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Knappes Gut. Angesichts der prekären Lage des Berliner Wohnungsmarktes gab es auch am Sonntag wieder eine Demonstration gegen Verdrängung und für eine andere Mietenpolitik.

© imago/Christian Ditsch

Kampf um jede Wohnung: Wie es in der Rigaer Straße 94 weitergehen könnte

Legalisieren oder räumen? Lesen Sie hier mehr über die Geschichte besetzter Häuser in Berlin.

Am Ende erklärte das Berliner Kammergericht die Räumung für rechtswidrig. Kommt einem bekannt vor, doch um die Rigaer Straße 94 ging es nicht. Betroffen war das Haus „Yorck59“ in der Kreuzberger Yorckstraße. Das Urteil des Kammergerichts war eine Ohrfeige für den Eigentümer – und die Polizei. Bei der Räumung seien die Beamten rechtswidrig vorgegangen, weil der Eigentümer nicht gegen alle Mieter und Untermieter gültige Räumungstitel erwirkt hatte.

Für die Besetzer war das höchstrichterliche Urteil vom Ende 2008 zwar eine späte Genugtuung; an der faktischen Lage änderte es nichts. Denn das lange umkämpfte Haus, das der Verfassungsschutz „eines der letzten Symbolobjekte der linksextremistischen Szene Berlins“ nannte, war bereits am Morgen des 6. Juni 2005 von 500 Polizisten geräumt worden.

Verhindern konnten das weder die hunderte Unterstützer, die mit einer Sitzblockade den Zugang versperrten, noch eine Öffentlichkeitskampagne der Besetzer, um Druck für eine politische Lösung zu machen. Es gab Demonstrationen, Aktionen und sogar eine Besetzung der Parteizentralen von SPD und Linkspartei, die 2005 in Berlin regierten. Auch eine Zeitungsbeilage, die in fünf überregionalen Zeitungen erschien, warb vergeblich für die Erhaltung des linken Hausprojekts. Auch wenn 2008 der Spruch des Gerichts für die Besetzer der „Yorck59“ zu spät kam, gab es doch für sie zumindest eine Art Happy End: Die Gruppe besetzte danach einen Flügel des ehemaligen Bethanien-Krankenhauses in Kreuzberg. Erst gab es eine Duldung durch das Bezirksamt; später wurde die Besetzung dauerhaft legalisiert, weil das Bezirksamt auf den vorgesehenen Verkauf des Hauses verzichtete.

Vielfach verkauften die neuen Besitzer

Für die „Rigaer94“ könnte der vergangene Woche bejubelte Sieg vor Gericht dagegen tatsächlich der Anfang vom baldigen Ende gewesen sein. Viel spricht dafür, dass sich der Eigentümer in einer neuen Verhandlungsrunde durchsetzen kann, weil es keinen Mietvertrag für die umstrittenen Gebäudeteile gibt. Der Konflikt um die „Yorck59“ verdeutlicht aber, welche rechtlichen Hürden es für die Beendigung einer Besetzung oder halblegalen Inbesitznahme eines Hauses gibt. Der Eigentümer kann nicht einfach bei der Polizei eine Räumung bestellen, sondern hat sich an die Gesetze zu halten. Und dies gibt dem „Besitzer“ einer Sache, nämlich den in einem Haus lebenden Bewohnern, einen rechtlichen Schutz. Das gilt selbst dann, wenn das Haus besetzt wurde oder nie ein Mietvertrag bestanden hat. Das gilt erst recht, wenn es tatsächlich Mietverträge für das Haus bestehen, wie es in der Rigaer Straße 94 der Fall ist.

Im ehemaligen Ost-Berlin, wo es nach dem Mauerfall eine Welle von Hausbesetzungen gab, wurden Besetzern nämlich schon 1990 von der DDR-Wohnungsbaugesellschaft WBM Mietverträge angeboten. Die Bewohner in den allermeisten Häusern nahmen das Angebot an und legalisierten damit die Besetzung. Die Hausprojekte hingegen, deren Aktivisten das Angebot ablehnten, weil es ihnen vor allem um einen politischen Kampf gegen das kapitalistische „Schweinesystem“ ging, wurden später geräumt. Deswegen gibt es formal kein besetztes Haus mehr in Berlin – allerdings einige umkämpfte Häuser, wie etwa die Rigaer Straße 94.

