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Der Siemens-Turm im Technopark am Nonnendamm im Bezirk Spandau.

© Wolfgang Kumm/picture alliance/dpa

Investitionsprojekt in Berlin: Siemensstadt wird zum "Zukunftsort"

Bis zu 600 Millionen Euro will der Technologiekonzern in ein neues Quartier investieren. Der Senat will das Projekt mit wohlwollender Förderpolitik begleiten.

Wenn Politiker oder Manager von „Zukunft“ sprechen, ist damit in der Regel etwas Gutes gemeint. Die Zukunft ist ja noch nicht geschrieben, da kann man noch keine Millionen verbrannt haben. Noch ist jeder Erfolg denkbar und möglich! Verbunden mit dem Wörtchen „Ort“, wirkt das sogar noch solider, bodenständiger, gibt Halt in den unübersichtlichen Zeiten der digitalen Revolution. Insofern ist das Kunstwort „Zukunftsort“ ein geradezu geniales Wort. Auch wenn kaum jemand weiß, was es eigentlich genau bedeuten soll.

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Den meisten Berlinern dürfte bisher entgangen sein, dass der Senat bestimmte Areale innerhalb der Stadt, an denen Wissenschaft, Forschung und Industrie mustergültig zusammenarbeiten, als „Zukunftsorte“ definiert hat – und diese im In- und Ausland als solche vermarktet. So gilt der Biotech-Campus Buch als ein solcher Ort, genau wie das FUBIC, das Gründungszentrum der FU in Dahlem.

Auch Deutschlands größter Technologiepark in Adlershof trägt diesen rätselhaften Titel, genau wie bereits sieben weitere Stätten, von denen man einige eher „Zukunftsmusikorte“ nennen sollte, so wie den Flughafen Tegel, wo nach Plänen erst in Jahren „Berlin TXL – The Urban-Tech-Republic“ entstehen soll. Oder das Flughafengebäude in Tempelhof.

Am Montag soll der 11. Ort in diesen Stand befördert werden: Die „Siemensstadt 2.0“, jenes im vergangenen Herbst vorgestellte Investitionsprojekt, mit dem man nicht nur im Senat und der Chefetage des Siemens-Konzerns große Hoffnungen verbindet. Die Mitglieder des „Steuerungskreises Zukunftsorte“ wollen den symbolischen Akt am Nachmittag auf ihrem Treffen bei der Senatsverwaltung für Wirtschaft beschließen.

Mit am Tisch in Schöneberg sitzen neben Staatssekretärin Barbro Dreher als Gastgeberin unter anderem die Standortverantwortlichen aller bisherigen „Zukunftsorte“, sowie Vertreter der Industrie- und Handelskammer (IHK), der Standortmarketingagentur Berlin Partner sowie der „Geschäftsstelle Zukunftsorte“.

Berlins Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne).
Berlins Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne).

© Mike Wolff

„Gemeinsam mit Siemens wollen wir an diesem traditionsreichen Standort Zukunft gestalten“, erklärt Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) den Schritt. Diese Zukunftsorte mit ihren attraktiven Flächen für technologie- und wissensorientierte Unternehmen böten Raum für innovative Ideen und Kreativität, meint sie. „Sie sind ein entscheidender Baustein, um Berlin als Standort für moderne Zukunftsindustrien und -technologien weiter zu stärken.“

Oder auf den Punkt gebracht: Die Landesregierung will Investoren zeigen, wo es langgeht. Also, wo genau in Berlin sie ihr Geld und ihre Ideen hinbringen sollen.

In der Standortförderpolitik gibt es nämlich ein paar Naturgesetze, zumindest Erfahrungswerte. So verhält es sich bei der Ansiedlung neuer Forschungslabore oder Technologieunternehmen, die jede Stadt gern hätte, wie mit Öltropfen auf einer glatten Wasseroberfläche: Sie ziehen sich zusammen. Ähnlich diesem Prinzip der Koaleszenz suchen vor allem kleine und besonders innovative Firmen die geografische Nähe zu ihresgleichen. Die Chance auf einen für beide Seiten fruchtbaren Austausch von Ideen und mitunter auch Mitarbeitern wiegt für sie schwerer als das Risiko von Betriebsspionage durch Konkurrenten. Insofern ergibt es Sinn, neuen und noch kleinen „Firmentropfen“ mit einem Label wie „Zukunftsort“ zu signalisieren, wo sie schnell und gut andocken können.

Ein Signal von Siemens

Dieses Prinzip ist eines der Erfolgsgeheimnisse des Technologieparks Adlershof, wo bisher zwar kein Großunternehmen wie Zalando (heute in Kreuzberg und Friedrichshain) sitzt, hingegen aber mehr als 1000 Unternehmen, von denen ein paar das Potenzial haben, die Welt auf den Kopf zu stellen. Man wird sehen, inwieweit der Versicherungskonzern Allianz, der bald mit rund 2700 Mitarbeitern nach Adlershof zieht, die Chemie an diesem „Zukunftsort“ verändert.

