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David Bowie während eines Konzerts im Jahr 2003.

© picture alliance

Interview mit David Bowie: „Ich denke oft, Brecht hätte das so gemacht“

Er war drogensüchtig, pleite, und eine andere Rocklegende aß ihm den Kühlschrank leer. Was David Bowie dem Tagesspiegel 2002 über seine Berliner Jahre erzählte.

David Bowie und Berlin - das war eine besondere Beziehung. Zum fünften Todestag des weltberühmten Künstlers publizieren wir hier das Gespräch aus dem Jahr 2002 noch einmal.

Wen würden Sie gerne wiedertreffen, wenn Sie nächste Woche in Berlin sind?

Edgar, ich würde gerne Edgar sehen.

Edgar?

Edgar Froese von Tangerine Dream. Ein sehr netter Kerl. Edgar und seine Frau haben mir wirklich geholfen, als ich in Berlin lebte. Ich ging damals durch eine schwierige Phase, hatte ungeheure Schmerzen. Und sie haben mich unterstützt, vom Kokain wegzukommen. Ja, die beiden waren sehr lieb zu mir.

Wissen Sie noch, wo Sie damals lebten?

Hauptstraße 155, in Schöneberg.

Sie erinnern sich nach 25 Jahren noch an die Hausnummer?

Die vergesse ich niemals. Das waren sehr wichtige Jahre. Es war in so vieler Hinsicht sehr befreiend für mich, in Berlin zu leben.

Sie waren damals schon ein Weltstar. Wie verbrachte David Bowie in Berlin seine Tage?

Die meiste Zeit verbrachten Iggy und ich…

…Sie meinen Iggy Pop, den Punkrocker…

…genau, also im Grunde versuchten wir, von dem Zustand wegzukommen, in dem wir uns zuvor in den USA befunden hatten.

Ihre Kokainsucht?

Ja, ein großer Teil der Zeit ging ganz einfach dafür drauf, uns darüber klar zu werden, was wir von unserem Leben überhaupt wollen. Allerdings redeten wir damals nicht sehr viel. Jeder ging so seine eigenen Wege, hatte seine eigene Tagesordnung. Wir haben viel alleine gemacht.

Klingt so, als lebten Sie damals ein ziemliches Einsiedlerleben.

Oh nein, wir sind trotzdem schrecklich viel ausgegangen. Ich glaube, damals begann ich erstmals wieder, auch während des Tages etwas zu unternehmen. Das hatte ich in den Jahren davor nicht mehr so oft gemacht. Aber wir gingen auch abends viel aus. Wir waren oft im „Exil“…

…dem Kreuzberger Restaurant?

Ja, und in anderen Läden, an deren n ich mich nicht mehr erinnern kann. Meistens Restaurants, in die wir zum Essen gingen, manchmal auch Bars. Aber eben keine Nachtclubs mehr wie in den Jahren zuvor.

Und tanzen gingen Sie gar nicht?

Der große Laden damals war der „Dschungel“…

…der Club in der Nürnberger Straße …

…dort sind wir oft hingegangen. Ich erinnere mich an ein Mädchen, das ich dort kennen lernte. Auf ihrer Schulter saß eine Ratte, die mit einer Kette festgebunden war und ihr überall auf dem Kleid herumkletterte. Das war ziemlich schräg. Da waren überhaupt sehr schräge Leute. Ich erinnere mich an zwei Typen, die wir immer wieder trafen. Sie hatten Glatzen und waren als Chirurgen verkleidet, inklusive Gummihandschuhen und Stethoskop um den Hals. Auch ziemlich bizarr.

Hat Sie das inspiriert, diese Leute zu treffen?

Ich weiß nicht, ob es mich inspiriert hat. Aber es war ein schöner Zeitvertreib, diese Leute anzugucken. Später haben mir meine Freundin Coco und Iggy ein altes Auto zum Geburtstag geschenkt. Ich glaube, es war ein Mercedes von 1965 mit Schiebedach. Der Wagen war schon ziemlich verrostet, aber das Geld war zu der Zeit knapp bei uns.

Sie scherzen. Sie müssen doch auch damals schon gut verdient haben?

Ich hatte in den Jahren davor aber auch ziemlich viel ausgegeben – in Berlin waren wir so gut wie pleite. Jedenfalls machten wir mit dem Auto Touren kreuz und quer durch die Stadt. Besonders gerne fuhren wir zum Wannsee. Dort gab es ein Restaurant, in dem wir immer Geflügelleber und solches Zeug aßen.

