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Gerda Piasta (1914-2019)

© privat

Nachruf auf Gerda Piasta (Geb. 1914): Ich werde auch so einen Laden haben!

„Werde Schneiderin, dann hast du immer Arbeit“, sagte ihre Mutter. Sie gehorchte und wollte doch viel mehr.

Die schönen Damen der feinen Gesellschaft betraten das Modegeschäft. Ein Diener führte sie in den Salon, setzte sie auf stilvolle Sofas. Tee und Kuchen wurden gereicht. Die Modenschau konnte beginnen. Eine Garderobe nach der anderen wurde vorgeführt, die Damen suchten sich aus, was ihnen gefiel. Jetzt mussten noch die Maße genommen, das neue Kleid in Auftrag gegeben und der Tee ausgetrunken werden. So lief das in den besseren Modehäusern am Hausvogteiplatz, Ende der 1920er Jahre, als die Weimarer Republik golden und Gerda Piasta eine einfache Schneiderin in Ausbildung war.

Eines Tages werde ich auch so einen Laden haben, so hoffte sie. 14 oder 15 war sie da.

Gerda kam in Neukölln zur Welt. Ihr Vater zog in den Ersten Weltkrieg. Die Mutter erzählte ihr später, wie er in der Tür stand, die kleine Gerda noch einmal in den Arm nahm und sagte: „Dich werde ich bestimmt nicht wiedersehen.“ Ein paar Wochen später fiel er.

Die Mutter brachte Gerda alleine durch die Hunger- und Inflationsjahre. „1000 Mark hatte ich und wollte Kuchen kaufen gehen. Bekam aber nur ein paar Brötchen“, erinnert sich Gerda. Als die 8. Klasse rum war, sagte ihre Mutter: „Werde Schneiderin, dann hast du immer Arbeit.“ Gerda vertraute ihrer Mutter. Doch nur eine einfache Schneiderin werden, das reichte ihr nicht.

Das mag auch an ihrer Tante Hedi gelegen haben. Die ging mit Gerda neue Kleider und Schuhe kaufen, und danach zogen sie von einer feinen Konditorei in die nächste. Diese aufregende Welt, Eleganz, Schönheit, guter Geschmack! Tante Hedi hieß eigentlich Hedwig und war mit Walter Flechtheim verheiratet. Die beiden waren ein berühmtes Tanzpaar und tourten mit ihrem Varietéprogramm durch die besten Häuser Deutschlands. Und Gerda vertanzte als junge Frau ihre Abende im „Delphi“. An freien Sommertagen schwamm sie mit den Mädels ihres Vereins durch die Seen und Kanäle Berlins. „Die waren so sauber damals!“

Hitler und die Braunhemden fand Gerda sofort unsympathisch. Grobe, ungehobelte Kerle. Das sagte sie auch, beim Einkaufen in den Warteschlangen, wenn andere Lobreden auf die neue Zeit hielten. Ihre Mutter ermahnte sie: Eines Tages würde man Gerda noch abholen. „Ich lasse mir den Mund nicht verbieten“, sagte Gerda. Die Abneigung lag auch an Tante Hedi und ihrem Walter. Er war Jude, das Paar floh 1935 nach England.

Gerda machte ihren Schneidermeister, eine Frau fast allein unter Männern. An der Meisterschule lernte sie ihren Hans kennen. Streng war er, ernst und gradlinig. Kam aus einer kleinen Schneiderdynastie und konnte so wunderbare Kostüme machen, die so adrett saßen, dass Gerda ganz verzückt war. 1944 kam ihr erstes Kind auf die Welt, am 12. September, mitten in einer schlimmem Bombennacht. Der Fliegeralarm heulte, Gerda und die Hebamme blieben auf dem Zimmer, während sich der Rest der Krankenhausbelegschaft in die Bunker flüchtete.