Die Siemens AG, einer der größten Technologiekonzerne der Welt mit Hauptsitz in München, wurde einst in Berlin als Ingenieurbüro gegründet (und residierte übrigens zeitweilig im heutigen Tagesspiegel-Verlagshaus am Askanischen Platz). Er ist heute mit rund 11.400 Mitarbeitern der bedeutendste industrielle Arbeitgeber in Berlin. Zugleich ist die Stadt der weltweit größte Siemens-Fertigungsstandort. Hier baut das Unternehmen zum Beispiel Industriedynamos und die größte Klasse von Gasturbinen für Kraftwerke in aller Welt zusammen.

Cedrik Neike, Mitglied des Vorstands der Siemens AG.
Cedrik Neike, Mitglied des Vorstands der Siemens AG.

© Carsten Koall/dpa

Im vergangenen Herbst hatte Siemens bekannt gegeben, dass man auf dem historischen Gelände der Siemensstadt in Spandau nördlich der Nonnendammallee in den kommenden Jahren bis zu 600 Millionen Euro investieren will. Es soll ein neues Quartier entstehen, das so wohl einmalig ist.

„Dort wo vor mehr als 100 Jahren das Leben, Wohnen und Arbeiten vereint wurde, soll nun ein lebenswerter, offener Kiez der Zukunft entstehen. Hier möchten wir die Entwicklung und Produktion von Innovationstechnologien mit einem neuartigen Wohnquartier verknüpfen“, sagt Cedrik Neike, der als Mitglied im Siemens-Konzernvorstand mitverantwortlich ist dafür, dass diese Rieseninvestition in Berlin getätigt wird – und nicht in einer der Mega-Citys Asiens, die ebenfalls zur Debatte standen.

Sich zum „Zukunftsort“ küren zu lassen ist auch ein Signal von Siemens, dass man sich hier nicht hinter Mauern verstecken will, sondern öffnet für kleine, externe Partner. Das entspricht auch der Strategie von Vorstandschef Joe Kaeser, der oft genug deutlich gemacht hat, dass Siemens offener und flexibler werden muss, soll sein Riesenkonzern nicht von irgendeiner fixen Idee eines Start-ups vom Markt gefegt werden. Siemens will das Gras wachsen hören. Auch in Berlin.

Adlershof wächst ordentlich

Wahr ist aber auch: „Die Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe steuert die Initiative, um die Stärken der Zukunftsorte zu bündeln und in einer gemeinsamen Innovationsmarke sichtbar zu machen“, wie es aus Pops Verwaltung heißt. Beauftragt hat sie damit Roland Sillmann, den Chef der Wista, der Betreibergesellschaft des mit Abstand größten „Zukunftsortes“ in Adlershof. Er hat die „Geschäftsstelle Zukunftsorte“ aufgebaut.

Damals, Ende 2017, sagte Pops mittlerweile geschasster Staatssekretär Henner Bunde (CDU), dass neben Adlershof auch die anderen Zukunftsorte über ein Wachstumspotenzial verfügten, „das nicht nur gefördert, sondern vor allem noch sichtbarer werden muss.“

Kurzum: Er hatte also den Star unter den Zukunftsort-Verwaltern damit beauftragt, auch Berlins andere Sterne endlich heller leuchten zu lassen. Dass kann klappen, muss aber nicht.

Sillmann argumentiert, der Erfolg gäbe ihm recht: Seit 2015 wächst Adlershof jährlich um zehn Prozent. Zielgerichtete Kooperation von Wissenschaft und Unternehmertum führten zu wirtschaftlichem Wachstum. „Wir, die landeseigene Wista Management GmbH, haben in 27 Jahren viel Wissen erworben. Wir bringen uns bereits heute mit unserer Erfahrung als Dienstleister, Projektierer und Immobilienentwickler ein, wo wir im Auftrag des Landes Berlin tätig sind.“ Die elf Berliner Zukunftsorte würden dazu beitragen, Innovationen und damit die Wettbewerbsfähigkeit der regionalen Wirtschaft zu fördern. Die Berliner Politik habe die Wista daher mit dem Aufbau einer Geschäftsstelle beauftragt, um diese Orte noch erfolgreicher als bisher zu machen.

Ob die Weltmarke Siemens von diesem Label „Zukunftsort“ profitiert, oder doch eher Berlins andere „Zukunftsorte“ davon, dass sie in einem Atemzug mit Weltmarke Siemens genannt werden, wird die Zukunft zeigen. Bestenfalls profitieren beide.

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