Wie war das denn, mit einem wilden Punk wie Iggy Pop gemeinsam in einer Wohnung zu leben?

Naja, er hatte anfangs ein Zimmer bei mir, zusammen mit seiner Freundin. Das ging aber nicht lange gut.

Wieso?

Mit dem, das war einfach zu viel für mich.

Hatten Sie unterschiedliche Auffassungen darüber, wie viel Party Ihnen gut tun würde?

Ja, wir hatten sehr gegensätzliche Tagesabläufe. Außerdem aß Iggy immer alles, was er im Kühlschrank finden konnte. Das hat mich ziemlich geärgert. Ich war immer derjenige, der einkaufte, und er aß alles auf. Ich holte mir manchmal richtig leckere Sachen, bin extra ins KaDeWe, in die Lebensmittelabteilung, und ein paar Stunden später war schon wieder alles weg. Das hat mich wahnsinnig gemacht. Also zog er aus und bekam eine Wohnung im gleichen Haus, direkt gegenüber von meiner.

Dann hatten Sie Ihre Leckereien wieder für sich alleine.

Ja, das war herrlich.

Warum sind Sie damals ausgerechnet nach Berlin gekommen?

Nach vielen Jahren, die ich quasi unter Hochdruck in den USA gelebt hatte, war das sehr entspannend für mich, in eine Stadt zu kommen, wo man von mir relativ wenig Notiz nahm. Ich konnte endlich mal wieder entspannen und so einfache Dinge machen, wie im Straßencafé zu sitzen, ohne dass ich auffiel. Diese Anonymität hat mir damals sehr gut getan: Zu merken, dass man auch, wenn man schon eine gewisse Bekanntheit erworben hat, trotzdem ein ganz normales Leben führen kann. Das habe ich seitdem nicht mehr geändert. Ich habe trotz meiner Bekanntheit immer darauf geachtet, ein ganz normales Leben zu führen. Außerdem ist damals auch sonst sehr viel mit mir passiert. So habe ich zum Beispiel gemerkt, wie wichtig es mir ist, zu schreiben.

Was haben Sie denn in Berlin geschrieben?

„Heroes“ zum Beispiel.

„We can be Heroes, just for one day“ – „Dann sind wir Helden, nur diesen Tag“, diese Zeile entstand hier?

Ja, und alle anderen Songs auf dem Album auch.

Abgesehen von der Anonymität, was war denn so besonders an Berlin damals in den späten Siebzigern?

Ich glaube, die Leute hatten einfach genug eigene Probleme. Die brauchten nicht auch noch mich und meine Probleme. Nein, im Ernst: Da war diese besondere Atmosphäre, die ich übrigens in ähnlicher Form später in New York entdeckt habe. Die Mentalität der Bevölkerung ist sich ziemlich ähnlich: Ihnen ist es einfach egal, was Du machst. Sie kümmern sich um ihre eigenen Sachen. Und sie denken nicht, dass es etwas Besonderes ist, wenn sie einem berühmten Menschen auf der Straße begegnen. Das ist einfach klasse. Deswegen lebe ich seit zwölf Jahren in New York.

Und gab es in Berlin auch Künstler, die Sie bei Ihrer Arbeit angeregt haben?

Meine Musik wurde damals sehr vom besonderen deutschen Zeitgeist beeinflusst. Es gab diese starke Faszination für elektronische Musik, diese Innovationsfreude.

Wie Kraftwerk oder Tangerine Dream?

Ja, die auch. Aber noch mehr Bands wie Neu. Ich war einfach ganz vernarrt in die Arbeit, die Leute wie Conny Plank …

…der legendäre Musikproduzent…

…damals machten. Das war unglaublich. Und das brachte ich dann zusammen mit meiner Musik, die vom Rhythm and Blues geprägt war. Einen größeren Gegensatz konnte man sich gar nicht vorstellen. Und diese beiden Einflüsse zu kombinieren, war für mich damals ein echter Durchbruch. Brian Eno, Tony Visconti…

…mit denen Sie Ihre Songs schrieben…

…die beiden und ich hatten den Eindruck, uns in Berlin auf ein völlig neues Gebiet zu begeben.

