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Berlin: In Lanke besitzt die Großstadt 90 Prozent aller Flächen, unter anderem den "Koloss am Bogensee", das Schloss und ein Stadtgut

Das kleine Dorf Lanke kämpft derzeit mit dem 15 Kilometer entfernten Berlin wie einst David gegen Goliath. Nur ist diesmal der Ausgang völlig ungewiss.

Das kleine Dorf Lanke kämpft derzeit mit dem 15 Kilometer entfernten Berlin wie einst David gegen Goliath. Nur ist diesmal der Ausgang völlig ungewiss. "Die Berliner stellen sich stur", sagt Bürgermeister Horst Geiseler. "Die blockieren uns einfach und glauben wohl, damit unseren Widerstand brechen zu können. Da haben die sich aber gründlich getäuscht. Wir kämpfen." Da muss sich in dem idyllisch zwischen Liepnitz- und Obersee gelegenen Ort nördlich der Großstadt eine gehörige Portion Ärger angestaut haben. Der Bürgermeister spricht sogar von Wut auf Berlin, dem seit 1914 rund 90 Prozent der erstaunlich großen Gemeindefläche gehören.

Damals kaufte die Stadt das Rittergut Lanke vom verschuldeten Grafen von Redern, um es wie viele andere Flächen im Umland für Land- und Forstwirtschaft sowie als Erholungsgebiet zu nutzen. Doch heute, so lautet der Vorwurf im Ort, kümmere sich Berlin nicht um sein Eigentum. Verfall und Niedergang des Dorfes nähmen bedrohliche Ausmaße an. Weder für den Koloss der ehemaligen FDJ-Jugendhochschule Bogensee, das Schloss Lanke oder das frühere volkseigene Gut gebe es Konzepte.

Lankes Schicksal ist tatsächlich einmalig im Umland. Denn während anderswo immer neue Wohnviertel die Einwohnerzahlen teils erheblich steigen lassen, passiert in Lanke das Gegenteil. Von den 1994 festgestellten 800 Einwohnern sind noch 630 übrig geblieben. "Vor allem die jungen Leute ziehen weg, weil sie bei uns keine Wohnung oder kein Grundstück für den Bau eines Hauses finden können", klagt Bürgermeister Geiseler. "Dabei gibt es genügend Flächen."

Er zeigt eine große Wiese am Rande des Ortskerns. Hier könnte nach seinen Angaben sofort mit dem Bau von 30 Eigenheimen begonnen werden. Strom-, Wasser-, Abwasser- und Elektroleitungen befänden sich längst in der Erde. 1993 habe der Berliner Senat für das Wohngebiet grünes Licht gegeben. Mit der Hohenschönhausener Wohnungsbaugenossenschaft sei sogar ein Berliner Unternehmen als Bauherr gefunden worden. "Doch als die Bebauungspläne konkret wurden, machte Berlin im vergangenen Jahr einen Rückzieher. Wohnungsbau durfte plötzlich nicht mehr stattfinden", erzählt Geiseler, der im Ortsteil Ützdorf ein Restaurant betreibt.

Die Senatsverwaltung für Finanzen macht gar keinen Hehl aus der Ablehnung. "Das Land Berlin verkauft im Umland grundsätzlich keine Flächen für Wohnungsbauzwecke", sagte Pressesprecher Dirk Wildt. "Wir haben kein Interesse, dass noch mehr Berliner Einwohner nach Brandenburg abwandern." Zwar sei die Situation in Lanke mit einem neunzigprozentigen Eigentum Berlins außergewöhnlich. Doch da müsste das Land Brandenburg vielleicht in Kompensationsgeschäften einlenken. "Wir befinden uns jedenfalls mit dem Landrat in Eberswalde im Gespräch", teilte der Sprecher mit.

