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Kürzlich demonstrierten Techno-Fans auf dem Wasser, Ricardo lange ist Pfleger auf einer Berliner Intensivstation.

© Richard Gannon (AFP), Doris Spiekermann-Klaas

Intensivpfleger über Rave vor Krankenhaus: „Kann man unsere Arbeit noch mehr verhöhnen?“

Im Urban-Krankenhaus kämpfen Menschen um ihr Leben, davor ist Schlauchboot-Party. Intensivpfleger Ricardo Lange beschreibt, warum das besonders verletzend ist. Ein Protokoll.

Von Julia Prosinger

Neun Wochen ist es her, dass ich mich an dieser Stelle über klatschende Menschen auf den Balkonen beschwert hatte. Ich befürchtete damals, dem Applaus würden keine Taten folgen. Schade, dass ich Recht hatte.

Von den Balkonen schallt abends schon lange nichts mehr. Dafür wummert neuerdings Techno von Schlauchbooten über den Landwehrkanal. Die Videos der Feiernden im Urbanhafen vom Pfingstsonntag haben mich ganz schön mitgenommen.

Ich verstehe ja, dass die jungen Leute Nachholbedarf haben. Ich verstehe, dass Clubbetreiber Unternehmer sind, die um ihre Existenz bangen. Aber muss eine solche Party ausgerechnet vor einem Krankenhaus stattfinden?

Darin kämpfen Patienten und ihre Pfleger und Pflegerinnen um Leben. Die Leute brauchen Ruhe. Schon ganz ohne Corona und die möglichen Folgen dieses Raves frage ich mich: Kann man unsere Arbeit noch deutlicher verhöhnen?

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Der Bonus von Spahn ist nicht angekommen

Aber auch, was die Politik betrifft, ist eingetreten, was ich befürchtet hatte. Weil wir in Deutschland die Pandemie - glücklicherweise - ganz gut im Griff haben, wird in den Talkshows nicht mehr über Pflege debattiert.

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Jens Spahns Versprechungen eines „Corona-Bonus“ haben nur einen Teil der „Alltagshelden“ erreicht, die ambulanten und Altenpflegenden, die es natürlich verdienen.

Bei mir und meinen Kolleginnen und Kollegen auf der Intensivstation jedoch ist noch nichts angekommen, und das, obwohl wir zu denen gehören, die seit Wochen in engstem Kontakt mit Covid-19- Patienten stehen. Elf Prozent aller in Deutschland mit dem Virus Infizierten arbeiten in medizinischen Berufen - wir sind nach wie vor einem besonderen Risiko ausgesetzt.

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Unsere Arbeitsbedingungen haben sich durch das Tragen der (teilweise zunächst unvollständigen) Schutzkleidung außerdem massiv erschwert. Es blieb beim Applaus als Zeichen der Anerkennung.

Bis zu 100.000 Vollzeitstellen fehlen

Meine Wünsche an die Politik haben sich nicht verändert, selbst wenn es hier keine Leichenberge wie in New York oder Bergamo gab. Dass der Pflegenotstand gravierend ist, hat uns doch nicht erst Corona gezeigt.

Verdi geht von 80.000, die Böckler-Stiftung gar von 100.000 Vollzeitstellen aus, die in Kliniken fehlen. Junge Kolleginnen und Kollegen, die bei uns eingearbeitet werden, werfen oft nach wenigen Wochen das Handtuch, weil ihnen die Arbeitsbedingungen zu hart sind. Und viele meiner Kollegen sind bereits älter und gehen bald in Rente, wer kommt nach?

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Ich kenne Intensivpfleger, die wegen eines ungeschützten Kontakts zu einem Covid-19-Patienten in Quarantäne mussten, daheim laut Gesundheitsamt nicht mal den Müll ohne Androhung von Bußgeldstrafen runterbringen durften - aber trotzdem zur Arbeit mussten (mit dem Risiko eh schon geschwächte Patienten anzustecken). Mit welcher Begründung? Natürlich, Personalmangel!

[Die anderen Folgen der Kolumne "Außer Atem" mit Ricardo Lange lesen Sie hier, hier, hier, hier, hier und hier]

Der Staat unterstützt die Lufthansa mit neun Milliarden, der Autoindustrie soll eine Neukaufprämie helfen. Und uns?

Rentenalter sollte gesenkt werden

Ich wünsche mir, dass das Rentenalter für Pflegekräfte in Schichtarbeit herabgesetzt wird. 67 ist zu spät - wir haben schon so viel Lebenszeit verloren.

Ich wünsche mir eine bessere Bezahlung für die Stammbelegschaft an den Kliniken: Wer Schicht arbeitet und die Verantwortung für Menschenleben trägt, sollte, Zuschläge inklusive, 3000 Euro netto verdienen.

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Außerdem wünsche ich mir, dass Jens Spahn richtige Personaluntergrenzen einführt. Wegen Corona wurden sie ja nun gelockert, aber auch davor passten sie nicht zur Realität: Man betrachtete sie als Durchschnittswerte, und so kam es, dass ich in manchen Schichten doch wieder vier Patienten intensivpflegerisch zu betreuen hatte – statt maximal 2,5 Patienten pro Pflegekraft in der Tagschicht und 3,5 Patienten pro Pflegekraft in der Nachtschicht. Das macht einen gewaltigen Unterschied!

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Wir brauchen eine klare Festlegung in absoluten Zahlen. Also: Maximal zwei Patienten pro Pfleger in der Tag- und drei pro Pfleger in der Nachtschicht. Zumal ein paar Krankenhäuser die Unter- als Obergrenzen verstanden und sogar Personal reduzierten.

Und ich wünsche mir, dass die Schlauchboot-Orgie vom vergangenen Wochenende keine Folgen hat. Denn obwohl ich lese, dass in einigen Kliniken die Zahlen der Covid-19-Patienten auf den Intensivstationen sinken - bei uns sind sie seit letzter Woche deutlich gestiegen.

Ricardo Lange, 38, ist Intensivpfleger in Berlin. Hier berichtet er jede Woche von Schichten an der Corona-Front, Provisorien und Hoffnungsschimmern.

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