sei.

Durch das neue Bundesteilhabegesetz haben Menschen mit Behinderung einen Rechtsanspruch auf Assistenz. Das Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales stellt dafür einen 13-seitigen Antrag bereit, „der so kompliziert ist, dass man dafür schon Assistenz braucht“, kritisiert Seerig.

Dieser Antrag fordert zum Beispiel von Diabetikern eine Kopie des Blutzucker-Tagebuchs der vergangenen drei Monate und drei Einwilligungserklärungen zum Datenschutz. Der Bearbeitungszeitraum des Antrags kann bis zu 163 Tage dauern, teilt das Landesamt auf seiner Website mit.

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