Die Geschichte der ehemaligen Hausbesetzungen in Ost-Berlin lehrt freilich, dass auch ein Mietvertrag nicht dauerhaft schützt. Dazu trug auch die besondere historische Situation nach dem Mauerfall bei. Viele der von der WBM verwaltete Altbauten wurden nach der Wende an Alteigentümer übertragen – mitsamt den ehemaligen Besetzern als Mieter. Vielfach verkauften die neuen Besitzer – Nachfahren vertriebener und ermordeter Berliner Juden, in der DDR enteigneter Unternehmer oder auch von „Republikflüchtlingen“ – die Häuser weiter, zuweilen, nachdem sie sich jahrelang nicht um ihr neues Eigentum gekümmert hatten. Alle Konflikte der vergangenen Jahre um ehemals besetzte Häuser entzündeten sich an der Frage, ob die einst mit der WBM abgeschlossenen Mietverträge noch Gültigkeit haben. Bei der 2008 geräumten „Brunnen 183“, gegenüber dem Weinmeisterpark in Mitte, prozessierte sich der neue Eigentümer durch alle Instanzen und bekam am Ende seinen Willen.

Wie ein Fremdkörper in der schicken Gegend

Andere Hausprojekte trotzten dagegen erfolgreich den räumungswilligen Eigentümern. Projekte wie etwa der „Schokoladen“ in der Ackerstraße 169 in Mitte, konnten sich die Existenz sichern, weil sie öffentliche Fürsprecher fanden, die nach alternativen Lösungen suchten. Das alternative Kulturhaus „Schokoladen“, wo es Konzerte, Theater und Lesungen gibt, konnte 2012 mit Hilfe des Senats erreichen, dass der Eigentümer ein Ersatzgrundstück erhielt und eine gemeinnützige Stiftung das bedrohte Haus übernahm.

Auch andere Häuser, selbst einige, die weiterhin eine antikapitalistische und autonome Attitüde pflegen, konnten sich mittels gemeinnütziger Stiftungen retten. Der Rigaer Straße 78, deren bunte Fassade noch an alte Punk-Zeiten erinnert, half das nicht-kommerzielle „ Mietshäuser-Syndikat“. Die „Liebig15“ wiederum wurde von der Baugenossenschaft „Bremer Höhe“ gekauft, die mit den Ex-Besetzern sehr günstige Mieten vereinbarte.

Auch das Hausprojekt „Linie206“ in der Linienstraße in Mitte kämpft seit nahezu 20 Jahren gegen die Versuche wechselnder Eigentümer, die unerwünschten Bewohner aus dem Haus in bester Lage nahe des Rosenthaler Platzes herauszuklagen. Ende Mai gelang den jetzigen Eigentümern dabei ein Teilerfolg: Wie jetzt in der Rigaer Straße wurden unter Polizeischutz zwei Wohnungen in dem Haus geräumt, dessen parolenübersäte und unrenovierte Fassade heute wie ein Fremdkörper in der schicken Gegend wirkt.

Nur der mühsame Rechtsweg wird bleiben

Erfolgreich waren die Eigentümer der „Linie206“ vor Gericht, weil sie nachweisen konnten, dass die Personen, die den Mietvertrag einst unterschrieben, längst nicht mehr im Haus wohnen. Genau diesen Nachweis für jede einzelne Wohnung zu führen, ist der zwar ziemlich mühselige, aber rechtlich einwandfreie Weg, um Zugriff auf ihr Eigentum zu erlangen.

Hier zeigt sich die Schwachstelle der einstigen Vereinbarung zwischen der Wohnungsbaugesellschaft WBM und den Besetzern, mit der 1990 der Ost-Berliner Magistrat in den Wirren der untergehenden DDR die Häuser legalisieren wollte. Zehn Jahre zuvor war man im damaligen West-Berlin, wo zur Hochzeit der Bewegung 165 Häuser besetzt waren, noch einen anderen Weg gegangen. Bei der Legalisierung gingen die meisten Häuser komplett in das Eigentum von Selbsthilfegruppen oder Baugemeinschaften über. Ob die Bewohner in den Häusern über die Jahre wechselten, spielte deshalb keine Rolle.

Auch in der Rigaer Straße 94, wo ebenfalls Mietverträge mit der WBM vereinbart wurden, wird den derzeitigen Eigentümern nur der mühsame Rechtsweg bleiben. Er muss für jede einzelne Wohnung die Rechtmäßigkeit und Fortbestand des Mietvertrags überprüfen und feststellen, ob die damaligen Vertragspartner noch in der Wohnung leben, oder längst andere Personen eingezogen sind. Diese Klärung kann dauern. Die Bewohner der Rigaer Straße 94 haben aber selbst dazu beigetragen, dass ihre Situation so prekär ist. Nach jahrelangen Auseinandersetzungen mit dem damaligen Eigentümer bot sich 2013 die Chance, dass die gemeinnützige Edith-Maryon-Stiftung das Haus kauft und den Bewohnern überlässt. Das scheiterte an der „mangelnden Kooperation der Hausbewohner_Innen“, wie sie selbst auf ihrer Homepage schreiben: „Die Bewohner_Innen entscheiden sich für die Fortsetzung des Kampfes und gegen die Befriedung.“

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