Vier Jahre nach dem Krieg. Heruntergekommen und quasi unbewohnbar war die 300-Quadratmeter-Wohnung, Wielandstraße 26, gleich um die Ecke vom Ku’damm. Hans wollte schon wieder abdrehen. Doch Gerda zwang ihn, sich alles anzusehen. Hohe Decken, Stuck, Schiebetüren, zwei herrschaftliche Balkone. Über eine Wendeltreppe ging es unters Dach, dort zwei riesengroße Räume, halbrunde Fenster, alles taghell.

„Lass mal Hans, das machen wir“, sagte Gerda und sie machten es. Renovierten, schafften die guten Stoffe herbei, Altbestände, stellten Schneider ein. Und endlich eröffnete Gerda ihren eigenen Modesalon mit Rokoko-Möbeln, geschwungenen Sofas und weinroten Sesseln, mit Glasvitrinen und Tapeten aus Seidenstoffen. Engländer und Amerikaner kamen, die Berliner Schickeria und Politiker, Willy Brandt zum Beispiel und seine Frau Rut.

Hans hatte sich nur mal kurz für einen Mittagsschlaf hingelegt und stand nicht mehr auf. 1962 war das. Gerda blieb mit den zwei Kindern, 14 Angestellten und einem riesigen Berg an Arbeit allein. „Putschi Dalli, es wird schon irgendwie weitergehen“, sagte sie und arbeitete eben noch am Abend und am Wochenende. In ihrer weißen Kittelschürze fegte sie durch die Wohnung und die Schneiderei, immer Tempo, von einer Schneiderin zum nächsten Lehrling zu den Kunden. Mit einem großen Magneten holte sie die Hunderten von Nadeln vom Boden, die sich dort wieder und wieder verteilten.

Gerda war offenherzig, konnte zuhören und dann selbst so viel berichten, dass viele Leute einfach Lust hatten, in ihrer Gesellschaft zu sein oder sie zu unterstützen. Ihre Haushaltshilfe zog bei ihr ein, blieb für fünf Jahre und brachte die zwei Söhne durch die schwierige Zeit. Oder die Schwiegertochter. Die erst immer zum Mittagessen kam, sich mit Gerda anfreundete und ihr verbunden blieb, auch nachdem sie sich von Gerdas Sohn getrennt hatte. Wenn es mal ein Missverständnis gab, sagte Gerda: „Sag mal, war da etwas, habe ich was Komisches gesagt? Komm mal her.“

Mit 70 Jahren hörte Gerda auf zu arbeiten und fing an, mit Acryl zu malen. Schwamm auch wieder, jetzt mit ihren „Wilmersdorfer Nixen“. Ging ins Theater, traf sich mit Freunden, fuhr auf ihr Wochenendgrundstück am Glienicker See. Sie genoss das Leben. Einmal zeigte sie das Foto von einem hübschen Italiener, den sie bei einem Thermen-Besuch in Italien kennengelernt hatte. „Ein wirklich hübscher Mann“, sagte sie und lachte verschmitzt.

30 Jahre später, als alles nicht mehr so gut ging, zog sie in ein Altersheim um die Ecke. Sie war wohl die älteste, aber auch die fitteste. Jeden Tag ging sie raus. Zum Spätverkauf, um sich ihr Lieblingseis in den Sektkühler geben zu lassen. Ins Café, wo sie schnell mit Männern ins Gespräch kam, die, Kunststück, deutlich jünger waren. An ihrem 104. Geburtstag bekam sie hohen Besuch. Die Stellvertreterin des Bürgermeisters fragte, was Gerda sich wünsche. – „Jemand, der mit mir spazieren geht“, erwiderte sie.

Seither kam die Stellvertreterin zwei, drei Mal die Woche und ging mit ihr raus.

„Ich habe immer nach vorne geschaut, habe immer viel gearbeitet, hatte gute Freunde und Spaß am Leben. Jetzt reicht es aber so langsam“, sagte sie irgendwann. Am 28. Juni 2019 starb Gerda Piasta.

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