Haben Sie noch Kontakt mit Leuten aus dieser Zeit?

Leider nicht, ich habe den Kontakt zu fast allen verloren. Es ist einfach zu lange her.

Welche Orte würden Sie in Berlin gerne wieder aufsuchen?

Da ich so ein Kunstfan bin , würde ich gerne mal wieder ins Brücke-Museum gehen…

…die Sammlung der expressionistischen Künstlergruppe „Die Brücke“ am Rande des Grunewalds.

Ja, genau. Diese Periode hat mir persönlich immer besonders gut gefallen. Das wäre so etwas wie eine Pilgerreise für mich.

Die Bilder von Otto Mueller und anderen haben ja offensichtlich damals auch Ihre eigene Malerei inspiriert.

Ja, sehr stark. Es waren aber auch noch viele andere deutsche Künstler für mich wichtig.

Und wirkt dieser Einfluss noch bis heute?

Ich denke, ich war damals so besessen davon, dass er mich seitdem nicht mehr losgelassen hat. Er ist Teil meines Vokabulars als Künstler geworden. Es gibt immer noch Momente, da denke ich: Oh, ich glaube, Brecht hätte das jetzt so gemacht.

Bei „Heroes“ spielt die Mauer eine Rolle. Kann man denn aus den hier entstandenen Alben Ihre Berliner Alltagserfahrungen raushören?

Ich bin nicht sicher, wie sehr das bei „Heroes“ oder „Low“ wirklich der Fall war. Lustigerweise habe ich aus heutiger Sicht den Eindruck, dass „Lodger“, die dritte Platte, die ich kurz danach aufgenommen habe, mehr von meiner Berliner Zeit reflektiert.

Inwiefern?

Da ist sehr viel von den Stimmungen verarbeitet, wie ich sie erlebt habe. Bis hin zu alltäglichen Anekdoten. Das Lied „Yassasin“ zum Beispiel spiegelt meine Eindrücke von der türkischen Gemeinschaft wider, die damals in meiner Nachbarschaft lebte. Der Großteil meiner Arbeit stützt sich mehr auf innere Werte und ist persönlicher. Ich versuche, in mich hineinzuhören und das dann in eine Form zu gießen. Aber eines ist klar: Ich hätte damals nicht solche Musik machen können, wenn ich nicht vollkommen im Bann von Berlin gewesen wäre, mit seinen ganz besonderen Strukturen und seinen Spannungen.

Was waren denn das für besondere Spannungen?

Natürlich vor allem die Mauer und ihre Auswirkungen auf die Stadt: Diese Mischung aus Geselligkeit und dem Bewusstsein, dass man völlig isoliert und einzigartig war. Das schaffte damals eine unvergleichliche Atmosphäre.

Später haben Sie in der Schweiz gelebt und danach in New York. Wie stark war dort der Einfluss Ihres Wohnortes auf Ihre Arbeit, wenn Sie ihn mit Berlin vergleichen?

Die Schweiz hat man auf den Alben der 80er Jahre deutlich gehört, bei „Let’s Dance“ zum Beispiel.

Eine sehr gradlinige Platte, nicht besonders experimentell und wohl Ihr größter kommerzieller Erfolg. Das passt zur Schweiz.

Eben. Und auf den Alben der 90er bis heute ist der Einfluss New Yorks sehr deutlich zu merken. Dort lebe ich jetzt seit zwölf Jahren, teilweise aus den gleichen Gründen, aus denen ich damals in Berlin lebte. Es ist sehr unkonventionell. Vor allem in der Innenstadt, wo ich mit meiner Frau und unserer Tochter wohne. Das ist immer noch ein bisschen so etwas wie eine Künstler- und Musiker-Kolonie. Es gibt immer noch eine Spur der alten, unkonventionellen Bohemien-Lebensweise, die mir sehr gefällt.

Hat sich das in den letzten zwölf Monaten geändert, seit dem 11. September?

Nein, gar nicht. Einige Bekannte sind seitdem weggezogen, weil sie einfach nur noch Panik hatten. Aber ich tendiere dazu, Situationen sehr schnell als gegeben zu akzeptieren. Außerdem bin ich Optimist genug, nicht zu glauben, dass der Blitz drei Mal in dieselbe Stelle einschlägt. Und er hat ja am 11. September schon zwei Mal eingeschlagen.

