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Vor dem jüdischen Gemeindezentrum Rohr Chabad in Wilmersdorf stapeln sich die Spenden.

© Jörn Hasselmann

Flucht aus der Ukraine nach Berlin: Jüdisches Zentrum in Wilmersdorf erwartet 120 Waisenkinder

Kinder und Betreuer aus einem Waisenhaus in Odessa sind bald in Berlin. Hier wartet enorm viel Hilfe auf sie - aber auch manches Problem.

Windeln? Hierhin! Lebensmittel? Nach hinten! Im Minutentakt kommen Menschen mit Tüten, Säcken, Kartons. Mitarbeiter beordern die Spenden an die richtige Stelle. Am Donnerstagmittag ist das jüdische Bildungszentrum Rohr Chabad in Wilmersdorf außen zum Teil meterhoch mit Kartons umstellt. Sonst ist das Haus, wie alle jüdischen Einrichtungen, streng von der Polizei gesichert, nun steht das Tor weit offen, jeder ist willkommen.

Die Welle der Hilfsbereitschaft sei ausschließlich durch Mundpropaganda und Whatsapp-Gruppen ausgelöst worden, berichtet Jana Erdmann, Sprecherin des Bildungszentrums. Vor ihrer Bürotür, im großen Saal, sortieren ein Dutzend Helfer die Spendenberge, die es schon von draußen nach drinnen geschafft haben.

Schnell hat sich in der Gemeinde herumgesprochen: In der Nacht zu Freitag kommen mehrere Busse aus der Ukraine an – an Bord etwa 120 Kinder und 30 Begleiterinnen aus einem Waisenhaus der Gemeinde Mishpacha Chabad in Odessa. Am Mittwoch hatten sich die Menschen aus der Großstadt am Schwarzen Meer auf den 2000 Kilometer langen Weg nach Berlin gemacht, um einem Angriff von Putins Armee zu entgehen.

„Bitte keine Sachspenden mehr“, sagt Jana Erdmann am Telefon und klingt dabei halb glücklich und halb erschöpft. „Wir haben so einen enormen Zulauf an Sachspenden bekommen“ – und nicht nur das: Auch Quartiere für die ersten ein, zwei Wochen seien dank hilfsbereiter Gemeindemitglieder gefunden. Die Kinder werden zunächst ein Hotel in der West-City beziehen. Auch ein Heim des Deutschen Roten Kreuzes in Wannsee bot Hilfe an.

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Dringend gebraucht werde – abgesehen von bestimmten Lebensmitteln wie Wasser, Säften und koscheren Süßigkeiten – nur noch Geld, um die Kinder und ihre Betreuer zu verpflegen. „Die essen alle koscher“, sagt Erdmann, das sei logistisch aufwendig und teurer beim Einkauf.

Für weitere Hilfe und die Frage, wo die Geflüchteten nach den ersten Wochen bleiben könnten, stimme man sich gerade mit dem Senat ab. Über die Kinder selbst wisse man bisher wenig. Ein wenige Wochen altes Baby sei dabei, ein paar Geschwister, eine Großmutter als Betreuerin.

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„Es ist noch eine lange Fahrt, aber sie sind in der EU und werden herzlich von uns erwartet“, sagt Rabbiner Yehuda Teichtal, Vorsitzender von Chabad Berlin. „Wir konnten eine Unterkunft für die erste Woche sichern und durch die großartige Hilfe aus der Gemeinde genug Sachspenden sammeln.“ Chabad Berlin arbeite in Abstimmung mit dem Berliner Senat und der Bundespolizei.

Der Chefrabbiner von Odessa und der Südukraine, Abraham Wolff, sprach am Mittwoch von fünf Bussen, die in der Hauptstadt der Republik Moldau, Chisinau, angekommen seien. Die Reise sollte ohne größere Pausen zügig durch Rumänien, Ungarn und Tschechien fortgesetzt werden. An Bord eines der Busse war der Rabbinersohn Mendi Wolff. Sein Vater Abraham Wolff sagte der dpa: „Vor 70 Jahren ist mein Großvater vor den Nazis aus Deutschland geflohen – jetzt tritt mein Sohn die Reise in umgekehrter Richtung an.“

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