Im kleinen Lanke stößt die Berliner Argumentation auf wenig Verständnis. "Da ziehen jedes Jahr zehntausende Menschen aus Berlin ins Umland und ausgerechnet bei uns machen die wegen 30 Häusern so einen Aufstand", sagt ein älterer Mann am Gartenzaun unter Kopfschütteln seine Meinung. Dabei seien die meisten Interessenten für die Häuser gar keine Berliner gewesen, sondern junge Familien aus dem Ort selbst. Landrat Bodo Ihrke (SPD) will sich nun auf "hoher politischer Ebene" um das Problem kümmern, ließ er mitteilen.

Da kann er gleich die drei anderen großen Lanker Sorgenfälle mit anpacken: Bogensee, Schloss und Gut. Allen drei ist der schon eingesetzte oder noch bevorstehende Verfall gemeinsam. Seit Anfang September steht das riesige Areal der einstigen FDJ-Hochschule am Bogensee leer. Der letzte Nutzer, der gemeinnützige Internationale Bund (IB), zog aus Kostengründen in die frühere Gewerkschaftsschule Bernau, die zum Vermögen des Landes Brandenburg gehört.

In den vergangenen Jahren waren vom Internationalen Bund in Bogensee jährlich mehr als 300 Menschen im Auftrag des Arbeitsamtes zu Köchen oder Hotelfachleuten ausgebildet worden. Außerdem gab es in der früheren Jugend-Kaderschmiede ein 340-Betten-Hotel, einen Saal mit 500 Plätzen und 30 Seminarräume. Doch zum einen war die Auslastung der Gebäude zuletzt stark rückläufig geworden, und zum anderen stiegen die Renovierungskosten. Die werden auf 20 Millionen Mark geschätzt, denn allein 1000 Fenster müssen erneuert werden.

Bürgermeister Geiseler läuft mit einem unguten Gefühl durch die Anlage mit den wuchtigen Häusern der Stalin-Architektur. "Leerstand bedeutet Gefahr, zumal das Gelände nicht bewacht ist." Lediglich die Verwaltung der Berliner Forsten und die Waldschule nutzen ein kleines Areal.

Verrammelt sind dagegen die Türen zum ehemaligen Landhaus von Reichspropagandaminister Joseph Goebbels, das bis zuletzt als Restaurant diente. 1995 hatte eine Nichte Goebbels zwar die Rückgabe des weitläufigen Hauses mit einem großen Grundstück verlangt. Doch der Antrag wurde abgewiesen. Der Berliner Magistrat hatte 1936 der Nazi-Größe anlässlich seines 39. Geburtstages zwar das Gelände in Lanke auf Lebenszeit überlassen, ins Grundbuch gelangte der Name Goebbels aber nie. Seit DDR-Zeiten steht pikanterweise die Skulptur eines Liebespaares vor dem Eingang.

Die Senatsverwaltung für Finanzen zeigte sich von der Nachricht des Leerstandes auf Anfrage überrascht. "Wir waren immer davon ausgegangen, dass der letzte Nutzer zum 1. April 2000 auszieht", sagte Sprecher Wildt. Es werde überlegt, den ganzen Komplex Bogensee europaweit auszuschreiben.

Vielleicht ist das auch eine Lösung für das Schloss in der Lanker Ortsmitte. Der vor 140 Jahren fertiggestellte und an die französische Renaissance erinnernde Bau steht nach dem Auszug des Pflegeheimes leer und verfällt. Das gleiche trifft auf den größten Teil des Stadtgutes zu, wo von einst 120 Beschäftigten nur noch 16 arbeiten. Viele Gebäude taugen nur noch für den Abriss. Die frühere Schweinemastanlage gleicht schon jetzt einer Müllkippe und soll demnächst beseitigt werden.

Lanke, zu dem bis kurz nach der Wende noch ein Ausflugsbus von Berlin aus verkehrte, könnte tatsächlich wieder ein Schmuckstück werden. "Berlin müsste sich nur endlich zu seinem Eigentum bekennen oder aber es verkaufen", sagt Bürgermeister Geiseler.

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