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Die Prüfmonteure André Zöllner und Stefan Trebesius, Teamleiter Martin Schmidt, Werkleiter Jan Teichner  und Fertigungsleiter Ingo Michalik (von links).

© Alena Schmick

Inklusionspreis für das Mittelspannungswerk von Siemens: Sprungbrett in den Arbeitsmarkt

Im Mittelspannungswerk Berlin von Siemens bekommen Menschen mit Behinderung die Chance, sich neue berufliche Perspektiven zu erarbeiten. Dafür hat das Unternehmen jetzt einen der Berliner Inklusionspreise erhalten.

Von Klaus Grimberg

Die Anfrage bereitete Ingo Michalik anfangs viel Kopfzerbrechen. Eine betriebsintegrierte Gruppe der Berliner Werkstätten für Menschen mit Behinderung (BWB) im Mittelspannungswerk Berlin von Siemens – könnte das funktionieren? Gewiss: Seit über 20 Jahren übernehmen Männer und Frauen der BWB wichtige Arbeitsschritte bei der Montage von Bauteilen für Leistungsschalter und Vakuum-Schaltröhren. Aber eine eigene Arbeitsgruppe unmittelbar im Werk?

Wo würde man die Gruppe am besten platzieren?

Michalik, Fertigungsleiter im traditionsreichen Siemens-Standort an der Nonnendammallee, kam ins Grübeln: Wo würde man die Gruppe räumlich am besten platzieren? Wie würde man miteinander kommunizieren? Welche zusätzlichen Sicherheitsvorkehrungen müsste man treffen? Ingo Michalik hatte jede Menge Fragen.

Sie hielten ihn aber nicht davon ab, sich auf das Wagnis einzulassen. Zumal auch Werksleiter Jan Teichner hinter dem Projekt stand. Heute weiß er: Viele seiner Bedenken waren unbegründet. Die Integration der zwölfköpfigen Gruppe in die Arbeitsprozesse verlief viel unkomplizierter, als er es erwartet hätte. Assistiert von einem externen Gruppenleiter der BWB klappte die Eingliederung in die Werksabläufe nahezu reibungslos. Mehr noch: Die betriebsintegrierte Gruppe (BiG) verdient diesen Namen voll und ganz.

In Sachen Arbeitsleistung, Zuverlässigkeit und Teamfähigkeit sind die Mitglieder der betriebsintegrierten Gruppe absolut vorbildlich.

Ingo Michalik, Fertigungsleiter

„Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sitzen in der Kantine mit ihren Kollegen und Kolleginnen zusammen und tauschen sich aus“, erzählt Michalik. Auch im Arbeitsalltag funktioniert das Miteinander. Wenn eine Aufgabe erledigt ist, gehen Mitarbeiter der BiG selbstständig auf ihre Kollegen in der Werkshalle zu und erfragen, was als nächstes zu tun wäre. In Sachen Arbeitsleistung, Zuverlässigkeit und Teamfähigkeit seien die Mitglieder der BiG „absolut vorbildlich“, sagt Michalik.

Die betriebsintegrierte Gruppe bietet Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen die Chance, sich außerhalb der Werkstätten auszuprobieren und zu beweisen. Nicht für jeden ist es am Ende das Richtige, den einen oder die andere zieht es doch wieder zurück in die vertraute Umgebung der Werkstätten. Es gibt aber auch umgekehrte Fälle: Dann wird die BiG zum Sprungbrett in den ersten Arbeitsmarkt. „Mittlerweile haben wir vier ausgelagerte Arbeitsplätze geschaffen“, sagt Jan Teichner. Wenn Mitarbeiter der BiG signalisierten, dass sie dazulernen und zusätzlichen Aufgaben übernehmen wollten, überlege man gemeinsam, an welchem Arbeitsplatz das möglich sei. Ein Siemens Mentor kümmert sich dann um die Einarbeitung, ein Job Coach der BWB um die administrativen Dinge.

Neben der langjährigen intensiven Zusammenarbeit mit den BWB wird das Mittelspannungswerk aber auch für die vorbildliche Integration schwerbehinderter Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Stammbelegschaft mit dem Inklusionspreis ausgezeichnet. Von 350 Beschäftigten haben aktuell 26 eine Behinderung oder körperliche Einschränkung, ein vergleichsweiser hoher Anteil von sieben Prozent. Sehr häufig sind starke Rückenbeschwerden oder geringere Belastungsgrenzen infolge von Vorerkrankungen.

Blick in die Werkhalle des Siemens Mittelspannungswerks an der Nonnendammallee.

© Alena Schmick

„Wir besprechen mit jedem betroffenen Kollegen individuell, wie der Arbeitsplatz und die Arbeitsabläufe bestmöglich gestaltet werden können“, sagt Werksleiter Teichner. Dazu zählen höhenverstellbare Werkbänke, speziell angefertigte Sicherheitsschuhe oder Exoskelette, die Rücken und Gelenke beim Heben schwerer Gegenstände entlasten.

Konzernweit zeichnet sich Siemens überdies durch ein intensives Gesundheitsmanagement aus, das natürlich auch im Mittelspannungswerk Anwendung findet. So wird darauf geachtet, dass turnusmäßige Rotation an den Arbeitsplätzen einseitige körperliche Belastung vermeidet. Fortlaufend gibt es Übungsangebote zu schonenden Bewegungen und Körperhaltungen, ein Fitnessstudio steht allen Mitarbeitern zur Verfügung – bei Bedarf mit individueller Anleitung. Seminare zu gesunder Ernährung gehören genauso zum Standard wie regelmäßige Check-ups beim Betriebsarzt, Massage oder Rückkehrgespräche nach längeren Erkrankungen. Und einmal in der Woche kann – wer will – von kostenlosen Smoothies probieren, die in der Werkshalle angeboten werden, in der Weihnachtszeit sogar mit Spekulatiusgeschmack.

Wie unkompliziert Mitarbeiter mit und ohne Handicap hier zusammenarbeiten, zeigt auch das Beispiel von Stefan Trebesius. Lange hatte der gehörlose Mann versucht, auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen – vielfach vergeblich. Bis sein Bruder André Zöllner, als Prüfmonteur im Mittelspannungswerk tätig, für ihn bei der Werksleitung vorsprach und sofort auf verständnisvolle Offenheit stieß.

Zöllner fungierte als Gebärdendolmetscher und Pate für seinen Bruder, dessen Arbeitsplatz wurde mit optischen Signalen für Gefahrensituationen ausgerüstet. Mittlerweile hat sich Trebesius so gut eingearbeitet, dass niemand mehr auf die Idee käme, ihn als „anders“ oder „gehandicapt“ wahrzunehmen.

Für Fertigungsleiter Ingo Michalik und Werksleiter Jan Teichner ist dieses Miteinander gelebte Normalität, in ihren Augen selbstverständlich. Sie wären deshalb auch nicht auf den Gedanken gekommen, sich für den Inklusionspreis zu bewerben, die Anregung kam von den BWB. Dennoch ist die Freude bei allen Beteiligten nun groß – und Ansporn, auf dem Weg voranzuschreiten.

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