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Tristan Consten (1989-2015)

© privat

Nachruf auf Tristan Consten (Geb. 1989): "Ich bin Tristan!"

Kairo, Athen, La Paz, Berlin. Er hat auf der ganzen Welt gelebt - und gelernt, das Leben zu nehmen, wie es kommt. Auch seine Krankheit. Wichtig nur, dass er nicht als der Kranke galt.

Mit sieben hat er ein Gedicht geschrieben:

Das Leben

Warum ist das Leben so?

Das Leben kann schön sein und schwer.

Ich habe alles schon erlebt.

Geboren wird Tristan in Kairo, seine Eltern arbeiten fürs Auswärtige Amt. Als er drei ist, verabschiedet sich sein Vater, die Mutter zieht mit ihm für zwei Jahre nach Bonn, danach geht es weiter nach Athen, wo er in die Deutsche Schule kommt. Mit den Jungs aus der Nachbarschaft spielt er nachmittags im Park, mit den deutschen Au-pairs, die ihm seine Mutter ausgesucht hat, damit er seine Muttersprache nicht verlernt, geht er ins Fußballstadion von Panathinaikos Athen. Sein Lieblingsverein ist aber Bayern München. Er selbst spielt auch, am liebsten als Stürmer. Nur beim Fußball und bei Computerspielen kann er so richtig in Rage geraten.

Nach vier Jahren geht es nach La Paz, Bolivien, er ist jetzt zehn. In der Schule muss er sich aufs Neue eingewöhnen, gegen die Cliquenchefs und Klassenanführer behaupten und eine neue Sprache lernen. Beim Fußball versteht er die Anweisungen des Trainers anfangs nicht. „Ich bin nicht dein Dolmetscher“, sagt der und wechselt ihn aus.

Später wird er zu seiner Mutter sagen: „Ich hatte eine perfekte Kindheit.“ Für ihn ist Heimat immer dort, wo er gerade ist. Ein bunter Weltvogel, einer, dem es gelingt, sich anzupassen und anerkannt zu werden. So gut, dass sich die Außenseiter der Schule an ihn klammern. Und Tristan bemüht sich zu vermitteln. Er will es allen recht machen. Richtig sauer wird er nie. Und wenn, dann lässt er das niemanden spüren. An jedem Ort, den er verlässt, lässt er Freunde zurück.

Nach vier Jahren geht es weiter, jetzt nach Caracas, Venezuela, dann, kurz vor dem Abitur, nach Guatemala. Der Umzug ist Routine. Neu ist die Beule an seiner Schulter. Auch ist seiner Mutter aufgefallen, dass Tristan blasser und dünner geworden ist in letzter Zeit. Kann ja daran liegen, dass er oft bis in die Nacht am Computer spielt. Im Februar 2008 wird ein anderer Grund diagnostiziert: ein Nervenscheidentumor. Im Oktober steht das Abitur an, vorher lässt sich Tristan operieren, doch die Strahlentherapie muss warten, denn er will die Klassenfahrt nicht verpassen. Erst Umzug, dann Krebs, dann Abi: er nimmt die Krankheit wie ein weiteres Abenteuer in seinem Leben.

Er lässt sich die Wimpern und Augenbrauen färben

Er hat auch noch viel vor. 2009 fängt er in Heidelberg sein Jurastudium an, Schwerpunkt Völker- und Europarecht. Er will ins Auswärtige Amt, wohin sonst. Als die Kommilitonen ihr Erasmus-Jahr im Ausland verbringen, wechselt er nach Berlin. Wegen der Nähe zur Charité, und weil seine Mutter ihn darum gebeten hat, die sich kurz zuvor nach Berlin versetzen ließ. Zwischen Chemo- und Physiotherapien geht er feiern oder besucht seine Freunde in der Welt.

2011 sagen ihm die Ärzte, dass sich der Krebs in die Lunge ausgeweitet habe. Tristan weiß, worauf es hinauslaufen wird, doch er versucht, es sich nicht anmerken zu lassen. Wegen der Chemotherapie fallen ihm die Haare aus, und wenn sie nachwachsen, sind sie ausgeblichen. Das, immerhin, kann er nicht hinnehmen. Er will nicht als der Krebskranke gesehen werden. „Ich bin Tristan!“ Er lässt sich die Wimpern und Augenbrauen färben und trägt eine Perücke. Das Studium tut ihm gut, es gibt dem Alltag Struktur: Morgens aufstehen, zur Uni fahren, Kaffee holen, Leute treffen. Das hilft. Bis die Onkologin mitteilt, dass es keine weiteren Therapien gibt, die helfen könnten. Aber aufgeben ist nicht und zu Hause rumhängen schon gar nicht; im Rollstuhl feiert er noch auf dem Karneval der Kulturen. Seit Kurzem hat er eine neue Freundin, Alexa. Sie haben sich auf einer Examensparty kennen gelernt. Sie haben nicht viel Zeit, deshalb wird es sehr schnell sehr intensiv.

An einem Montag Ende Juni muss Tristan seine WG in Moabit verlassen. Er zieht ins Ricam Hospiz in Neukölln, ein Zimmer im fünften Stock. Abends kommen Freunde aus ganz Deutschland zu Besuch, um ihn noch einmal zu sehen. Als sich Alexa für ein paar Stunden verabschieden will, weil sie einen Termin hat, sagt er: „Meine Freundin sitzt in der U-Bahn und ich sterbe hier.“ „Was?“, ruft sie entsetzt. „Ich bleib hier, wenn du willst!“

Tristan lächelt. „Du musst lernen, das mit Humor zu nehmen, das macht es einfacher.“ Zwei Tage liegt er im Hospiz. Gegen die Schmerzen bekommt er Morphiumspritzen. „Es ist wie ’ne traurige Soap Opera“, sagt er. „Was können wir noch für dich tun?“, fragt seine Mutter. „Alles ist perfekt.“ Das ist das Letzte, was er sagt.

Zur Beisetzung auf dem Alten Luisenstädtischen Friedhof in Kreuzberg sind 90 Freunde aus der ganzen Welt gekommen. Viele schöne Reden hat Tristan sich gewünscht, und er bekommt sie. Die Freunde sprechen davon, wie Tristan mit dem Schicksal umging, von seiner Gelassenheit. Er ist ein Vorbild für sie. Wenn seine Mutter jetzt vor einem kleinen oder größeren Problem steht, denkt sie: Was würde Tristan tun? Schließlich hat er alles schon erlebt.

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