Sie sind seit ein paar Jahren mit dem Model Iman verheiratet, vor zwei Jahren wurde Ihre gemeinsame Tochter Alexandria Zahra geboren. Wie hat das Ihren Blick auf das Leben verändert?

Die Erfahrung, eine Familie zu haben, für die ich verantwortlich bin und deswegen weniger egoistisch sein kann, fiel zusammen mit einer Phase, in der mein Ehrgeiz ein wenig abstumpfte. Ich hatte gemerkt, dass das, was ich bekomme, wenn ich nur meinem Ehrgeiz folge, nicht das ist, was ich zu bekommen hoffte. Kurz gesagt: Ruhm alleine macht nicht glücklich.

Aber das Streben danach hat Sie weit gebracht.

Wenn ich zurückschaue, muss ich sagen: Ich habe vieles von dem erreicht, was ich erreichen wollte. Ich habe die Songs geschrieben, die ich schreiben wollte. Ich habe das meiste von dem getan, was ich tun wollte. Wissen Sie, wenn man jung ist, hat man einen brennenden Ehrgeiz. Du willst gewinnen, gewinnen, gewinnen. Aber das lässt mit der Zeit nach.

Immerhin haben Sie mit „Heathen“ gerade wieder ein viel beachtetes Album herausgebracht.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich bin immer noch neugierig, ich verspüre immer noch den Drang zu schreiben. Aber ich bin nicht mehr so getrieben wie früher. Dazu kommt: Ich war als junger Mann nicht gerade besonders glücklich. Ein großer Teil meines Arbeitsantriebs war eine Verleugnung meines eigenen Lebens. Wenn ich mich mit Arbeit zuschütte, muss ich mir keine Gedanken machen, wie ich persönlich mit dem Leben klarkomme.

Und da sind Ihre Frau und Ihr Töchterchen dann das Sinn stiftende Gegengewicht?

Genau.

Schwer vorstellbar, dass der einst so glamouröse Rockstar heute ein Familienmensch ist. Wie sieht denn so ein ganz normaler David-Bowie-Tag aus?

Sie werden es nicht glauben, wie verdammt gewöhnlich und normal meine Tage aussehen…

Legen Sie Ihrer Tochter die Windeln an?

Nicht mehr, sie geht schon aufs Töpfchen.

Sie lachen?

Ja. Unser Leben sieht genauso aus wie das Leben eines jeden anderen Paars in New York, die in ähnlichen Verhältnissen leben. Wir führen ein recht konservatives Leben, wir wohnen nicht besonders pompös, sondern haben einfach ein nettes Apartement. Wir verbringen unsere Zeit in der Gesellschaft, in der wir uns wohlfühlen. Wir gehen in Galerien, Restaurants, Supermärkte. Im Prinzip verläuft unser Leben wie das der meisten anderen auch. Ich stehe sehr früh auf und schreibe dann für ein paar Stunden. Und ich versuche, die meisten Nachmittage für meine Familie freizuhalten. Ist das nicht schockierend gewöhnlich?

Haben Sie eigentlich je erwogen, noch einmal für längere Zeit nach Berlin zurückzukommen?

Ich weiß nicht, ob das gut wäre. Ich glaube, ich bin sehr eigen mit dem, was ich als mein Berlin erinnere. Ich würde es vielleicht gar nicht mehr wiederfinden. Viele jüngere Künstler, die meine Arbeiten aus jener Zeit mögen, sagen mir, sie wollen auch nach Berlin gehen, um zu fühlen, was ich gefühlt habe. Dann sage ich ihnen immer: Das ist vorbei. Man kann die Vergangenheit nie wiederholen. Ihr erlebt vielleicht auch etwas ganz Großartiges. Aber es wird nie so sein, wie ich es empfunden habe. Ich erinnere mich zum Beispiel an Bono…

…von der Gruppe U2…

…ja, der wollte das Gleiche erleben wie ich. Aber er hatte eine sehr enttäuschende Zeit in Berlin. Es gefiel ihm gar nicht.

David Bowie lebte von 1976 bis 1979 in Berlin, gemeinsam mit dem Musiker Iggy Pop. Er war einer der einflussreichsten Künstler unserer Zeit. Am 10. Januar 2016 ist er im Alter von 69 Jahren gestorben. Kurz zuvor war sein letztes Album "Blackstar" veröffentlicht worden.

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